Eine SPD-Stadträtin auf dem Sprung:Die Gefragte

In einem halben Jahr soll Beatrix Zurek Schulreferentin werden. Ihr Programm breitet sie schon jetzt aus. Kein Wunder, denn ihr Auftrag lautet: Aufräumen

Von Melanie Staudinger

Beatrix Zurek sagt es noch einmal, dieses Mal in deutlichen Worten. "Wir müssen das Schulbauprogramm überprüfen: Ist es das, was wir uns leisten können und auch wollen?" Ihre Stimme wirkt ein wenig müde an diesem Abend, zugleich auch bestimmt. Acht Stunden lang saß die SPD-Politikerin im Stadtrat bei den Haushaltsberatungen, danach eilte sie zu dieser Versammlung des Harlachinger SPD-Ortsvereins. Die "milliardenschwere Schulbau-Offensive in München" ist dort das Thema. Als Redner haben sich die Sozialdemokraten im Süden der Stadt nicht etwa Stadtschulrat Rainer Schweppe eingeladen oder Schulbürgermeisterin Christine Strobl, sondern Beatrix Zurek - eine Stadträtin, in der Öffentlichkeit eher bekannt als Münchens wichtigste Mieteranwältin denn als Schulpolitikerin. Das wird sich ändern: Zurek will ihr Metier wechseln, ihre kleine Rechtsanwaltskanzlei am Sendlinger Tor aufgeben und ein paar Kilometer weiter in die Bayerstraße ziehen. Sie soll Schweppe beerben und das Schulreferat übernehmen - vorausgesetzt, der Stadtrat wählt sie am 27. Januar.

Von Juli an würde damit eine Juristin das größte Referat der Stadt leiten mit seinen 14 000 Mitarbeitern und einem jährlichen Etat von 1,3 Milliarden Euro, keine Pädagogin oder Verwaltungsexpertin. Das stößt schon jetzt auf Vorbehalte. "Ich weiß, dass manche skeptisch sind", sagt Zurek selbst. Das störe sie aber nicht. Zum einen gebe es genügend Fachleute im Schulreferat, auf deren Meinung sie sich verlassen könne. Zum anderen seien die Aufgaben so vielfältig, dass eine Person ohnehin nicht alle Kompetenzen auf sich vereinigen könnte. Ihre Vorvorgängerin Elisabeth Weiß-Söllner war Berufsschullehrerin, Schweppe studierte an der Verwaltungsakademie Ostwestfalen-Lippe - mit dieser Ausbildung hätten beide auch nicht die ganze Bandbreite abgedeckt, sagt Zurek. Immerhin weiß die SPD diesmal genau, wen sie sich da als neue Referentin ausgeschaut hat: Seit 1990 ist Zurek Mitglied, sie ist Sozialdemokratin durch und durch, verwurzelt und beliebt an der Parteibasis.

In Harlaching erklärt sie jetzt den Genossen, warum sie am Schulbau sparen will. Ausgerechnet am Schulbau. Das wird weder bei Lehrern noch bei den Münchner Familien gut ankommen. Aber ein Haushaltsloch könne sich die Stadt eben auch nicht leisten, argumentiert Zurek. Und sie bekräftigt, dass es nicht um bereits bestehende Gebäude gehe, sondern um die, die künftig gebaut werden sollen. Zurek sagt, was sie denkt, und vertritt ihre Meinung auch gegen Widerstände. Die Sache mit dem Reden ist an diesem Abend keine leichte Aufgabe. Vielleicht 20 Zuhörer sitzen um einen viel zu langen Tisch in der Gaststätte Gartenstadt, nebenan spielen ein paar alte Männer Karten, eine Familie isst Schnitzel mit Pommes. Es ist laut im Hinterzimmer, Zurek kämpft gegen den Pegel an und gegen das allgemeine Misstrauen im Raum gegen das Bildungsreferat. Das könne die Schulbauoffensive ohnehin nicht stemmen, meinen einige. Warum sie die Hauptrednerin des Abends ist? "Weil ich gefragt wurde", sagt Zurek.

