Eine Stadt in Festtagslaune:Schnitzeljagd und arme Würstchen

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Beim Stadtgründungsfest zeigt sich München, wie es die Metropole nun einmal so oft ist: sehr voll

Text: Inga Rahmsdorf und Fotos: Stephan Rumpf

Das mit der Identität der Würstchen ist nicht so einfach. Eigentlich müssten die kleinen Dinger ja Münchner Rostbratwürstchen heißen. Schließlich hat die Münchnerin Lisa Stiefel sie gerade erst frisch zubereitet. Mitten in München. Auf dem Odeonsplatz, vor den Augen einiger Zuschauer. Hergestellt hat die auszubildende Metzgerin sie aber nach einem Rezept, das doch sehr an Nürnberger Rostbratwürstchen erinnert. So darf Lisa Stiefel ihre Würstchen aber nicht nennen. Sonst gibt es Ärger, die Franken überwachen schließlich streng die geografisch geschützte Angabe ihrer Delikatesse.

Ja, es ist nicht einfach mit der Wurst in Bayern. Doch Lisa Stiefel, 30, und ihre Kollgen von der Metzgerinnung München lassen sich die Stimmung nicht verderben. Stolz präsentieren sie ihr handwerkliches Können in einer Holzhütte auf dem Handwerkermarkt, der auf dem Odeonsplatz aufgebaut ist. Mit Fleischwolf und Handfüller wursten sie und werben für ihren Beruf. "Egal ob Dachdecker oder Metzger, es ist toll, dem Publikum zu zeigen, was wir als Handwerker alles machen", sagt Stiefel, die ein Studium der ökologischen Landwirtschaft abgeschlossen hat, bevor sie sich für die Ausbildung zur Metzgerin entschloss. Sie möchte einmal einen Biohof übernehmen, dabei will sie sicher gehen, dass die Tiere richtig geschlachtet werden.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Bei den Afrikatagen auf der Theresienwiese konnten die Besucher drei Tage lang ausgelassen feiern und heißen Trommelrhythmen zuhören, selbst Musik machen...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...oder auf einem Kamel reiten.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Wer wollte, konnte tanzen oder fand etwas Passendes zu essen und zu trinken.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Gemeinsam im Freien frühstückten die Münchner beim größten Picknick der Stadt,...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...zu dem sie am Sonntagvormittag bei schönstem Wetter auf die Halbinsel am Olympiasee eingeladen waren.

München feierte am vergangenen Wochenende den Tag der Stadtgründung vor 860 Jahren. Die ganze Innenstadt verwandelte sich dabei in ein großes Fest mit Bühnen und viele Veranstaltungen. Und wenn München sich selbst und seine Geschichte feiert, dann dürfen die Handwerker nicht fehlen. So präsentierten sich auf dem Odeonsplatz Metzger, Schreiner, Kürschner, Glaser und all die anderen Handwerker.

Und nicht nur im Stadtzentrum drängen sich die Menschen. Auch auf der Theresienwiese genießen viele Besucher das sommerliche Wetter, feiern ausgelassen und tanzen. Drei Tage lang boten die Afrika-Tage verschiedene Konzerte, Aufführungen und einen großen Basar. Dort geht es wesentlich gelassener zu als in der Innenstadt. Wie ein kleines gallisches Dorf stehen die weißen Zelte mit Bühne und einem grünen Zaun drumherum auf der weitläufigen Theresienwiese. Es riecht nach Räucherstäbchen und Currysauce, man trinkt Minztee und Bier und schaut auf marokkanischen Sitzsäcken ein Spiel der Fußball-WM, während einige Meter weiter das Publikum in bester Stimmung vor der Bühne zu Reggae-Beats hüpft und singt.

