Einzelhandel in München:Wo Sankt Bürokratius das Sagen hat

Mal Kaffee an die Kundschaft ausschenken oder einen Blumenkübel aufstellen - alles nicht so einfach, weil die Stadt da meistens auch die Hand aufhält

"Stöckelschuhtauglich reicht nicht" vom 27. April über eine Diskussion mit Münchner Traditions-Einzelhändlern sowie "Letzte Reise" vom 29./30. April über das Aus für die Münchner Geo-Buchhandlung:

Sie berichteten anschaulich über die prekäre Situation, in der sich große und mittlere Einzelhandelsgeschäfte in der Münchner Innenstadt befinden. Ich verfüge über einschlägige Erfahrungen mit einem kleinen Laden, einer Boutique für fair gehandelte ökologische Mode in der Maxvorstadt, und hätte ein paar Anmerkungen.

Eigentlich sollte man meinen, dass die Stadt derartige Geschäfte als Bereicherung ansieht und den Versuch, etwa mit fairem Handel eine Existenz zu gründen, nach Kräften unterstützt. Sorgen doch kleine Geschäfte für das Flair einer Straße, wirken dem Aussterben der Innenstädte entgegen und bringen nicht zuletzt Gewerbesteuer. Zudem dürfte inzwischen bekannt sein, dass der Einzelhandel durch hohe Mieten und einen rabiaten Online-Handel in seiner Existenz gefährdet ist. Umso mehr nimmt es Wunder, mit welchen bürokratischen Hürden und finanziellen Belastungen (auch) die kleinen Läden konfrontiert werden.

Einzelhandel in München: Der Einzelhandel (im Bild: der schließende Geo-Buchladen in München) hat's auch nicht leicht: Internetkonkurrenz, städtische Bürokratie . . .

Der Einzelhandel (im Bild: der schließende Geo-Buchladen in München) hat's auch nicht leicht: Internetkonkurrenz, städtische Bürokratie . . .

(Foto: Stephan Rumpf)

Etwa angenommen, jemand möchte sein Geschäft besonders nett und kundenfreundlich gestalten und beantragt eine "Mischnutzung", will also zum Beispiel ein kleines Modegeschäft mit einem Mini-Café kombinieren. Angenommen, er/sie will vor dem Laden (auf noch so breitem Bürgersteig) ein Tischchen aufstellen und dort Kaffee ausschenken. Nach einigen Buchbinder-Wanninger-Erfahrungen wird er oder sie zu hören bekommen, dass dafür ein Auto-Stellplatz nachzuweisen oder für etwa 13 000 Euro der Stadt ein fiktiver Stellplatz abzukaufen ist. Das gilt auch dann, wenn die Kunden alle mit dem Fahrrad kommen.

Nur wer den Kaffee kostenlos einschenkt, darf unter Umständen Stühle aufstellen, wobei sich die Gebühren nach den Maßen der Sitzgelegenheiten (!) berechnen. Alternativ kann man eine Genehmigung für Getränkeverkauf im Laden-Inneren erwerben; dann dürfen bei "Mischnutzung" allerdings keine Stühle im Freien stehen. Dort könnte ja widerrechtlich jemand Platz nehmen, der für seinen Kaffee bezahlt hat.

Selbstredend wird kontrolliert, ob der Ladeninhaber die Vorschriften einhält. Ein nicht genehmigter Mini-Tisch im Freien: Schon hat man die Bezirksinspektion am Hals, gefolgt von einem Schreiben des Kreisverwaltungsreferats, das Bußgeld bei wiederholtem Verstoße androht. Wer womöglich durch ein Fähnchen an der Hauswand auf seinen Verkauf aufmerksam macht, hat dafür Luftsteuer zu entrichten. Luftsteuer wird jährlich auch etwa für Markise und Nasenschild erhoben. Desgleichen gibt es Gebühren für einen Blumentopf neben dem Eingang und Vorschriften, wie hoch die Pflanze darin sein darf.

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Sehr großzügig wird den Ladeninhabern angeboten, dass sie gern einmal eine Sondernutzung beantragen können, wenn beispielsweise ein Jubiläum ansteht. Dass dann aber schon das einmalige Aufstellen eines Bistrotisches 30 Euro "Bearbeitung" kostet, erfährt man erst nach dem Antrag. Ebenso, dass auf diesem Tisch keine Flyer ausgelegt und an dem Tisch kein Glas Sekt getrunken werden darf.

Je mehr solchen bürokratischen Nonsens sich unserer Behörden ausdenken, desto mehr Zeit geht selbstredend mit den Genehmigungsverfahren und der Kontrolle verloren. Ob die Angestellten in den entsprechenden Ämtern nicht sinnvoller zu beschäftigen wären? Ob es nicht für die Stadt sogar billiger wäre, sich selbst und ihren Bürgerinnen und Bürgern einige Vorschriften und Gebühren zu ersparen?

"Leichtigkeit des Seins", eine Ahnung von italienischem Flair oder französischem Lebensstil bekommen wir auf diese Weise jedenfalls nicht hin. Höchstens finstere Gesichter. Und noch mehr Handyläden, Maklerbüros und Versicherungsinstitute - da, wo einmal der Handel geblüht hat. Bettina Goldner, Ebersberg

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