Gefragt worden sei sie auch, ob sie sich den Posten der Stadtschulrätin vorstellen könne. Das glaubt man ihr, Zurek ist nie jemand gewesen, der sich vordrängelt oder in den Mittelpunkt stellt. Sie ist eine Arbeiterin, oftmals im Hintergrund. Einst engagierte sie sich im Bezirksausschuss Maxvorstadt, war mal im Vorstand der Münchner SPD. Seit 2002 sitzt sie im Stadtrat, und als eine der wenigen dort begeistert sie sich für den Rechnungsprüfungsausschuss. Kein Thema, mit dem man öffentlich sonderlich wahrgenommen würde - selbst Zurek nicht, auch wenn sie es inzwischen zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD gebracht hat. Bekannt war und ist sie immer noch allein durch ihr Engagement als Vorsitzende des Münchner Mietervereins.

Eine SPD-Stadträtin auf dem Sprung: In einem halben Jahr soll Beatrix Zurek Schulreferentin werden. Ihr Programm breitet sie schon jetzt aus. Kein Wunder, denn ihr Auftrag lautet: Aufräumen.

In einem halben Jahr soll Beatrix Zurek Schulreferentin werden. Ihr Programm breitet sie schon jetzt aus. Kein Wunder, denn ihr Auftrag lautet: Aufräumen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nun wird sie allerdings aus der zweiten Reihe heraustreten und sich in exponierter Stellung beweisen müssen. Die 56-Jährige tritt kein leichtes Erbe an, der Job des Stadtschulrats ist nicht gerade der beliebteste im Rathaus. Die Unzufriedenheit über das Schulreferat ist groß. Seit 2010 ist es Schweppe nicht gelungen, Ruhe in die Behörde zu bringen. Das soll Zurek jetzt managen - als erklärte Wunschkandidatin von Oberbürgermeister Dieter Reiter und der SPD, die sie nominiert hat.

Auf Zurek warten immense Herausforderungen: Sie soll das größte Schulbauprogramm Deutschlands mit Investitionen von geschätzt knapp neun Milliarden Euro bis 2030 umsetzen. Sie wird sich darum kümmern müssen, dass es genug Personal in den Kindertagesstätten gibt, dass neue Sporthallen gebaut werden und dass die Verwaltung effizienter wird. Es soll ein Ende haben mit den Negativschlagzeilen über das Bildungsreferat - etwa weil irgendwelche Rechnungen nicht und andere dafür doppelt bezahlt wurden, weil diverse ungeprüfte Verträge immense Kosten verursachen oder Schätzungen für Baukosten nicht nachgerechnet wurden. Doch mit Läden mit Managementproblemen hat die SPD-Politikerin Erfahrung, sitzt sie doch im Verwaltungsrat des TSV 1860 München.

Zurek beschreibt sich selbst als durchsetzungsfähig, verbindlich, verlässlich und als Organisationstalent. Und sie hat schon sehr konkrete Ideen, wie sie im Schulreferat aufräumen will. "Der Alltag muss geordnet ablaufen, das Referat muss sich noch mehr zum Dienstleister entwickeln", sagt sie. Anders als ihr Vorgänger Schweppe, der sich auf theoretische Konzepte von modernem Unterricht konzentrierte, will sie ihre Priorität auf die tagtäglichen Routinen setzen, den Fokus auf die kleinen Dinge legen: die EDV-Ausstattung etwa, den effizienteren Einsatz des Personals, die Verlässlichkeit von Planungen, einen höheren Stellenwert des Sports. Und nicht allein auf den großen pädagogischen Wurf. "Wenn der Alltag nicht läuft, braucht man sich keine Gedanken um hochtrabende pädagogische Ziele machen. Das nimmt dann keiner ernst", sagt Zurek. Klare Worte scheut sie nicht. Dass sie bereits jetzt, da sie noch nicht einmal gewählt ist, ihr Programm detailliert beschreibt und sich deutlich von Schweppe absetzt, ist mindestens ungewöhnlich. Immerhin ist der ja noch sechs Monate im Amt. Aber es ist auch Ausdruck dessen, dass sie einen klaren Auftrag von der Rathausspitze bekommen hat: Sie soll das anpacken, was Schweppe liegen gelassen hat. Das Schulreferat soll endlich funktionieren.

