Equality-Turnier:Wenn Frau mit Frau und Mann mit Mann tanzt

Equality-Turnier: Auch beim gleichgeschlechtlichen Tanzen braucht es immer einen, der führt. Führungswechsel allerdings fließen positiv in die Wertung ein.

Auch beim gleichgeschlechtlichen Tanzen braucht es immer einen, der führt. Führungswechsel allerdings fließen positiv in die Wertung ein.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das organisierte schwullesbische Tanzen gibt es in München schon seit drei Jahrzehnten. Die ersten Equality-Turniere wurden noch kritisch beäugt.

Von Gregor Bauernfeind

Der Blick durchs Fenster der Bar im Schlachthofviertel - Bierbänke, bis an die Decke sich stapelnde Augustiner-Kästen - lässt Rustikales vermuten. Nur ganz leise klingt durch die Tür südamerikanische Musik und führt den Besucher an der Edelstahlbar vorbei in den Nebenraum, wo sich eine kleine Tanzfläche auftut. Eng umschlungen gleiten dort Frauenpaare und Männerpaare übers Parkett. Tango Argentino. Sinnlicher, zärtlicher geht es hier zu als beim zackigen Standardtango.

Das TanzTeam München probt eine Milonga. Pausenmusik fordert zum Partnerwechsel auf. Doch nur wenige Tänzerinnen und Tänzer setzen sich in Bewegung, um sich an den Tischen zu unterhalten oder vom Mitgebrachten zu essen. Die meisten Paare bleiben zusammen stehen und warten auf ihren Einsatz. Neue Runde.

Dass lesbische und schwule Paare in der Öffentlichkeit miteinander tanzen, ist für manche immer noch keine Selbstverständlichkeit. "Die Leute schauen", sagt Bernd Müller vom TanzTeam München. Müller ist die zentrale Figur des gleichgeschlechtlichen Tanzens in der Stadt. Wenn er von den Anfängen des schwullesbischen Tanzens, das damals noch nicht unter seinem heutigen Namen Equality-Tanzen bekannt war, erzählt, wird deutlich, wie viel sich seitdem in Sachen Akzeptanz verändert hat.

Als der schon in jungen Jahren in Vereinen und auf Turnieren tanzende Müller 1989 vom Bodensee nach München zog und sich offen zu seiner Homosexualität bekannte, saß vielen Lesben und Schwulen in der Landeshauptstadt noch der "Gauweiler-Schock" in den Knochen. Der CSU-Politiker hatte in den 80er-Jahren beim Versuch, das damals noch beängstigend unbekannte Aids zu bekämpfen, auch Homosexuelle als Verbreiter ausgemacht und wollte mit scharfen Repressalien gegen die schwullesbische Szene vorgehen.

Es gab Anti-Gauweiler-Demos, viele Homosexuelle verließen damals die Stadt, erzählt Müller. "Die Leute hatten Angst vor Schwulen", beschreibt er das gesellschaftliche Klima, in dem er 1989 die ersten Abende für gleichgeschlechtliche Tanzpaare in Räumen der evangelischen Kirchengemeinde organisierte. Direkte Anfeindungen hätte die Tanzgruppe damals aber nicht erfahren. Über 100 Tänzerinnen und Tänzer kamen zu den ersten Treffen der Gruppe, die sich bald "Lust" nannte. Intern stand die Abkürzung für "Lesbisches und Schwules Tanzen", offiziell vorsichtshalber für "Latein- und Standardtanzen" - so weit war man damals dann auch wieder nicht.

Seitdem hat sich in der Stadt vieles zum Besseren gewandelt, sagt Müller. Ein entscheidender Moment sei der Einzug der Rosa Liste in den Stadtrat gewesen. "Als Spitzenkandidat Thomas Niederbühl 1996 auf dem Rathausbalkon stand, habe ich alte, schwule Männer weinen sehen", erzählt Müller. Aber auch die tolerante Politik der Stadtregierung lobt er ausdrücklich. In München tanzen heute 500 gleichgeschlechtliche Tänzerinnen und Tänzer, allein 150 davon beim TanzTeam München, der Tanzsparte des schwul-lesbisch-transgender Sportvereins Team München, die 2014 von einer Gruppe ehemaliger "Lust"-Mitgliedern um Bernd Müller gegründet wurde.

