Einmietbetrüger:Der feine Herr - ein Mietnomade

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Der erfolgreiche Anwalt Dr. Mahr ist eigentlich ein arbeitsloser Metzger. Er zahlt nicht, räumt die angemietete Wohnung leer und zieht weiter - die Geschichte eines Betrügers.

Bernd Kastner

Am Anfang ist alles ganz normal. Fast normal zumindest. Klaus Gerber sucht für seine Wohnung in Schwabing einen neuen Mieter, kommt über eine Zeitungsannonce in Kontakt mit Herrn Dr. Mahr. Der Mann ist Anfang 30, tadellos gekleidet, hat gute Manieren, ist sympathisch, will die Wohnung mieten.

Er wolle sich verkleinern, weil er selten zu Hause und ihm seine bisherige Wohnung zu groß geworden sei. Die Kaution sei kein Problem, er hat das Geld bar dabei, Gerber sieht, wie der Mann ein dickes Bündel Scheine aus der Tasche zieht.

Der künftige Mieter erteilt eine Selbstauskunft, erklärt, er verdiene um die 15.000 Euro im Monat als Anwalt in der Kanzlei Bossi. Er plaudert über dies und das aus der prominenten Kanzlei, das schafft Vertrauen. "Ich musste ihn mit Doktor anreden", sagt Gerber.

Später wird Klaus Gerber sagen, es sei ein Fehler gewesen, nicht gleich bei Bossi angerufen zu haben. Dennoch tut er mehr als üblich, um die Seriosität des Mieters zu checken. Schließlich arbeitet seine Frau als Anwältin beim Haus- und Grundbesitzerverein, und dort rät man: Prüft eure Mieter vorher, sonst habt ihr hinterher die Scherereien.

Das muss ein guter Mieter sein

Gerber besucht seinen neuen Mieter in seiner alten Wohnung - und ist beeindruckt: Nordschwabing, 13. Stock, Sicht auf die Berge, teure Möbel. Gerber ist beruhigt, wer sich so was leisten kann, muss ein guter Mieter sein. Sie unterzeichnen den Vertrag, 1030 Euro im Monat sollen die 85 Quadratmeter kosten. Sie vereinbaren die erste Zahlung innerhalb von drei Tagen.

Es vergeht eine Woche - das Geld kommt nicht. Gerber reklamiert bei Dr. Mahr, der entschuldigt sich: Die Sekretärin in der Kanzlei müsse geschlafen haben, er werde sich darum kümmern.

Klaus Gerber kennt zwar die Geschichten von Mietnomaden aus dem Fernsehen, aber die spielen immer weit weg von München. Im Osten oder Norden der Republik stehen viele Wohnungen leer, dort sind Vermieter oft froh um jeden Mieter und nehmen (fast) jeden. München aber gilt für Vermieter als sicherer Ort.

Endlich schrillen die Alarmglocken

Drei Wochen vergehen, das Geld kommt und kommt nicht. Gerber wird unruhig, ruft beim Mieter an. Es knackt in der Leitung, kein Wunder, der Mieter hat ja gesagt, dass er für zwei Wochen in die USA müsse, beruflich.

Sie telefonieren zehn-, zwanzigmal miteinander, Gerber spricht auf die Mailbox, Mahr ruft zuverlässig zurück, klagt nur über die Telefonkosten. Und dass er das mit dem Geld nicht verstehe, schließlich sei es schon zweimal bei ihm abgebucht worden.

Nun schrillen bei Gerber die Alarmglocken. Er ruft bei der Anwaltskammer an - nein, dieser Anwalt ist uns nicht bekannt. Checkt die angegebene Heimatadresse in Nördlingen - Fehlanzeige. Fragt in der Kanzlei Bossi nach - nein, einen Kollegen Mahr haben wir nicht.

Der Mietnomade ist eine besondere Form der Spezies Mieter, Juristen nennen ihn auch Einmietbetrüger. Der typische Nomade kommt, mietet, zahlt nicht, geht nicht, und bis der Gerichtsvollzieher kommt, wird es sehr teuer für den Vermieter.

In München allerdings tritt der Mietnomade sehr selten auf. Das liegt daran, dass die Vermieter noch immer die Wahl zwischen vielen Interessenten und damit die Chance haben, ein schwarzes Schaf auszusortieren. Vorausgesetzt, es hat sich nicht gar so weiß gefärbt, wie es Mahr getan hat.

Gerber startet eigene Nachforschungen und erstattet Anzeige. Er fährt zur früheren Wohnung Mahrs und hört dort eine weitere Räubergeschichte. Es ist die Geschichte vom Vermieter Kosta Baboulis und dem Mieter Kohler.

Der geprellte Leidensgenosse

Eine Bekannte, die eine Agentur für Ferienwohnungen betreibt, hat Wochen zuvor Baboulis gefragt: Willst du nicht deine tolle Wohnung untervermieten, ich hätte da einen sehr zuverlässigen Kunden, den Herrn Kohler?