Es ist unübersichtlich genug: zuständig für mehr als 1200 städtische und nichtstädtische Kindertagesstätten, für 344 öffentliche Schulen, für die 643 Sporthallen, die 32 Schulschwimmbäder und die 21 Bezirkssportanlagen. All diese Bereiche sind Zurek durchaus vertraut: Sie saß im Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Stadtrats, seit 2008 ist sie im Bildungs- und Sportausschuss, sie war kurz bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und Korreferentin des Stadtschulrats. Und als Anwältin kümmert sie sich nicht nur um Miet- und Wohnungseigentumsrecht, sondern auch um Familienrecht. Schwierige Verhältnisse seien ihr nicht fremd, sagt Zurek. Umso wichtiger finde sie es, dass Kinder mit schlechteren Startbedingungen nicht auf der Strecke bleiben: "Kein Jugendlicher in München soll nach der Schule auf der Straße stehen."

Die Wahl der „Stadtminister“

Am 27. Januar wird nicht nur die Spitze des Bildungsreferats neu gewählt. Der Stadtrat entscheidet obendrein über die "Stadtminister" im Bau-, Personal-, Sozial- und Kreisverwaltungsreferat sowie in der Kämmerei. Das Ergebnis steht schon so gut wie fest - CSU und SPD haben mit Vorschlagsrechten ihr Terrain abgesteckt. Zu dem der CSU gehört das Personalreferat, das vom 1. Juli an der bisherige CSU-Stadtrat Alexander Dietrich leiten soll. Vorgänger Thomas Böhle (SPD) wechselt an die Spitze des Kreisverwaltungsreferats, dessen Leiter Wilfried Blume-Beyerle in den Ruhestand geht. Zur Einflusssphäre der SPD zählt auch das Sozialreferat, dessen Chefin Brigitte Meier ebenso weitermachen soll wie Ernst Wolowicz in der Kämmerei. Das Baureferat wurde zum neutralen Gebiet erklärt, Rosemarie Hingerl ist unumstritten. Die CSU kam seit der Kommunalwahl 2014 zweimal bei Referentenposten zum Zuge: Noch im Wahljahr übernahm Josef Schmid (CSU) das Referat für Arbeit und Wirtschaft, im September 2015 wurde Stephanie Jacobs Referentin für Gesundheit und Umwelt. Für 2018 kann die CSU einen neuen Kommunalreferenten vorschlagen, Axel Markwardt geht in den Ruhestand. Die Amtszeit von Kulturreferent Hans-Georg Küppers und Stadtbaurätin Elisabeth Merk endet erst 2019. dh

Aus ihrer eigenen Biografie kann Zurek ebenfalls Erfahrungen für ihren künftigen Job schöpfen, etwa was die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund betrifft. Zurek wurde 1959 in Polen geboren und kam im Alter von fünf Jahren nach Deutschland, zunächst in die Lager Friedland und Unna. "Wir sind oft umgezogen", erzählt sie. Nach Wuppertal, wo die Familie erst in einer Gemeinschaftsunterkunft, dann in einer eigenen Wohnung lebte, nach Aschaffenburg und schließlich nach München. "Ich habe oft die Klasse gewechselt und weiß, wie wichtig Integration ist", sagt Zurek. Auch mit der Schullandschaft in München hat sie ihre Erfahrungen. Von ihren drei Söhnen besuchen zwei ein staatliches Gymnasium, einer ein städtisches.

"Ich würde mir wünschen, dass die städtischen Gymnasien ihre Profile besser herausarbeiten. Man muss einen Unterschied zu den staatlichen Schulen erkennen", sagt Zurek. Auch wenn der bayerische Lehrplan ein enges Korsett vorgebe, könnten die Schulen durchaus experimentierfreudiger sein. Sie setzt auf die Eigenverantwortung der Bildungseinrichtungen. Für sie persönlich sei der gebundene Ganztag, in dem sich Lern- und Erholungsphasen am Vormittag und am Nachmittag abwechseln, die Idealform des Unterrichts. Hier könnten Kinder aller Begabungen gefördert und schlechtere Startbedingungen ausgeglichen werden. Vorschreiben will sie den Schulen aber nicht, welche Form der Nachmittagsbetreuung sie anbieten. "Ich würde nie behaupten, dass es nur einen einzigen Weg gibt", sagt Zurek. Schulen wüssten in der Regel sehr genau, was richtig für sie sei. Niemand müsse sich Sorgen machen, dass sie alles Bisherige umwerfen werde.

Das ist vermutlich nicht die unwichtigste Botschaft für eine Frau, die ihren Dienst erst in einem halben Jahr antritt, aber schon jetzt nicht stillhält.

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