Einschenk-Kontrolle:Vorsicht - Schaum-Sheriff

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Unterwegs mit den Einschenk-Kontrolleuren: Alles bestens - doch was wäre, wenn sie nicht da wären?

Von Stephan Handel

Deinlein, "mit drei ei", weil: Vorname Heinz, Heinz Deinlein also sitzt im Winzerer Fähndl, hat ein lustiges rot-weiß kariertes Hemd an, schon die eine oder andere Maß getrunken und erzählt, wie es früher war: wie der Vater als erstes vom frischen Keferloher den Schaum runtergeblasen hat, um zu sehen, ob da auch ausreichend Bier drinnen ist.

Das ist schon einige Zeit her, denn Heinz Deinlein ist 80 Jahre alt, hat also einige Erfahrungen machen können mit schlecht eingeschenkten Maßkrügen.

Heute gibt es aber nichts zu meckern, und auch Jakob Sailer ihm gegenüber schaut, eine erkennbar korrekt befüllte Maß Paulaner vor sich, so zufrieden drein wie einer, dem gerade ein - seiner Meinung nach - unveräußerliches Bürgerrecht erfüllt wurde: einen Liter Bier zu bekommen, wenn er einen Liter bestellt hat. "Man muss immer wieder den Daumen in die Wunde legen", sagt Jakob Sailer.

Die Wunde heißt: Unterschank. Das klingt schon irgendwie unappetitlich, bedeutet aber nichts anderes, als dass die Schankkellner auf der Wiesn und anderswo in jede Maß ein bisschen weniger Bier einfüllen, als hineingehört. Der Gast wird, aus Gewohnheit oder aus Bequemlichkeit, sich schon nicht gleich aufregen, der Wirt aber hat den Vorteil, dass er zum Beispiel aus einem 200-Liter-Hirschen eben nicht die erwarteten 200 Maß ausschenken und verkaufen kann, sondern vielleicht 220. "Wenn ich beim Metzger 100 Gramm Wurst bestelle", sagt Jakob Sailer, "dann will ich auch 100 haben, und nicht 90."

Der VgbE-Ausweis

Das ist in München ein Problem von erheblicher Wichtigkeit, und deshalb gibt es, seit 1970 schon, den "Verein gegen betrügerisches Einschenken", VgbE, 3000 Mitglieder, darunter alle Münchner Oberbürgermeister und der Ministerpräsident. Jakob Sailer ist Vizepräsident des Vereins.

Zur Wiesn-Zeit steckt er sich seinen VgbE-Ausweis ans Sakko, der irgendwie offiziell ausschaut, aber auch selbst gebastelt, und so zieht er dann durch die Zelte: Schaut den Bedienungen in die Maßkrüge und den Schankkellnern auf die Finger, moniert hier, lobt da, redet dort ein ernstes oder nicht ganz so ernstes Wort mit dem Wirt - ein Schaum-Sheriff bei der Arbeit.

Es ließe sich nun etwas schrullig finden, dass einer anderer Leute Bier vermisst: Immerhin hängt an jeder Wiesn-Schänke ein Schild mit dem Hinweis, dass schlecht gefüllte Krüge nachgeschenkt werden. Aber so einfach ist das nicht - wer steht schon gerne vom Platz auf und läuft mit dem Krug durchs Zelt? Wegen eines Schlucks Bier?

Reklamationen bei den Bedienungen, so vermutet Jakob Sailer, verschieben das Problem nur: Die werde sich hüten, die bereits verkaufte Maß zur Schänke zurückzutragen. Der Beschwerdeführer bekommt beim nächsten Gang einen korrekten Liter, die unterschenkte Maß bekommt ein anderer, der sich's gefallen lässt.

Es ist an dieser Stelle der Zeitpunkt erreicht, an dem gesagt werden muss: Heuer geht's auf der Wiesn sehr reell zu, was das Augenmaß der Schankkellner betrifft. Bei einem kleinen Rundgang findet jedenfalls Jakob Sailer nichts, was er bemängeln müsste, und sein geübter Blick erlaubt es ihm, eine Maß schon zu beurteilen, wenn sie frisch vom Zapfhahn kommt und noch halb voll Schaum ist.

