Einkaufszentrum:Das Motorama will sich neu erfinden

Einkaufszentrum: Haidhauser Allerlei: In den langen Gängen des Motorama gibt es auch den Hong Kong Market.

Haidhauser Allerlei: In den langen Gängen des Motorama gibt es auch den Hong Kong Market.

(Foto: Robert Haas)

Vor 45 Jahren wurde es am Rosenheimer Berg als Deutschlands größter Autosalon eröffnet. Die Pkw-Händler sind längst ausgezogen, die heutige Ladenstadt hat sich mehrfach gewandelt.

Von Thomas Anlauf

Hinterm Hit kommt der Schlager. Es geht auf acht Uhr abends zu, die letzten Kunden stehen an den Kassen der Supermarktfiliale Hit, da grölt eine Stimme von nebenan "It's a Heartache", Bonnie Tyler, 1978. Nebenan liegt der Eingang zum "Kirr Royal", ein Lokal, wie es schräger nicht sein könnte. Achtzigerjahre-Musik wird hier zelebriert, selbst unter der Woche ist der Laden schon am frühen Abend brechend voll. Gerade jault eine Dame in den Sechzigern "Stand by me" ins Mikrofon, die Menge tanzt begeistert oder drückt sich an die lange Bar.

Jürgen Christ, polierte Vollglatze und blendend gelaunt, sitzt in seinem winzigen Büro neben der Bar, überall an der Wand hängen Fotos von ihm und Schlagerstars. "Mein Ziel war immer, Kult zu sein und nicht in", sagt der Chef des Lokals und grinst. Erst vor einer Woche war Andy Borg da und hat das "Kirr Royal" zum Kochen gebracht. Schlager-Cowgirl Nicki singt hier, Komponist Ralph Siegel soll regelmäßiger Gast sein.

Man könnte meinen, das "Kirr Royal" wäre ein Überbleibsel aus den Anfangsjahren der "Ladenstadt Motorama" am Rosenheimer Berg. Doch Jürgen Christ hat das Lokal, in dem es nicht nur Schlager der Achtziger, sondern auch Speisen wie die "80ziger Platte" mit Froschschenkel, Schnecken und Jakobsmuscheln gibt, vor gerade mal fünf Jahren aufgemacht. So seltsam es klingt: Der Retro-Laden hat diesem grotesk anmutenden Gebäudekomplex "Motorama" eine Art Frischzellenkur beschert.

Die ist auch dringend nötig. Anfang der Siebzigerjahre wurde das Motorama als gigantischer Autosalon konzipiert, längst hat der verwinkelte Klotz am Rosenheimer Berg seine besten Tage hinter sich. Läden stehen leer, die bestehenden Geschäfte und Imbissstände sind ein Sammelsurium aus Alltagsbedarf und Absurdem. Doch jetzt scheint das Motorama - wieder einmal - aus seinem Dornröschenschlaf erwachen zu dürfen: Die derzeitige Eigentümerin des Gebäudes will ihm ein neues Konzept verpassen. Im Laufe des Jahres werde es "sowohl Neueröffnungen als auch neue Shopkonzepte von unseren Bestandsmietern geben", sagt Mody Radashkovich, Geschäftsführer der Gazit Germany Beteiligungs GmbH & Co. KG mit Sitz in Frankfurt.

"Bei der Weiterentwicklung des Motorama haben wir das Bild eines modern ausgestatteten Nahversorgungszentrums für Einkauf und Gastronomie vor Augen." Neben überregionalen Anbietern wie den bestehenden Ketten Hit und dm sollen auch "lokale und regionale Ladenbetreiber" einen Platz in den verwinkelten Passagen finden.

Dazu passt, dass der Stadtrat vor Kurzem die Gasteig-Geschäftsführung damit beauftragt hat, in der Nähe des dringend sanierungsbedürftigen Kulturzentrums ein Ausweichquartier für Teile der Stadtbibliothek zu suchen, womöglich genau gegenüber im Motorama. "Die Stadt ist mit diesem Thema auf uns zugekommen und wir führen gegenwärtig Gespräche", bestätigt Gazit-Geschäftsführer Radashkovich.

Ob das Motorama zu seinen Glanzzeiten zurückfinden kann, ist aber fraglich. Als der riesige Gebäudekomplex vor 45 Jahren, am 5. April 1973, eröffnet wurde, war die sogenannte Ladenstadt eine Attraktion weit über München hinaus. Als "Monster-Autosalon" bezeichnete die Süddeutsche Zeitung den deutschlandweit größten Showroom für 26 Autohändler bei der Eröffnung, zu der Hunderte Ehrengäste kamen.

17 190 Quadratmeter

groß ist das Grundstück des Motorama gegenüber dem Gasteig. Auf dem Gelände befand sich vorher der Münchner Kindl-Keller mit dem seinerzeit angeblich größten Saalbau Deutschlands. Das Gebäude mit dem Emblem des Münchner Kindl an der Fassade wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und Ende der Sechzigerjahre abgerissen. Das Motorama wurde nach zweijähriger Bauzeit 1973 eröffnet.

Ein Sprecher des Bezirksausschusses lobte die "Aufwertung Haidhausens" durch den Komplex, der etwa 100 Millionen Mark gekostet hatte. Maserati, Rolls-Royce, Jaguar, Porsche, VW, Mercedes und Audi stellten damals auf 5000 Quadratmetern Fläche ihre neuesten Modelle aus, besichtigt werden konnten die glänzenden Autos Tag und Nacht.

