Einblicke:Wie das Münchner Trinkwasser in die Stadt kommt

Etwa 300 000 Kubikmeter Wasser verbrauchen die Münchner an einem Tag. Bis es in Trinkqualität aus dem Hahn sprudelt, hat es einen langen Weg hinter sich.

Von Jasmin Siebert und Florian Peljak (Fotos)

8 Bilder

Wassergewinnung im Mangfalltal (Thalham bei Weyarn, Nahe Miesbach)

Quelle: Florian Peljak

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Woher kommt das Münchner Wasser?

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte München wegen der miesen Qualität seines Trinkwassers in ganz Europa einen schlechten Ruf, Cholera und Typhus waren weit verbreitet. Es war Max von Pettenkofer, Deutschlands erster Hygieniker, der den königlichen Stadtrat über die Zusammenhänge von Abwasser, Müll und Trinkwasser aufklärte. Man beschloss, eine zentrale Trinkwasserversorgung einzurichten. Die Wahl für die Wassergewinnung fiel auf das Mangfalltal. Ehe man jedoch die ersten Quellen erschloss, ließ man Joseph Sedlmayr Bier mit dem Wasser brauen. Denn beim Brauen wäre schnell aufgefallen, wenn mit dem Wasser etwas nicht stimmt. Aber das Bier schmeckte hervorragend. So wurden ab 1881 die Mühlthaler Hangquellen gefasst. Bereits zwei Jahre später floss Trinkwasser nach München.

Wassergewinnung im Mangfalltal (Thalham bei Weyarn, Nahe Miesbach)

Quelle: Florian Peljak

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Dank des sauberen Wassers konnten Krankheiten rasch zurückgedrängt werden, die Einwohnerzahl verdoppelte sich bis 1901 auf 500 000. "Mit der Trinkwasserversorgung wurde ein Meilenstein gelegt, dass sich München entwickeln konnte", sagt Rainer List, Leiter der Wassergewinnung bei der Münchner Stadtwerken. Damit es genug Wasser für die wachsende Stadt gab, wurden in den darauffolgenden Jahren die Gotzinger Hangquellen erschlossen und die Grundwasserfassung Reisach gebaut.

Die Hangquellen sind eiförmige Stollen, die horizontal in den Berg getrieben sind; nur 1,70 Meter messen sie an ihrer höchsten Stelle. Sie treffen auf einen Querstollen, der mit Schlitzen versehen ist. Durch diesen fließt das konstant acht bis neun Grad warme Grundwasser ab. Es sieht wunderbar klar aus, auch wegen der blauen Fliesen, die im Eingang des Stollens verlegt worden sind. Darunter ist ein Gemisch aus Quarzsand und Beton, ein feines Sieb hält Sand ab, ehe sich das Wasser auf den Weg in die Stadt macht.

Wassergewinnung im Mangfalltal (Thalham bei Weyarn, Nahe Miesbach)

Quelle: Florian Peljak

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Welchen Weg nimmt das Wasser?

Wie die Hangquellen funktioniert auch die Grundwasserfassung Reisach noch genauso wie 1912, als sie in Betrieb genommen wurde. Blickt man den gefliesten Schacht hinab, könnte man ihn für einen Whirlpool halten. In das kreisrunde Becken mit etwa acht Meter Durchmesser münden vier Einspeisekanäle, zwei Abflüsse gehen ab. Mit Plattenschiebern an schweren Ketten lassen sich Zu- und Abflüsse je nach Bedarf regeln - früher machte man das per Hand, heute per Knopfdruck. Durch jeden Kanal strömen etwa 1200 Liter Wasser pro Sekunde und erzeugen ein konstantes lautes Rauschen. Eine Glaskuppel über dem Becken soll das Wasser schützen. 80 Prozent des Münchner Trinkwassers stammt aus dem Mangfalltal, der Rest wird im Loisachtal und in der Münchner Schotterebene gewonnen. Auch wenn Münchens Einwohnerzahl heute rasant wächst, wird nur halb so viel Wasser entnommen, wie neu nachgebildet wird.