Auch das Naturkundemuseum feiert am Samstag und lädt zum Biotopia-Fest "Hautnah" ein. Dort können sich Besucher in Workshops, Schnitzeljagden und Ausstellungen mit der Frage befassen: Aus welchem Stoff ist unsere Zukunft gemacht? Zum Beispiel aus Algen, Moosen, Gräsern, Früchten oder Zweigen, zeigt das Museum. Mit diesen Materialien experimentieren die Besucher und können sich Kleidungsstücke und Hüte herstellen.

Während im Naturkundemuseum geforscht wird, schieben sich auf dem Odeonsplatz die Besucher des Stadtgründungsfestes dicht an dicht durch die engen Gängen zwischen den Handwerkern hindurch. Plötzlich tauchen im Gewühl Männer auf, die an den Wachtmeister Alois Dimpfelmoser in den Geschichten von Räuber Hotzenplotz erinnern. Es ist die Stadt-Gendarmerie, respektive eine Gruppe von Herren vom Faschingsverein Würmesia, die sich in Uniformen gezwängt haben, und an historische Stadtwachen erinnern möchten. Sie hatten an diesem besonderen Tag auch die Ehre, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bei der Eröffnung des Festes vom Marienplatz bis zum Odeonsplatz zu begleiten. Eine Familie erkundigt sich bei den Faschingsgenossen nach dem Hintergrund ihrer Verkleidung, und während einer der Gendarmen ihr mit bedeutungsvollem Gesichtsausdruck einen Infozettel überreicht, drängen sich drei aufgeregte Italiener zwischen die Wachtmeister, um Fotos von sich und diesen seltsamen Deutschen aufzunehmen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Zur Bühne wurde die Innenstadt beim Stadtgründungsfest. Altes Handwerk präsentierten Wäscherinnen...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...und mancher zeigte stolz seinen Bart.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Mit einem flotten Tänzchen auf dem Pflaster des Marienplatzes zog dieses Paar die Aufmerksamkeit der Festbesucher auf sich.

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(Foto: Stephan Rumpf)

"Hautnah" war Thema des Biotopiafests im Naturkundemuseum. Viele Teilnehmer zeigten sich den Besuchern in sehr ungewöhnlichem Outfit.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Der junge Besucher nahm das Motto ganz unerschrocken beim Wort.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Schwacher Start: Die Deutschland-Fans staunten beim Public Viewing im Sax im Glockenbachviertel nicht schlecht über den Sieg von Mexiko.

Auf dem Weg vom Odeonsplatz zum Marienplatz passiert man Stände mit Zirbenholzkissen, Bildern und Prosecco, kommt bei den Unterstützern des Vereins für Trambahnwesen vorbei und steckt plötzlich mitten in einer japanischen Touristengruppe, deren Mitglieder eifrig versuchen, in dem Getümmel Schritt zu halten, und den erhobenen Zettel ihres voranschreitenden Bezugsgruppenführers nicht aus dem Auge zu verlieren. Das Gedränge wird immer dichter, München zeigt sich an seinem Geburtstag so, wie es die wachsende Stadt nun einmal so oft ist: sehr voll.

Auf der Bühne vor dem Rathaus stehen Handwerker in ihrer schwarzen Arbeitsmontur und bauen eine Leonardo-da-Vinci-Brücke auf. Selbstverständlich ganz ohne Schrauben und Nägel. Anschließend klatschen sich die Männer und die eine Frau bei einem traditionellen Handwerkerlied gegenseitig in die Hände und singen. Caroline, die einzige Frau, wird auch sogleich von der Moderatorin nach vorne gebeten, man plaudert ein wenig über Mann-Frau-auf-dem-Bau, dann appelliert die Moderatorin ans Publikum "Traut's euch". Einige Meter weiter wagen derweil Münchner und Touristen, ihre Stimme zu erheben. Denn natürlich dürfen an so einem geschichtsträchtigen Tag in der Kaufingerstraße zwischen all den shoppenden Menschen auch schauerliche Moritaten und andere gesungene Geschichten nicht fehlen.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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