Amtsgericht Erding:Unfallopfer trägt die Hauptschuld

Richter sieht die Unvorsichtigkeit der Geschädigten beim Abbiegen als die Unfallursache - und nicht das "flotte Tempo" und die 0,64 Promille Alkohol im Blut des Angeklagten

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Nach der Verlesung der Anklage sah es nach einer klaren Sache aus: Der 23-jährigen Angeklagte war mit 0,64 Promille und überhöhter Geschwindigkeit ins Auto einer Frau gekracht, die auf dem Park-and-Ride-Platz am S-Bahnhof Erding nach links in eine Parklücke fahren wollte. Doch die Zeugenaussagen bestätigten das nicht in dieser Form. Vielmehr war Richter Andreas Wassermann am Ende überzeugt, dass das Hauptverschulden an dem Unfall, bei dem fünf Autos zum Teil schwer beschädigt und zwei Personen verletzt wurden, bei der abbiegenden Frau lag. Sie habe die Situation falsch eingeschätzt und die Vorfahrt des Angeklagten missachtet. Der 23-Jährige wurde dennoch zu einer Geldstrafe von 1000 Euro und einen Monat Fahrverbot verurteilt. Er habe die generelle Sorgfaltspflicht beim Autofahren verletzt.

Zwei Stunden waren für die Gerichtsverhandlung angesetzt, da viele Zeugen geladen waren. Letztlich kamen aber nur der Beifahrer des Angeklagten, die Fahrerin und Beifahrerin im gerammten Auto und drei Passanten, die zufällig zur Tatzeit am Park-and-Ride-Platz waren. Die am Unfall unbeteiligten Passanten einigte eines: keiner hatte den Unfall gesehen, sondern nur gehört, als es am 16. November vergangenen Jahres gegen 19.25 Uhr in der Dunkelheit und bei Regen gekracht hat. Einigkeit herrschte nur darüber, dass der 23-Jährige zu schnell in der Tempo 30-Zone gefahren sei. Aber dann teilten sich die Meinungen. Einer sagte, der junge Mann habe stark beschleunigt, ein anderer wollte Bremsgeräusche vor dem Zusammenstoßes gehört haben. Das abbiegende Auto habe aber wohl geblinkt, meinten alle drei.

Der Angeklagte räumte über seinen Verteidiger ein, ein wenig zu schnell gefahren zu sein. Er sei eben ein "dynamischer Fahrer", sagte er auf Nachfrage von Richter Wassermann. Fahruntüchtig haber er sich nicht gefühlt. Am Nachmittag habe er zwei Bier getrunken und eines kurz vor der Fahrt. Auch sein Beifahrer sagte, er sei ihm völlig normal vorgekommen, was auch der untersuchende Arzt nach dem Unfall feststellte: rotz 0,64 Promille sei keine Fahruntüchtigkeit zu erkennen gewesen. Der 23-Jährige sagte, er habe das Auto der Geschädigten schon von weitem gesehen, als es langsam über den Parkplatz gefahren sei. Aber als er unmittelbar davor war, sei das Auto abrupt nach links gebogen. Er habe nicht mal mehr bremsen können. Die Beifahrerin der Geschädigten sagte, dass man wegen der Parkplatzsuche langsam gefahren sei. Das andere Auto habe sie erst gesehen, als es gekracht habe. Die Fahrerin sagte, es sei "wie aus dem Nichts" aufgetaucht.

Für den Verteidiger hatte sich der Unfall so abgespielt: Es war dunkel, hat stark geregnet und die Autofahrerin, die eine Brille mit zwölf Dioptrien trägt, habe das entgegen kommende Auto einfach falsch eingeschätzt. Selbst bei vorschriftsmäßigem Tempo hätte sein Mandant den Zusammenstoßt nicht mehr verhindern können. Das sei einfache Mathematik, wie viel Meter ein Auto bei Tempo 30 oder 50 zurücklege. Auf ein teures Sachverständigengutachten, um die exakte Geschwindigkeit zu ermitteln wurde verzichtet.

Auch der Staatsanwalt kam zum selben Schluss. Die Abbiegende habe das herannahende Auto offenbar falsch wahrgenommen. Dennoch hätte der Angeklagte eine Mitschuld, sagte der Staatsanwalt und beantragte eine Geldstrafe von 2000 Euro sowie einen Monat Fahrverbot. Letzteres wegen der Ordnungswidrigkeit, die 0,5-Promillegrenze überschritten zu haben. Da der 23-Jährige allerdings bislang weder irgendwie straffällig aufgefallen ist und auch keine Einträge in Flensburg hat, sah auch Richter Wassermann dies so. Die Geschädigte trage die Hauptschuld, sie habe einen "qualifizierten Abbiegeverstoß" begangen. Dennoch hätte der Angeklagte jederzeit so fahren müssen, dass er rechtzeitig anhalten hätte können. Auch ohne Alkohol wäre der Unfall aber wohl passiert. Zudem sei er "flott gefahren". Also lag auch bei ihm ein Mitverschulden vor.

Wer jetzt den Schaden von insgesamt 26 000 Euro an den Autos zahlt, ist freilich noch offen. Die Versicherung des Angeklagten hatte sich bisher geweigert, da ihr Versicherungsteilnehmer unschuldig sei. Jetzt trägt er laut Gericht zumindest eine geringe Teilschuld.

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