Warum nicht, hat Baboulis geantwortet, schließlich hält er sich ohnehin meist bei seiner Freundin auf. 2000 Euro Miete soll er für drei Wochen bekommen. Der Mieter stellt sich als Computerspezialist und freier Mitarbeiter von Siemens vor, der für kurze Zeit in München zu tun hat.

Gut zwei Wochen später ruft der Hausmeister Baboulis an. Du, sagt er, da stehen zwei Leute bei mir, die sagen, sie haben deine Wohnung gemietet und wollen da jetzt rein, die Kaution haben sie schon bezahlt. Und übrigens, erzählt der Hausmeister, neulich hat dein Untermieter dein Bett rausgetragen, hat gesagt, dass er so schlecht darin schlafe.

Baboulis fährt sofort in seine Wohnung. Sie ist fast leer. Es fehlen: Couch, Fernseher, Schreibtisch, Ledersessel, Hocker, Waschmaschine, Bett, Geschirr, Besteck, Töpfe, Toaster, Wasserkocher, Badeöle, Parfüms. Und der Untermieter fehlt auch.

Leergeräumt und unteruntervermietet

Vermieter Gerber, Vermieter Baboulis, die Unteruntermieter und die Polizei stellen mit Hilfe von Fahndungsfotos fest: Herr Dr. Mahr ist Herr Kohler und heißt in Wahrheit Maar. Dieser Mann hat nicht nur die Wohnung im 13. Stock leer geräumt, er hat sie auch noch mehrmals unteruntervermietet.

Vier Fälle sind Baboulis bekannt, in mindestens zwei Fällen, weiß die Polizei, haben die arglosen Mieter eine Kaution in Höhe von 2500 und 2800 Euro gezahlt. Langsam fügt sich das Puzzle zusammen.

Gerber ruft die Polizei, mehrere Beamte rücken an, man vermutet den Betrüger in seiner Wohnung. Zugriff! Doch der Mann ist weg. Er sitzt im Gefängnis, ist vor ein paar Tage schon verhaftet worden - in eben dieser Wohnung. Die Polizei hat einen Haftbefehl wegen anderer Delikte vollstreckt.

Für einen normalen Betrüger nicht normal

Lars Hamm ist Pflichtverteidiger von Herrn Maar. Der ist in Wirklichkeit gelernter Metzger und seit langem arbeitslos. Maar sei geständig, der Anwalt hat aber noch keinen Überblick, ob die Beichte alle Taten umfasse, es sind so viele. Auf rund 30 schätzt Hamm die Zahl der Betrügereien, Hehlerei inklusive, begangen im Raum Nördlingen, Augsburg, München.

Mal habe er im Internet was ersteigert, ohne zu zahlen, mal Autos gemietet, ohne zu zahlen, oder er habe bezahlt, aber den Mietwagen weiterverkauft. Mal sei er als Zahnarzt aufgetreten. Er werde seinen Mandanten demnächst wohl untersuchen lassen, sagt Hamm, denn die krummen Touren hätten sich in letzter Zeit dermaßen gehäuft, dass das schon krankhaft wirke.

Außerdem habe sich der Mann keine große Mühe gegeben, seine Identität zu verschleiern, und zu den Gerichtsverhandlungen sei er auch erschienen. Für einen normalen Betrüger sei so ein Verhalten nicht normal.

Hundekot und versiffter Teppich

Das sieht auch Klaus Gerber so. Eine Nachbarin seiner Wohnung berichtet ihm, dass eines Abends, da ist der Mieter schon im Knast, mehrere Leute versuchen, in die Wohnung zu kommen. Als sie das Polizeisiegel sehen, ziehen sie wieder ab. Gerber findet heraus, dass es offenbar nichts ahnende Familienangehörige sind, die mit einem Lastwagen die Wohnung des Inhaftierten räumen wollen.

Baboulis findet seine teuren Möbel aus der Hochhauswohnung wieder - in Gerbers Wohnung. Nur Geschirr und Küchenutensilien sind noch immer weg, rund 2500 Euro betrage der Schaden, schätzt Baboulis. Gerber sind gut 3000 Euro Schaden entstanden, weil die Wohnung noch immer unvermietet ist. Der Teppichboden ist versifft, auf dem Balkon liegt Hundedreck. Und noch immer lagern in der Wohnung mutmaßlich unterschlagene Waren, woher auch immer.

Klaus Gerber hat längst den Mietvertrag gekündigt. Bald darauf bekommt er Post aus der JVA Kaisheim, der Brief ist in Schreibschrift verfasst, fast kindlich mutet er an. "Sie haben doch die fristlose Kündigung an mich schon gestellt, ich bin damit einverstanden, sobald die Wohnung auf ist, wird sie ausgeräumt. Verbleibe mit freundlichen Grüßen."

Die Namen des Betrügers sind geändert.

© SZ vom 2.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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