Klassische Rollenbilder gibt es nicht

Für Standardtänze wie Wiener Walzer, Foxtrott und Rumba, aber auch für Ausgefalleneres wie den Tango Argentino treffen sich die Mitglieder in Schulturnhallen oder Nebenräumen von Kneipen. Neben den vielen Hobbytänzern - "die meisten wollen hingehen und einfach Spaß haben", sagt Bernd Müller - betreiben einige Mitglieder auch ambitionierten Tanzsport.

Als Mitte der 90er-Jahre die ersten Equality-Turniere stattfanden, wurden gleichgeschlechtliche Tanzpaare von der etablierten Tanzszene noch kritisch beäugt. "Ich glaube, nur Faschingsvereine sind noch konservativer als Tanzvereine", sagt Bernd Müller. Um deren Anerkennung kämpfen wollte man aber nicht unbedingt, sagt er. Man sei aber schon froh gewesen, als Equality-Tanzen 2010 als eigene Sparte in den Deutschen Tanzsportverband aufgenommen wurde.

Seit zwei Jahren trainieren drei Turnierpaare aus dem TanzTeam auch beim Tanzsportclub Savoy. Der richtet am Samstag, 18. März, sein erstes Equality-Turnier im Clubheim in der Neumarkter Straße 71 aus. Es werden 30 Paare aus Deutschland und Europa erwartet. Dort tanzt Frau mit Frau und Mann mit Mann, einen eigenen Tanzstil hat die Equality-Szene aber nicht hervorgebracht. "Warum auch?", fragt Müller. Es brauche beim Tanzen eben immer jemanden, der den Takt vorgibt und führt, und jemanden, der folgt.

Klassische Rollenbilder werden deshalb aber nicht nachgespielt: "Mein Partner tanzt nicht wie ein Damenimitator", sagt Müller. Die einzige tänzerische Besonderheit bei Equality-Turnieren sei der Führungswechsel, der positiv in die Bewertung einfließt. Der größte Unterschied zu herkömmlichen Turnieren liege ohnehin im Drumherum, in der Atmosphäre, sagt Gabi Dietmann, Turniertänzerin und Vorstandsmitglied beim TanzTeam. Nicht bierernst und wettbewerbsorientiert seien sie, "sondern ein rauschendes Fest".

Die positive Atmosphäre und das Miteinander lockt auch heterosexuelle Tänzerinnen und Tänzer zum TanzTeam. Simone Hofmann etwa tanzt beim Tango Argentino und bei den Standard- und Lateintänzen mit Männern wie mit Frauen. Sie schätzt die Offenheit der Gruppe und dass sie dort auch als Frau den Takt vorgeben kann. "Denn auch Frauen wollen und können beim Tanzen natürlich führen", sagt sie. Frauen sehe man aber viel öfter beim TanzTeam als heterosexuelle Männer, räumt Bernd Müller ein. Oft gelte immer noch: "Ein heterosexueller Mann fasst einen anderen Mann nicht an."

Ein Grund mehr für Müller, das gleichgeschlechtliche Tanzen weiterhin auch als ein Stück Gesellschaftspolitik zu sehen, wie er sagt. So wie Anfang der 90er-Jahre, als er beim Tanzen mit männlichen Partnern auf Faschingsbällen noch für mehr Aufsehen sorgte als es heute der Fall wäre. So wie bei der Auszeichnung zu Münchens Sportler des Jahres, die er gemeinsam mit Tanzpartner Gerhard Hummel 2015 für seinen Deutschen Meistertitel im Equality-Tanzen erhielt - als erster offen schwuler Sportler. Denn, wie Müller sagt: "Ich tanze nicht nur Figuren und Schritte. Ich sehe gleichgeschlechtliches Tanzen auch als Statement."

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