Eine Erfolgsgeschichte:Der Mößbauer-Effekt

Vor 50 Jahren wurde an der TU ein Physik-Department nach amerikanischem Vorbild gegründet - mit einem Nobelpreisträger als Druckmittel

Von Jakob Wetzel

Es war ein Befreiungsschlag. Einer der drei Institutsleiter für Physik an der Technischen Hochschule München, wie die Technische Universität (TU) zu dieser Zeit noch hieß, war 1959 überraschend gestorben, ein anderer war zwei Jahre später in Ruhestand gegangen. "Die Physik war verwaist", sagt Gerhard Abstreiter. "Es gab nur noch einen einzigen Lehrstuhlinhaber, Heinz Maier-Leibnitz." Die Studentenzahlen dagegen stiegen an, und die 1957 in Garching errichtete Neutronenquelle, das "Atom-Ei", brachte nicht nur neue Möglichkeiten für die Forschung, sondern auch neue Aufgaben, also mehr Arbeit. Da forderte Maier-Leibnitz einen Neuanfang - und er setzte sich durch.

Vor genau 50 Jahren hat es diesen Neuanfang gegeben: Es war die Geburtsstunde des heutigen Physik-Departments der TU in Garching. Und es war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Alleine vier Nobelpreisträger haben Forscher und Alumni, die nach 1965 an dem Department arbeiteten, hervorgebracht. 13 Mal haben Physiker der TU in den vergangenen Jahren millionenschwere Zuschüsse des Europäischen Forschungsrats eingeworben, vier ihrer Kollegen erhielten Leibniz-Preise, die höchstdotierten Forschungspreise in Deutschland. Das Department zähle zur internationalen Spitze, sagte Bayerns Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle anlässlich des Jubiläums. Der Neuanfang sei dafür "ein wichtiger Grundstein" gewesen. Was damals genau geschehen ist, davon erzählt Gerhard Abstreiter, selbst Physiker. Er hat das Department aus allen Perspektiven gesehen, von 1968 an als Student, später als Doktorand, schließlich als Professor. 28 Jahre lang hat Abstreiter an der TU experimentelle Halbleiterphysik gelehrt. Seit März ist er im Ruhestand.

Rudolf Mößbauer

Rudolf Mößbauer hatte entdeckt, dass radioaktive Atome unter bestimmten Voraussetzungen Strahlung abgeben, ohne dass sie einen Rückstoß erhalten.

(Foto: dpa)

Anfangs sei es nicht mehr gewesen als ein Experiment, sagt Abstreiter. "Aber in meinen Augen hat das hervorragend funktioniert." Maier-Leibnitz, der damals letzte verbliebene Physik-Ordinarius der Hochschule, wollte für deutsche Verhältnisse eine Revolution. Der Fachbereich Physik sollte nicht nur neues und mehr Personal erhalten, sondern sich grundlegend verändern. Es sollte keine großen, nebeneinander her forschenden und lehrenden Institute mehr geben, sondern ein großes Department nach US-amerikanischem Vorbild. Es sollte auch keine einsam an der Spitze ihrer Institute thronenden Ordinarii mehr geben, sondern ein großes Kollegium gleichberechtigter Professoren. Und sie alle sollten flexibler arbeiten, sie sollten ihre Lehrveranstaltungen aufeinander abstimmen, mehr Fächer anbieten und Bibliotheken und teure Geräte gemeinsam nutzen.

Im Jahr 1961 holte Maier-Leibnitz zwei Theoretiker nach München, Wilhelm Brenig und Wolfgang Wild, den späteren bayerischen Wissenschaftsminister. Im selben Jahr stieß Nikolaus Riehl dazu. Gemeinsam baten die vier Professoren 1962 die bayerische Staatsregierung in einem Brief um die Reform. Und sie hatten einen Trumpf im Ärmel: einen jungen Physiker namens Rudolf Mößbauer.

Der Münchner hatte entdeckt, dass radioaktive Atome unter bestimmten Voraussetzungen Strahlung abgeben, ohne dass sie einen Rückstoß erhalten; mit diesem "Mößbauer-Effekt" hatte er die Grundlage geschaffen für eine außerordentlich empfindliche Messmethode. Nachdem er diesen Effekt auch noch erklären konnte, hatte Mößbauer 1961 im Alter von gerade einmal 32 Jahren den Nobelpreis für Physik erhalten. Jetzt forschte er in Pasadena bei Los Angeles. Zuvor aber hatte er bei Maier-Leibnitz in München promoviert. Und so ließ er sich zur Rückkehr an die Technische Hochschule überreden - allerdings nur unter einer Bedingung: Es sollte keine Physik-Institute mehr geben, sondern ein großes Department, so wie in Kalifornien. Die Aussicht, einen Nobelpreisträger nach Bayern zu locken, sei ein wirksames Druckmittel gewesen, erzählt Abstreiter. Und so willigte die Regierung nach anfänglichen Bedenken ein. 1965 entstand das Physik-Department der Technischen Hochschule mit zehn Professuren, sieben für experimentelle, drei für theoretische Physik. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel nannte die Reform den "zweiten Mößbauer-Effekt".

Eine Erfolgsgeschichte: Am Physik-Department (hier die Bibliothek) in Garching forschte auch der Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer.

Am Physik-Department (hier die Bibliothek) in Garching forschte auch der Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer.

(Foto: Architekturbüro Demmel und Hadler)

Die Technische Hochschule sei ein Vorreiter gewesen, sagt Abstreiter. Zu Beginn habe es zwar hin und wieder Alleingänge der Professoren gegeben, doch die Grundidee, die kollegiale Führung, habe sich letztlich durchgesetzt und bewährt. Bei ihr blieb es auch in den Siebzigerjahren, als die Staatsregierung die bayerischen Hochschulen reformierte und die Physik der TU wieder in Institutsform zwang. Erst in den Neunzigern wurde die Department-Struktur wieder hergestellt. Heute lehren am Physik-Department 38 Professoren in sogenannten Synergiebereichen wie Biophysik, Kern-, Teilchen und Astrophysik sowie Kondensierte Materie. Nach Angaben der TU ist das Department mit etwa 1200 Studierenden, 250 Abschlüssen und etwa 100 Promotionen eine der größten Physik-Fakultäten in Deutschland.

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