Es gab "drei Restaurants, das Penta-Hotel mit 1200 Betten, ein Reisecenter, eine Großtankstelle mit Service-Station und eine Tiefgarage mit 530 Stellplätzen", wie die Abendzeitung beeindruckt aufzählte. Das war nicht alles: ein Boardinghaus mit mehr als 150 Appartements, Arztpraxen, Schwimmbecken und Sauna sowie ein Einkaufszentrum mit Supermarkt, Friseur, Möbelmarkt, Zoohandlung und Teppichladen.

In München fuhren plötzlich Kutschen statt Kraftwagen

Doch während sich die Autobranche im Motorama feierte, gingen wenige Monate später auf den Autobahnen der Republik Menschen spazieren, in München fuhren plötzlich Kutschen statt Kraftwagen. Die erste Ölkrise erschütterte Deutschland, Im Herbst 1973 verhängte die Bundesregierung allgemeine Fahrverbote an mehreren aufeinander folgenden Sonntagen. Das Nachrichtenmagazin Spiegel schrieb im Dezember 1973: "Zwecks Vermarktung stärkster Automobile jeglicher Konvenienz entstand am Rosenheimer Platz in München das Motorama - Tempel des Tempokultes.

Auf sanft geneigter Teppichstraße locken dort nagelneue, erheblich reduzierte Porsches, und von den Nischen eines Klub-Restaurants aus darf sich jeder Speisende dieses Anblicks erfreuen. Herr E., vom Team der Porsche-Verkäufer, will jedoch die Frage nach dem Gedeihen des Klubs nicht positiv beantworten. ,Zur Zeit', er spürt's nicht allein, ,sind die Leute unheimlich gegen das Auto.'"

Einkaufszentrum: Bunte Silhouetten verheißen eine blühende Zukunft für die Ladenstadt - auch wenn einige Läden derzeit leer stehen.

Bunte Silhouetten verheißen eine blühende Zukunft für die Ladenstadt - auch wenn einige Läden derzeit leer stehen.

(Foto: Robert Haas)

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Autohändler wieder das Motorama verließen. Doch noch 1980 feierte Porsche mit Schlagersänger Roberto Blanco im "Porsche Carrera Club" des Motorama mit eintausend ausgewählten Gästen das 30-jährige Bestehen des Mahag-Sportwagen-Zentrums.

"Bis heute bezeichnen Münchner Szene-Insider diese Veranstaltung als eines der größten Party-Highlights der Achtziger", heißt es in der Historie des Porsche-Zentrums München. Dafür verantwortlich war Sergio Cosmai, der im Motorama die legendäre Disco "East Side" betrieb. An der spiegelnden Edelstahltür des Tanzschuppens wachte Türsteher Salvatore Greco, der auch mal Mick Jagger mit den Worten draußen stehen gelassen haben soll: "Ich kenne dich nicht."

"Das East Side war schon eine Nobel-Disco", sagt Christian Caruso. Der 53-Jährige steht am Tresen des "Vivo" nahe dem Motorama und nippt an seinem Espresso. Er war zehn Jahre lang Türsteher der Nachfolge-Disco "Liberty", einer von acht Leuten, die aufpassten, dass die Mischung im Laden stimmt und die Stimmung nicht kippt. "Im Liberty war ois anders", sagt Caruso, "mehr Love, Peace und Happiness". Drogen waren verpönt, im East Side dagegen versorgten sich viele junge Münchner mit Hasch und Shit, in dem dunklen Schuppen galt der Deal als unauffällig.

Auch das Publikum im Liberty war anders, jünger, ungezwungener. Es gab eine einfache Regel an der Tür: "Keine Tracht, keine Springerstiefel", sagt Caruso. Drinnen gab es Goaßnhoibe - ein wüstes Gesöff aus dunklem Weißbier, Cola, Asbach und Edelkirsch, was man halt so trank in den Achtzigern und Neunzigern. Am Eingang hing ein Holzkasten, da gaben die Gäste ihre Hieb- und Stichwaffen freiwillig ab. "Wir hatten ein ganzes Arsenal", sagt Caruso.

Doch irgendwann war auch die Zeit des Liberty vorbei. Einer der letzten Geschäftsführer hatte offenbar Probleme mit der Steuer, stieg in seinen rosafarbenen VW-Bus und war weg. Heute ist dort, wo einst neben der Rolltreppe die Edelstahltür blitzte, die Filiale einer Sandwichkette. Im Untergeschoss des Motorama ist noch einigermaßen Leben. Das asiatische Bistro Minh Chau mit seinen mintgrünen Wänden ist mittags voller Gäste, auch der türkische Imbiss nebenan läuft gut. Bei Reno ist gerade "Sale 30 %" auf Winterstiefel und Boots. Ganz hinten im Eck ist das "Titus Outlet", ein Skaterladen. Er schließt am 24. März.

"Es kommen relativ wenige Kunden hierher", sagt einer der jungen Verkäufer. Oben im ersten Stock sind auch der Friseur ausgezogen und ein großes Sportgeschäft. In einigen Glasfronten hängt ein Sichtschutz mit Silhouetten vieler bunter Menschen. "Erfolg beginnt in der Motorama Ladenstadt", steht drauf, und: "zu vermieten". Am Haupteingang steht die andere Botschaft von Gazit Germany: "Ihr neues Einkaufserlebnis in Haidhausen". PS-starke Porsche wird man im Motorama aber auch in Zukunft vergeblich suchen.

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