Auch das Kreisverwaltungsreferat in Person seines Sprecher Christopher Habl lobt die "grundsätzlich gute Schankmoral": Bei Hunderten von Maßen, die die Schankkontrolleure des KVR begutachtet haben, habe es nur einen "kleinen Prozentsatz" an Beanstandungen gegeben - mündliche Ermahnungen. In keinem einzigen Fall musste ein Wiederholungstäter schriftlich verwarnt werden, von Ordnungsgeld für einen Wirt ganz zu schweigen.

Das KVR holt sich, wenn es kontrolliert, ein paar frisch eingeschenkte Maß und lässt sie erst einmal einige Minuten stehen. Dann wird gemessen: Der Eichstrich befindet sich genau 16,5 Zentimeter über dem Krugboden; eine Maß gilt als sauber eingeschenkt, wenn sie mindestens 15 Zentimeter Bier enthält. Dass die Stadt mithin 15 Millimeter Unterschank erlaubt, findet Jakob Sailer zwar eigentlich auch nicht okay - "aber das ist ein Kompromiss, mit dem man leben kann".

Im übrigen muss niemand mit dem Meterstab ins Bierzelt, wie Sailer das tut - es reicht, den Zeigefinger an den Eichstrich zu legen: Wenn der Bierpegel unten an den Finger heranreicht, dann sollte man den Schankkellner einen guten Mann sein lassen.

Früher, als noch der alte Keferloher im Einsatz war, der graue Steinkrug, da war eine solche Sichtkontrolle nicht möglich - da musste Heinz Deinleins Vater noch den Schaum vom Bier blasen. Dass heute auf der Wiesn der gläserne Euro-Krug zum Einsatz kommt, rechnet sich Jakob Sailers Verein als Verdienst an.

Zuerst hatten sich die Wirte gewehrt, Mitte der 70-er Jahre. Dann behaupteten sie, die Glaskrüge seien gar nicht korrekt zu befüllen, weil "an Schaum möchst ja aa", und dafür sei kein Platz mehr über dem Eichstrich. Ja, sagte der Verein, dann müsst ihr halt die Krüge höher machen. Und so lupfen heute die Gäste diesen Euro-Krug zum "Prosit", der über dem Strich noch einen zwei Zentimeter hohen Rand hat, damit beides hineinpasst, ein Liter Bier und ein Schaum.

Eine Frage der Technik

Braucht überhaupt noch jemand den Verein gegen betrügerisches Einschenken? Natürlich, meint Jakob Sailer, und erzählt eine Geschichte, zwar nicht von der Wiesn, aber aus einem renommierten Münchner Wirtshaus: Dort hätten die Kellner eine Technik entwickelt, beim Einschenken von Weißbier aus der Flasche ihre Finger ins Glas zu halten, wodurch in jeder Flasche ein Rest übrig blieb, der dann, wenn genügend Noagerl beieinander waren, ein neues Weißbier ergab.

"Da das schlechte Einschenken wohl auf absehbare Zeit nicht verschwinden wird, bleibt der Verein auf unabsehbare Zeit bestehen", so steht es in der Satzung des VgbE, und bei solchen Geschichten ist der Zuhörer durchaus geneigt, sich diesem Satz anzuschließen.

Peter Pongratz kommt an den Tisch im Winzerer Fähndl, der Wirt. Er sagt, dass er natürlich überhaupt nichts gegen die Kontrollen habe, dass ihm, als Wiesn-Neuling, besonders auf die Finger geschaut werde, und er habe ganz und gar nichts zu verbergen.

Das hatte auch Christopher Habl vom KVR erwähnt: Dass die Wiesn-Wirte den Kontrolleuren gegenüber außerordentlich kooperativ seien. Dann aber kommt Jakob Sailers Maß, und nur zum Spaß wird beschlossen, doch den Schaum zusammenfallen zu lassen, um zu schauen, wie sie denn eingeschenkt sei. Nach ein paar Minuten stellt sich heraus: gelbes, goldenes, leuchtendes Festbier, fast einen halben Zentimeter über den Eichstrich hinaus - ein klarer Fall von Überschank. "Das", ruft Peter Pongratz und schaut grantig, "das muss ja auch nicht sein."

© SZ vom 27.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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