Endlosschleife:Weihnachtliches Recycling

Endlosschleife: Ein Amerikaner in München: der Künstler JJ Jones.

Ein Amerikaner in München: der Künstler JJ Jones.

(Foto: Verena Gremmer)

JJ Jones lässt 24 Stunden lang den Song "Stille Nacht" performen

Von Jennifer Lichnau

Schwermut mischt sich mit aufgezwungener Besinnlichkeit und übertriebenem Kitsch: Weihnachten. Eine Zeit, wie gemacht für den Performance-Künstler, der sich JJ Jones nennt. "Eine Schmerzgrenze, die habe ich nicht", sagt er und lacht. Der Beweis dafür ist sein Projekt "Same Old Song". Jones sucht sich dafür ein Lied aus, das jeder kennt und keiner mehr hören kann. Ein Lied, das dann von verschiedenen Musikern in unterschiedlichster Weise performt wird, stundenlang. Diesmal ist es das traditionelle Weihnachtslied "Stille Nacht". 24 Stunden am Stück soll es am 23. Dezember im Club Milla in München (Beginn: 13 Uhr) gespielt werden und dabei neue Formen annehmen.

Jones, 49, liebt es bunt und ausgefallen - und er liebt das Spiel mit dem Kitsch. Wenn Ritual zum Zwang wird und "Last Christmas" so oft im Radio läuft, dass es schon mehr Gebet als Weihnachtshymne ist. Wie ein Mantra wird es gespielt, ohne Gnade. Es ist kommerzialisierte Spiritualität in der Reinform.

Ursprünglich kommt Jones aus Detroit. Eine graue Industriestadt in den USA, gebeutelt von der Finanzkrise. Dort hat er an dem Dokumentarfilm "Come unto me" über das "Heidelberg Project" mitgearbeitet, der einen Emmy, den bedeutendsten Fernsehpreis der USA gewonnen hat.

Was den facettenreichen Exzentriker nach Deutschland gebracht hat? Es war, wie so oft, die Liebe. 20 Jahre lang war er mit einer Deutschen zusammen, hat mit ihr in Berlin gelebt.

In Berlin mit seiner Kunst aufzufallen ist schwer. Anders ist es in München. "Hier waren die Türen offen", sagt Jones. Er spricht hervorragend Deutsch, aber sein amerikanischer Akzent ist nicht zu verbergen. "Ich mag Bayern. Man kommt mit den Leuten klar. Vielleicht ist es ein Klischee, aber Amerikaner und Bayern ähneln sich sehr, in ihrer Leichtigkeit und ihrem Humor", sagt Jones. Und er fühlt sich wohl hier, ohne Zweifel.

Er wohnt in Schwabing und nennt es seinen "Kiez". Als er ein kleines Café betritt, grüßt ihn nicht nur der Besitzer, sondern auch die restlichen Gäste. Er trägt eine Jeans und ein Hemd, seine schulterlangen roten Haare sind zurückgebunden. Gehalten wird seine Hose von einem grünen Gürtel, der glitzert. Geradezu als müsste zumindest ein Kleidungsstück darauf hindeuten, dass er Künstler ist, dass er es ausgefallen mag.

Dabei schätzt Jones München vor allem, weil es eben nicht ausgefallen ist. Wenn er über die Stadt spricht, die zur geliebten Wahlheimat geworden ist, fallen die Worte "bequem" und "traditionell". Am Mittwoch zelebriert er Weihnachten - und zwar so, dass es auch ein bisschen weh tut: "Stille Nacht" in der Endlosschleife, mal poppig, mal schief. "Für mich ist es ein Genuss, wenn ich weiß, es sind Leute im Publikum, die dieses Lied hassen", sagt Jones und grinst breit, "gerade das macht es interessant."

Doch es geht Jones nicht nur um Show und Aufmerksamkeit, es steckt auch eine Botschaft dahinter. Gerade an Weihnachten versuchen Menschen, Probleme zu umgehen: Ungeliebte Verwandte werden nicht besucht, leidige Themen werden nicht angesprochen, bestimmte Lieder werden nicht gehört. Genau dort möchte Jones ansetzen. "Anstatt etwas zu hassen, soll man es nehmen und zu etwas Eigenem machen," sagt er. Neu verwerten. Weihnachtliches Recycling sozusagen. Und so, erhofft sich Jones, den vorherrschenden Schwermut umzukippen.

Aber nicht nur dem Publikum soll "Same Old Song" eine Bereicherung sein. "Auch für die Musiker ist es ein Geschenk", sagt Jones, "denn es gibt eine Bühne, es gibt ein Publikum und es gibt völlige Freiheit." Keiner wird ausgeschlossen, jeder darf mitmachen. "Und es wird niemals langweilig", sagt Jones. Münchner Musiker, gediegenes Münchner Publikum, hungrig nach schrägem Kitsch und er, der Performer, mittendrin. Radio München sendet die Show live aus dem Milla. Auch ansonsten möchte Jones alle Kanäle nutzen. Ein Künstler aus Toronto soll per Video zugeschaltet werden.

An Heiligabend mag es Jones dann aber doch besinnlich. Einen gemütlichen Abend zu Hause, mit Freundin und Sohn und gutem Essen. Schlicht - und einmal ganz ohne Kitsch.

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