Eine Bildungsaufgabe:Ruf nach dem Freistaat

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Unterföhring bietet eine in Bayern bisher einmalige Betreuung

Von Martin Mühlfenzl, Unterföhring

Nach 37 Jahren schließt sich in Unterföhring der Kreis. Die Gemeinde im Landkreis München baut endlich ein Hallenbad - ein Projekt, auf das die Kommunalpolitiker im Jahr 1980 ganz bewusst verzichtet haben. Damals standen Bürgermeister Ernst Eckhardt und der Gemeinderat vor einer wegweisenden Entscheidung: Entweder ein Schwimmbad zu bauen oder in die Kinderbetreuung zu investieren. Sie haben "eine Entscheidung für die Zukunft" getroffen, sagt der amtierende Rathauschef Andreas Kemmelmeyer (Freie Wähler). Denn seit 37 Jahren müssen Eltern in der Mediengemeinde, in der das börsennotierte Unternehmen Pro Sieben Sat 1 seinen Sitz hat, keine Gebühren für die Kinderbetreuung bezahlen - die Kosten für Krippe, Hort und Kindergarten übernimmt die Gemeinde.

Diese im Freistaat einzigartige Förderung will nun auch die SPD im Münchner Rathaus durchsetzen. Bis zu 150 Millionen Euro könnte die Stadt das Projekt pro Jahr kosten. Die Gemeinde Unterföhring nimmt im Vergleich jedes Jahr 6,6 Millionen Euro in die Hand - und kann sich das dank Rücklagen in Höhe von etwa einer halben Milliarde Euro auch leisten.

Für Eltern ist das ein verlockendes Angebot. Aber auch andere Gemeinden gehen innovative Wege, um junge Familien zu unterstützen. In der Nachbargemeinde Ismaning - eine der prosperierenden im Landkreis München - ist das letzte Kindergartenjahr gratis. Für das dritte Kind fallen überhaupt keine Kosten an und die Kommune gestattet eine Geschwisterermäßigung von 25 Prozent. "Wir haben uns bei der Kinderbetreuung auf den Weg gemacht", sagt Bürgermeister Alexander Greulich von der SPD. Ein Weg, der irgendwann im Unterföhringer Modell enden könnte: "Das ist durchaus vorstellbar. Wir sollten alles versuchen, was hilft, unsere Familien zu unterstützen."

Greulich weiß aber auch, welche Konsequenzen die komplett kostenfreie Kinderbetreuung wie in Unterföhring haben kann. "Viele Immobilienmarker schreiben genau das als Pluspunkt in ihr Exposé", sagt Greulich. "Wir alle wissen, was das für die Immobilienpreise bedeutet, die schon komplett überhitzen." Viele Familien würden die "Wahnsinnspreise" dennoch nicht abschrecken: "Auch wenn es bei uns in der Region Münchner Preise sind, kaufen die Leute. Sie wissen, dass sie über die kostenlose Betreuung wieder einiges sparen."

In Unterföhring hat die seit 37 Jahren gängige Praxis weitreichende Folgen. Die Mediengemeinde ist die mit Abstand jüngste Kommune im Landkreis München, der Zuzug ist ungebrochen, obwohl Wohnungen absolute Mangelware sind. Die Attraktivität der Gemeinde mit ihren 11 000 Einwohnern hat auch viel mit den ansässigen Arbeitgebern zu tun: Neben Pro Sieben Sat 1 sind hier der Fernsehsender Sky, der Versicherer Allianz und Vodafone zu Hause. Nahezu in jedem großen Betrieb existiert eine Kita, die von der Gemeinde mit 5000 Euro im Jahr bezuschusst wird, sagt Lothar Kipp aus der Gemeindeverwaltung.

Kommunen aber müssen sich den Luxus der kostenfreien Kinderbetreuung leisten können - und wollen. Das reiche Grünwald etwa gönnt seinen Familien nur im letzten Kindergartenjahr die Kostenfreiheit, und das auch nur für eine Betreuung von bis zu fünf Stunden am Tag. Im finanziell weniger gesegneten Ottobrunn wurden die Gebühren Anfang des Jahres gar angehoben, da sich die Kosten für die Kinderbetreuung in den vergangenen fünf Jahren auf etwa acht Millionen Euro mehr als verdoppelt haben. Diese Kostenexplosion müssen die Eltern nun mittragen; von 2019 an werden für die Betreuung im Kindergarten 210 Euro monatlich fällig.

Undenkbar ist in einer Gemeinde wie Ottobrunn, die um jeden Euro bei der Gewerbesteuer kämpfen muss, dass Eltern gänzlich aus der Verantwortung gelassen werden. Dies könne nur funktionieren, wenn der Freistaat seiner eigentlichen Aufgabe nachkommt, sagt Bürgermeister Greulich: "Das ist die Kinderbetreuung. Aber stattdessen wird auch diese Staatsaufgabe immer weiter kommunalisiert." Soll heißen, die Zeche haben Städte und Gemeinden zu zahlen. "Für den Freistaat ist es sehr kommod, wenn die Kommunen einspringen." Die flächendeckende, kostenfreie Kinderbetreuung aber sei nur möglich, wenn der Freistaat auch zahlen würde.

Dass seine Stadt - wie München - finanziell in Vorleistung gehen könnte, um die kostenfreie Betreuung zu ermöglichen, kann sich Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) gut vorstellen. "Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es der Stadt München darum, Druck gegenüber dem Freistaat aufzubauen, indem sie für eine Weile in Vorleistung geht", sagt Hartmann. Das Ziel müsse es sein, eine vollständige Finanzierung der Kinderbetreuung durch den Freistaat durchzusetzen.

In Unterföhring müssen sich die Verantwortlichen darüber freilich keine Gedanken machen und bauen stattdessen nach 37 Jahren ein Hallenbad. Auch das ist eine Investition in die Zukunft und für die Kinder.

© SZ vom 30.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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