Serie: "Vater, Mutter, Firma" (8):Es ist nur Platz für einen

Als Zwillingsbruder Martin die Schreinerei übernahm, schaute sich Franz Finauer anderweitig um. Jetzt ist er Bürgermeister

Von Jessica Morof, Anzing

Der Geruch von Holz und vom Metall schwerer Maschinen liegt in der Luft. Langsam und präzise schieben zwei Hände ein Holzbrett über die silberne Tischplanke zum Sägeblatt. Späne fliegen - ein sauberer Schnitt. Ein bisschen abseits in der riesigen Schreinereihalle, in der automatischen CNC-Maschine, senkt sich immer wieder ein Bohrkopf in ein Stück Holz. Fein aneinandergereiht hinterlässt er dort ein Loch nach dem anderen, in die später Dübel eingesetzt werden können. "Schreiner ist einer der abwechslungsreichsten Berufe überhaupt", sagt der gelernte Geselle Martin Finauer. "Aber es ist auch ein hartes Geschäft", ergänzt sein Vater Martin Finauer senior. Er muss es wissen, denn der 63-Jährige führt die Möbel- und Bauschreinerei Finauer in Anzing im Landkreis Ebersberg bereits in der dritten Generation.

Beinahe vollkommene Stille herrscht 600 Meter weiter nördlich in einem modern eingerichteten Büro. Ein großer Schreibtisch steht darin, daneben noch ein Konferenztisch. Nur hin und wieder dringt das Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Autos durch die gekippten Fenster. Wenige Bilder schmücken das Zimmer im Rathaus. "Früher habe ich gedacht, dass Anzing eine heile Welt ist - heute weiß ich, dass das nicht stimmt", sagt Franz Finauer. Früher war auch er wie sein Zwillingsbruder Martin Schreiner - heute ist der 63-Jährige der Bürgermeister der Gemeinde.

Wirtschaftsserie - Anzing, Schreinerei Finauer, Bilder vom Unternehmen geschickt

Der nächste Martin junior arbeitet inzwischen ebenfalls als Geselle im Betrieb mit - und wird die Anteile des Vaters irgendwann übernehmen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wer für den knapp 4000 Einwohner großen Ort Anzing das Telefonbuch unter F wie Finauer aufschlägt, stellt fest: Hier wohnen viele Familien mit diesem Nachnamen. 15 Einträge sind zu finden, darunter viele Privatleute, eine Gaststätte, die Schreinerei und eben der Bürgermeister. Insgesamt 54 Finauers leben in der Gemeinde. Eine Familie beherrscht ein ganzes Dorf? Dieser Eindruck täuscht. Es handelt sich um mehrere Familien, die eigentlich außer ihrem Namen nichts gemein haben. Dennoch prägt eine davon Anzing in besonderer Weise: die Familie der Zwillinge Martin und Franz, der eine mit seiner Schreinerei als wichtiger Arbeitgeber, der andere als Bürgermeister.

1920 hat Kaspar Finauer die Schreinerei neu gegründet, die 1948 sein Sohn Martin übernahm und weiter ausbaute. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat sich der ehemalige Ein-Mann-Betrieb stetig weiterentwickelt: neue Hallen, zusätzliche Maschinen, mehr Mitarbeiter. Auch Martin Finauers Zwillingssöhne - Martin junior und Franz - absolvierten im elterlichen Betrieb eine Schreiner-Lehre.

"Wir sind gar nicht gefragt worden", sagt Martin Finauer junior, der eine Stunde ältere Zwilling. "Das stimmt doch nicht", widerspricht der jüngere Franz. "Wir hätten werden können, was wir wollten." In jedem Fall mussten sie beide schon als Kinder in der Werkstatt helfen: hobeln, fegen, aufräumen. Auf Begeisterung sei das bei den Jungen nicht immer gestoßen, sagt der Bürgermeister. Doch irgendwann sei man daran gewöhnt gewesen und es habe kaum noch gestört. Denn in der Familie Finauer war immer klar, dass Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein zählen. Diesen Grundsatz haben die Brüder verinnerlicht, und er prägt sie und ihre Arbeit noch heute. Auch wenn sich die beruflichen Laufbahnen ganz unterschiedlich entwickelt haben.

Serie: "Vater, Mutter, Firma" (8): Martin Finauer senior (von links) wird die Schreinerei an seinen Sohn Martin weitergeben. Bruder Franz ist Bürgermeister.

Martin Finauer senior (von links) wird die Schreinerei an seinen Sohn Martin weitergeben. Bruder Franz ist Bürgermeister.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Denn nur einer konnte den Schreinerbetrieb übernehmen. "Das hat der Vater vorbestimmt", erzählt Martin Finauer, und diesmal stimmt der Bruder zu: "Ja, das Erbe haben die Eltern geregelt. Es ist noch nie etwas Gutes dabei rausgekommen, wenn zwei Brüder einen Betrieb leiten." Böses Blut und Neid gab es in der Familie Finauer wegen der Entscheidung nicht. Als Nachfolger stand immer der ältere Sohn Martin fest. Er leitete das Unternehmen von 1978 an gemeinsam mit dem Vater und führte die Schreinerei nach dessen Tod 1984 allein weiter, bis er sich 2014 einen Geschäftspartner suchte.

