Ende mit Festnahmen:Höhenretter beenden Baumbesetzung

Obwohl die Polizei bei der Räumung des Protestcamps darauf vorbereitet war, dass Demonstranten auf Bäume klettern würden, konnte sie die Aktion einiger Flüchtlinge und Unterstützer nicht verhindern

Von Martin Bernstein und Christian Gschwendtner

Nach Beendigung des Hungerstreiks von Flüchtlingen am Sendlinger Tor werden Kreisverwaltungsreferat (KVR) und Münchner Polizei beraten, welche Konsequenzen aus den Ereignissen der Nacht zum Samstag gezogen werden müssen. Denn noch während das Protestcamp am Freitagabend von KVR und Polizei geräumt wurde, kletterten 18 Personen - Flüchtlinge und Unterstützer - auf zwei Bäume vor dem Sendlinger Tor. Als am Freitagabend mehrere hundert Polizisten am Sendlinger Tor anrückten, nachdem Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle um 17.19 Uhr den Hungerstreik für beendet erklärt hatte, hatte sich eine Gruppe von Flüchtlingen und Unterstützern heimlich davongemacht. Die Demonstranten wechselten vom Trambahnrondell auf die gegenüberliegende Straßenseite und klettern dort auf einen 25 Meter hohen Ahornbaum.

Die Polizei war auf eine derartige Aktion eigentlich vorbereitet gewesen. Denn bereits 2014 waren Flüchtlinge nach einem Hungerstreik am Sendlinger Tor auf Bäume geklettert. Wieso das auch diesmal passieren konnte, blieb am Sonntag zunächst offen. Man werde die Ereignisse der Nacht - erst um 4.30 Uhr war der letzte Baumbesetzer von Spezialeinsatzkräften der Höhenrettung wieder sicher auf den Boden gebracht worden - behördenübergreifend nachbereiten, sagte ein Polizeisprecher.

Die Räumung des Camps war zunächst reibungslos vonstatten gegangen. Die Flüchtlinge zeigten sich kooperativ. Es gab keine Zwischenfälle, keine neuen Rettungseinsätze. Um 19.12 Uhr teilte die Polizei mit, die Versammlungsörtlichkeit sei "vollständig geräumt". 62 Menschen hatten bis zuletzt an der Protestaktion und am Hungerstreik teilgenommen. Dann ließ das KVR das Camp räumen, um die Gesundheit der Protestierenden nicht zu gefährden. Wie richtig diese Einschätzung gewesen war, zeigte sich bei der Abwanderung der Teilnehmer, als mehrere Flüchtlinge Kreislaufprobleme bekamen, medizinisch versorgt und in umliegende Krankenhäuser gebracht werden mussten. Der Sprecher der Flüchtlinge, Adeel Ammed, kritisiert allerdings das KVR: "Warum hat man unseren Protest beendet? Wir waren noch nicht so krank, das ist nicht fair."

Vor der Matthäuskirche war relativ schnell alles wieder blitzblank, die Paletten waren sauber aufeinander gestapelt, der Abfall war in blauen Müllsäcken verstaut. "Vorbildlich", entfuhr es einem staunenden Polizisten. Unübersichtlich entwickelte die Lage sich dagegen vor dem Sendlinger Tor, als auch noch ein zweiter Baum besetzt wurde. Die Polizei musste "unmittelbaren Zwang" anwenden, um die Besetzung weiterer Bäume zu verhindern. Schließlich saßen 18 Menschen auf den beiden Bäumen, nicht nur aus der Unterstützerszene, wie zunächst von Polizei und KVR vermutet. Auch Flüchtlinge waren darunter. Man werde "notfalls bis zum Tod alles in Kauf nehmen", hätten zwei der Besetzer die Beamten wissen lassen. Mit dabei Adeel Ammed und Muhammad Qasim, die beiden Sprecher des Flüchtlingskollektivs. Qasim hatte noch wenige Stunden davor verkündet, man werde in den trockenen Hungerstreik treten, also auch nichts mehr trinken. Das hatte das Eingreifen der Behörden ausgelöst. Das Camp war ursprünglich bis zum 14. November genehmigt gewesen.

Die Zahl der Unterstützer wuchs von zunächst 20 auf schließlich rund 60 Personen. 13 von ihnen bildeten einen dichten Ring um einen der Bäume. Sie hängten ein blau-weiß gestreiftes Banner auf, auf dem zu lesen war: "Deutschland soll sich schämen! Sofortiger Stop aller Abschiebungen." Dazu skandierten Baumbesetzer und Unterstützer: "Kein Mensch ist illegal. Bleiberecht überall".

Die Baumbesetzung war als "Folgeveranstaltung" im Auflagenbescheid des KVR untersagt worden. Es sei aber auch um eine Gefahrenabwägung gegangen: Der angekündigte Wintereinbruch, der vorangegangene Hungerstreik und die prekäre Lage in der Baumkrone - man habe Gefahren für Leib und Leben der Flüchtlinge abwehren müssen, so die Polizei. Man sei aber darauf bedacht, die Verhältnismäßigkeit zu wahren, sagte Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins in der Nacht. Und das hieß: zunächst versuchen, zu deeskalieren und die Kommunikation zu suchen. Das sei jedoch nicht gelungen, sagte die Polizei am Samstag. Die Demonstranten hätten sich "uneinsichtig und ablehnend" gezeigt. Daraufhin wurde die Auflösung der Versammlung mit Lautsprecherdurchsagen verkündet. Gegen 0.45 Uhr entfernten Polizei und Feuerwehr die Fahrradständer unter den Bäumen und legten Sprungkissen, Weichbodenmatten und Strohballen aus. 45 Minuten später nahm die Polizei die Baumumsteller in Gewahrsam. Einer letzten Aufforderung, die Bäume zu verlassen, folgten zunächst zwei, später weitere sieben Besetzer. Dann rückte das Höheninterventionsteam der Polizei an. Die ausgebildeten Kletterer seilten sich von einem Spezialkran aus 23 Metern Höhe ab und holten die verbliebenen Demonstranten nach und nach aus den Bäumen. Verletzt wurde dabei niemand. Die Demonstranten leisteten keinen aktiven Widerstand. Fünf Personen wurden dennoch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte festgenommen, insgesamt 15 Menschen bei der Aktion in Gewahrsam genommen.

Um 4.30 Uhr war am Samstagmorgen alles vorbei. Der Protest am Sendlinger Tor gegen die deutsche Flüchtlingspolitik war beendet. Seitdem hätten Streifen keinerlei Auffälligkeiten mehr gemeldet, teilte ein Polizeisprecher am Samstagmorgen mit. Die Polizei blieb jedoch wachsam. Nicht noch einmal sollten Demonstranten unter ihren Augen Bäume besetzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: