Nahverkehr:Warum die MVG (noch) nicht auf Elektrobusse setzt

Projekt 'Innovationslinie 109' gestartet

In Hamburg wird die Buslinie 109 ausschließlich durch Busse mit innovativen Antriebstechniken betrieben.

(Foto: Ulrich Perrey/dpa)
  • Auf einer der Innenstadtlinien in Hamburg probiert das städtische Verkehrsunternehmen verschiedene alternative Antriebe für die Busse aus.
  • Ein diesel-elektrischer Plug-In-Hybridbus kommt zum Einsatz, zudem Hybridfahrzeuge mit Brennstoffzelle, ein Gelenkbus von Solaris mit einer großen Batterie an Bord.
  • In München hat der Stadtrat ein 30-Millionen-Euro-Programm zur Förderung der E-Mobilität aufgelegt - doch die MVG gibt sich zurückhaltend.

Von Marco Völklein

Wenn alle Fahrgäste eingestiegen sind, alle ihren Fahrschein vorgezeigt und Platz genommen haben, dann schaut Joachim Will gerne mal in den Innenspiegel. Mit dem hat er das Innere seines Volvo-Busses gut im Blick. Und mit dem kann er sehen, wie die Fahrgäste auf sein Gefährt reagieren. "Viele Gespräche finden dann nur noch im Flüsterton statt", berichtet Will, der seit 30 Jahren als Busfahrer bei der Hamburger Hochbahn arbeitet. Andere Passagiere erschrecken, wenn ihr Handy klingelt und der Ton deutlich lauter ist als in einem anderen Bus. Denn Will steuert nicht irgendeinen Bus durch die Hamburger City, sondern einen mit Elektroantrieb. Und der ist deutlich leiser als jeder andere Bus.

Um ganz genau zu sein, ist Busfahrer Will in einem Fahrzeug mit kombiniertem Diesel-Elektro-Antrieb unterwegs. Jeweils an den Endhaltestellen der zehn Kilometer langen Linie 109 stellt er den Bus unter einer großen Ladesäule ab. Sobald er die Bremse anzieht, senkt sich aus der Säule automatisch ein Pantograf herab, um Strom zuzuführen; über zwei Kontaktschienen auf dem Dach saugen sich die Akkus binnen sechs Minuten mit Strom voll. Mit dieser Energie geht Will kurz darauf erneut auf die Strecke, die einmal quer durch die Hamburger Innenstadt führt. Allerdings schafft sein Bus die zehn Kilometer nicht ganz mit der Energie aus den Batterien. Nach gut sieben Kilometern schaltet sich der Dieselmotor zu, um den Rest der Strecke zu bewältigen.

"Innovationslinie" durch die Innenstadt

Wills Hybrid-Volvo ist nicht der einzige außergewöhnliche Bus auf der Linie 109, die die Hochbahn-Leute im Dezember etwas großspurig zur "Innovationslinie" ernannt haben. Auf der Strecke will das städtische Verkehrsunternehmen in den kommenden Jahren verschiedene alternative Antriebe ausprobieren. So sind neben Wills diesel-elektrischem Plug-In-Hybridbus auch Hybridfahrzeuge von Mercedes mit Brennstoffzelle im Einsatz, seit Kurzem außerdem noch ein Gelenkbus von Solaris mit einer großen Batterie an Bord, die notfalls von einer eingebauten Brennstoffzelle mit zusätzlichem Strom versorgt werden kann. Außerdem will die Hochbahn im nächsten Jahr noch reine Batterie-Busse beschaffen, die ebenfalls als auf der Linie 109 zum Einsatz kommen sollen.

Die Idee dahinter: "Wir wollen in der Praxis Erkenntnisse und Erfahrungen sammeln zu den verschiedenen Antrieben - und zwar unter identischen Rahmenbedingungen auf einer Linie", sagt Gerhard Schenk, Bereichsleiter Unternehmenssteuerung bei der Hamburger Hochbahn AG, die die U-Bahnen und Busse betreibt. Mehr als 15 000 Fahrgäste sind auf der Linie pro Tag unterwegs, von der Endhaltestelle Alsterdorf im Norden geht es quer durch dicht besiedelte Wohngebiete und die Haupteinkaufsstraße, die Mönckebergstraße, bis zum Hauptbahnhof. An der dortigen Endhaltestelle stehen ebenfalls zwei dieser futuristisch anmutenden Ladesäulen. Das Unternehmen habe die prominente Strecke auch wegen der "besseren Wahrnehmbarkeit" ausgewählt, sagt Schenk: "So demonstrieren wir, was wir mit elektrischen Antrieben erreichen wollen und können - eine höhere Lebensqualität in der Stadt."

Tatsächlich hat der Senat unter SPD-Bürgermeister Olaf Scholz die Hochbahn dazu verpflichtet, vom Jahr 2020 an nur noch emissionsfreie Busse zu beschaffen, um etwa in der Klimapolitik und bei der Luftreinhaltung voranzukommen (was freilich nur klappt, wenn auch der Strom aus regenerativen Quellen stammt). Auf welche Technik die Hochbahn dann setzen wird, ob auf Wasserstoffantrieb in Brennstoffzellenbussen, ob auf batteriebetriebene Busse mit Zwischenladung oder auf Fahrzeuge, deren Akkus über Nacht gefüllt werden - "all das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen", sagt Hochbahn-Manager Schenk. Antworten soll der Großversuch liefern. "In ein paar Jahren", sagt Schenk, "haben wir hoffentlich die Antworten auf all diese Fragen." In der Zwischenzeit will sich die Stadt als "Entwicklungslabor für moderne Antriebstechnologien im Busbereich" präsentieren, wie Bürgermeister Scholz sagt.

Andere Städte sind deutlich langsamer unterwegs

Auch in anderen Städten laufen solche Versuche, wenn auch in deutlich kleinerem Maßstab: So gingen in Berlin im Juli vier E-Busse des polnischen Herstellers Solaris auf die dortige Erprobungslinie 204, in Köln beschafft der städtische Verkehrsbetrieb acht Elektrogelenkbusse des Herstellers VDL, um eine sieben Kilometer lange Linie komplett von Diesel- auf Elektrobetrieb umzustellen. Auch Braunschweig experimentiert seit dem Frühjahr 2014 mit E-Bussen. Und München? Immerhin hat der Stadtrat ein 30-Millionen-Euro-Programm zur Förderung der E-Mobilität aufgelegt. Branchenkenner wie der Buchautor Michael Valentine-Urbschat ("Elektrisiert") fordern schon länger, auch in München vollelektrisch angetriebene Busse einzusetzen, um so "elektrisches Fahren für die Bürger erlebbar zu machen".

Tatsächlich erhält die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) aus dem städtischen Fördertopf in den nächsten Jahren 1,35 Millionen Euro, um zwei vollelektrisch angetriebene Busse zu kaufen und diese länger zu testen. Vier Angebote seien mittlerweile eingegangen, sagt MVG-Chef Herbert König. Aus denen wähle man nun aus. Anfang 2016 sollen die Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Zudem testet die MVG seit Jahren vier Hybridbusse, weitere sechs Fahrzeuge mit rein elektrischem Antrieb waren probeweise jeweils für kurze Zeit im Einsatz.

Die MVG hält sich bislang zurück

Ansonsten aber hält sich König bei dem Thema eher zurück. Noch stehe die Technologie am Anfang. Daher sei es jetzt auch noch zu früh, um teure Investitionsentscheidungen zu treffen. Denn: Allein mit dem Kauf von E-Bussen ist es nicht getan. Setzt ein Betrieb auf Fahrzeuge mit Brennstoffzelle, benötigt er Tankanlagen für den Wasserstoff. Kauft er rein batteriebetriebene Busse, müssen Ladestationen errichtet werden - entweder an den Endhaltestellen oder in den Betriebshöfen. Oder man lässt die Busse unterwegs per Pantograf an Oberleitungen nachtanken. Die Fahrer müssten geschult, das Wartungspersonal für die jeweiligen Techniken qualifiziert werden. "Derzeit gibt es 20 verschiedene Entwicklungslinien", sagt König. Und niemand wisse, was sich am Ende durchsetzt.

Das räumt auch Hochbahn-Manager Schenk ein. Allein bei den Brennstoffzellen-Bussen habe sich der Wasserstoffverbrauch in den vergangenen 15 Jahren in etwa halbiert. "Das zeigt, mit welch riesigen Entwicklungssprüngen wir bei dieser Technologie unterwegs sind", sagt Schenk. Zugleich weckt dies aber bei ihm auch "die große Hoffnung, dass sich serienreife Fahrzeuge relativ rasch abzeichnen". Vier bis fünf Jahre werde das allerdings noch dauern - da sind sich Schenk und König einig.

In München sind mehr Fahrgäste elektrisch unterwegs

Hinzu kommt, dass die MVG bereits heute einen größeren Anteil der Verkehrsleistung elektrisch erbringt als dies Hamburg tut: So sind an der Isar etwa 80 Prozent der Fahrgäste mit (elektrisch angetriebenen) U- und Trambahnen unterwegs, an der Alster beträgt der Anteil 66 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass die Hansestadt sich in den Siebzigerjahren von ihren Straßenbahnen verabschiedet hat. Heute übernehmen in Hamburg viele Metro-, Schnell- und Eilbus-Linien Aufgaben, die in München die Trambahn erledigt. Insofern hat die Hansestadt einen gewissen Nachholbedarf - auch weil sich Bürgermeister Scholz im Wahlkampf klar gegen die Widereinführung eines Hamburger Stadtbahn-Systems ausgesprochen hatte. Da ist es nur verständlich, dass er die Hochbahn nun massiv auf E-Busse setzen lässt.

Kritiker unterstellen gar, die Sache mit der Innovationslinie sei nicht mehr als ein "Marketing-Gag". Die Hochbahn-Leute weisen das allerdings weit von sich: "Wer das sagt, kann kein Experte für innovative Antriebe sein." Laut lokalen Medien beschweren sich zudem Fahrgäste darüber, dass die innovativen Antriebe immer mal wieder ausfallen. Passagiere müssen aussteigen und Abschlepp-Trucks rücken an, um die blockierten Ladesäulen an den Endhaltestellen frei zu räumen. Natürlich seien die Fahrzeuge Prototypen, sagt Busfahrer Will: "Die haben ihre Kinderkrankheiten." Mittlerweile habe man diese aber weitgehend im Griff. Ohnehin müssten die Abschlepper nur ein- bis zweimal pro Monat anrücken, und das bei im Schnitt 8700 Fahrten monatlich auf der Strecke, ergänzt Hochbahn-Manager Schenk. Interne Vorgabe sei es, den Probebetrieb der verschiedenen E-Busse "auf keinen Fall auf dem Rücken der Fahrgäste auszutragen"; notfalls schicke man Bereitschaftsbusse auf die Strecke. Vielmehr gehe es darum, "bei den verschiedenen Technologien voranzukommen".

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