Sein Sohn, der nächste Martin junior, arbeitet inzwischen ebenfalls als Geselle im Betrieb mit - und wird die Anteile des Vaters irgendwann übernehmen. Ganz traditionell. Auch für ihn war schon immer klar, dass er einmal Schreiner wird: "Ich bin schon als Kind mit der Säge in der Hand durch die Werkstatt gelaufen." Druck von seinem Vater habe er nie erfahren, denn der will einiges anders machen als sein Vater. Dieser freut sich, dass der Sohn in seine Fußstapfen tritt, hätte aber mit einem anderen Beruf des Sprösslings umgehen können. Auch sonst versuche der Senior, die Vorgehensweise seines Vaters nicht zu imitieren, sagt der Junior. Etwa beim Thema Familie: "Wenn die Enkelkinder kommen, wird der Stift auch mal weggelegt." Irgendwann möchte der 63 Jahre alte Finauer im Betrieb einfach einmal kürzer treten und nicht wie sein Vater bis zum Ende des Lebens fast täglich in die Werkstatt kommen. Sein Sohn hingegen wünscht sich, dass die Zusammenarbeit so lange wie möglich währt: "Mein Vater ist mein Vorbild und ich bin wahnsinnig stolz auf ihn."

Halle für Honig

Begonnen hat die Geschichte der Schreinerei Finauer in Anzing im Jahr 1920 mit einer Scheune, die Kaspar Finauer von seinem Bruder zur Verfügung gestellt bekommen hat. Fünf Jahre später kaufte er das Anwesen nebenan und baute für seine Familie und das Unternehmen. Anfang der Dreißigerjahre besaß er gerade einmal eine Bandsäge, eine Kreissäge, eine Abrichte und eine Dickenhobelmaschine. Doch die Technik entwickelte sich weiter und mit dem Kriegsende kam viel Arbeit auf den Berufsstand zu. Deshalb benötigte der Betrieb neue Maschinen, zusätzliche Arbeitskräfte - und dafür Platz. Geschickt machte sich Kaspar Finauer daran, dieses Problem zu lösen. Denn neben seinem Beruf besaß er ein nützliches Hobby: die Bienenzucht. Zu damaligen Zeiten war der Honig bares Geld wert. Das machte sich der Schreinermeister zunutze und tauschte seine Ware, um einen Maschinenraum anzubauen. Dieser brachte ausreichend Platz, um 1945 einen Gehilfen und zwei Lehrlinge einzustellen.

Auch Kaspar Finauers Sohn, der eine Zeitlang als Meister in einem anderen Betrieb arbeitete, kam ins elterliche Unternehmen zurück. Er war der erste Schreiner namens Martin Finauer und Namensgeber für viele weitere. Danach verging kein Jahrzehnt, in dem nicht an- oder umgebaut wurde: Gebäude für Gebäude, Halle für Halle, Maschine für Maschine. Heute bieten die mehr als 600 Quadratmeter Platz für moderne Technik wie eine CNC-Maschine und Arbeit für zehn Personen: Neben den Geschäftsführern Martin Finauer Senior und Johann Huber sind zwei Lehrlinge und sechs Gesellen beschäftigt. Einer davon ist Martin Finauer junior. Ob sein Sohn, ebenfalls ein Martin, später auch einmal ein Schreiner wird? moje

Anders gestaltete sich die Situation bei Franz Finauer, dem Zwilling, dem die Nachfolge verwehrt blieb. Wo sich für ihn eine Tür schloss, öffnete sich eine andere. Schon während der Meisterschule entschied er sich, Lehrer zu werden; zuerst in der Berufsschule, dann an der Meisterschule, wo er Kalkulation und Betriebsplanung unterrichtete. Der Lebensmittelpunkt blieb aber trotz der Münchner Arbeitsstelle in Anzing. "Das ist eben Heimat", erklärt er. An den freien Tagen half er weiter im Büro der Familienschreinerei mit, doch die Aufgaben reichten ihm nicht. Im Alter von 26 Jahren trat er als Gemeinderat für Anzing an und wurde 2008, also 30 Jahre später, zum Bürgermeister gewählt. Die Schreinerei vermisst er nicht.

"Der Vorteil ist, dass ich nicht schauen muss, dass Aufträge reinkommen", sagt er und lacht. Sein Bruder Martin hingegen müsse sich mit wachsendem Konkurrenzdruck herumärgern. Doch auch der jüngere der Zwillingsbrüder hat im Job immer wieder zu kämpfen: mit großen Themen wie aktuell der Flüchtlingsunterbringung, mit kleinen Nachbarschaftsstreitigkeiten, und einmal auch wegen seiner Familie. Als er 2010 den neuen Schreibtisch für sein Bürgermeisterzimmer selbst zeichnete und vom Bruder fertigen ließ, ohne den Auftrag auszuschreiben, wurde schnell der Verdacht der Vetternwirtschaft laut.

Auch Franz Finauers Fußstapfen bleiben nicht völlig unberührt. Denn wie sein Bruder hat er es geschafft, die Begeisterung für seine Tätigkeit in der Gemeinde an einen Sohn weiterzugeben. Johannes Finauer arbeitet seit 2002 im Anzinger Bauamt in der Verwaltung und ist dort für den Hochbau, Gebäude- und Straßenunterhalt zuständig. Doch in der Politik tätig werden will er nicht. "Ich bin natürlich stolz auf den Vater", sagt er. "Aber ich habe auch die Kritik mitbekommen, die er einstecken musste." Um damit umzugehen, braucht es ein dickes Fell. Dieses haben sich die Zwillinge Finauer offenbar bewahrt. Der ruhigere sowie der offenherzige Bruder haben sich entschlossen, führende Positionen in ihrem Ort einzunehmen. Vielleicht weil sie in eine Familie geboren wurden, in der Zusammenhalt großgeschrieben wurden. "Der Betrieb hat beide geprägt, eine gewisse Verantwortung zu tragen", ist sich Johannes Finauer sicher. "Familiär und auch gesellschaftlich."

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