Wassergewinnung im Mangfalltal (Thalham bei Weyarn, Nahe Miesbach)

Quelle: Florian Peljak

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Anfang der 1990er-Jahre entschieden die Wasserwerker, die mehr als hundert Jahre alte Wasserleitung vom Mangfalltal nach München zu erneuern. Auf bergmännische Weise wurde bis zu 70 Meter unter der Erde ein Stollen vorangetrieben. Rund 180 Millionen Euro investierten die Stadtwerke, bis 2008 die neue Leitung nach 15 Jahren Bauzeit fertig war.

Die Kanäle, die von den Gotzinger Hangquellen und der Grundwasserfassung Reisach abgehen, verlaufen nur wenige Meter unter der Erdoberfläche. Ließe man das Wasser im freien Fall zur neuen, sehr viel tieferen Leitung hinabstürzen, würde das das natürliche Kalk- und Kohlensäure-Gleichgewicht stören.

Wassergewinnung im Mangfalltal (Thalham bei Weyarn, Nahe Miesbach)

Quelle: Florian Peljak

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Es brauchte also ein Verbindungsstück: den Spiralschacht Thalham. Von oben betrachtet, sieht er aus wie ein Parkhaus - nur dass darin keine Autos fahren. In der rechtsgedrehten Spirale von 220 Metern Länge fließt Wasser auf einer Betonrinne gemütlich 22 Meter hinunter zur neuen Leitung. Mit einem gleichmäßigen Gefälle von vier Promille unterquert diese dann Berge und die Mangfall. Nach 30 Kilometern erreicht sie einen Hochbehälter in Deisenhofen. Der fasst 300 000 Kubikmeter Wasser, das ist etwa der Tagesverbrauch von ganz München. Von diesem Zwischenpuffer und von zwei weiteren Hochbehältern in Kreuzpullach und im Forstenrieder Park aus verzweigt sich ein 3300 Kilometer langes Leitungsnetz ins gesamte Stadtgebiet.

Weil es innerhalb von München einen Höhenunterschied von bis zu hundert Metern gibt, ist die Stadt in vier Druckgebiete eingeteilt. Regulatoren sorgen dafür, dass in der ganzen Stadt in etwa der gleiche Wasserdruck herrscht. Sonst würde das Wasser in niedriger gelegenen Stadtteilen aus der Leitung spritzen, während es in höheren nur herauströpfeln würde.

Wassergewinnung im Mangfalltal, Überprüfung des Wassers im Labor der Stadtwerke in Moosach

Quelle: Florian Peljak

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Wer kontrolliert, ob das Wasser sauber ist?

Wäre das Wasser schlecht, die kleinen Saiblinge würden sofort reagieren. Deshalb hält man sie in Fischbassins nahe der Quelle. Sie sind aber nicht die einzigen Wassertester: Jeden Vormittag entnehmen Labormitarbeiter Wasserproben an den Quellstollen, beim Hochbehälter und an bestimmten Stellen der Zubringerleitungen. Sie riechen am Wasser und probieren es. Selbst leichte Geschmacksveränderungen und feinste Trübungen oder Partikel müssen sie erkennen. Am Nachmittag treffen die Proben im Labor der Stadtwerke ein. Dort wird es auf Bakterien und auf Zerfallsstoffe von Pflanzenschutzmitteln und Medikamentenrückständen untersucht.

"Wir messen so genau, dass wir ein Stück Zucker im Starnberger See finden würden", sagt Karin Thelen, Leiterin des SWM-Labors. Im Trinkwasser finden die Tester in der Regel nichts. "Wir haben keinen einzigen Krankheitserreger im Wasser", sagt eine Labormitarbeiterin stolz. Die Prüfprotokolle bestätigen das, dort reihen sich Nullen aneinander, Seite um Seite, ein ganzer Ordner voll. Dennoch wird das Münchner Trinkwasser jeden Tag getestet, denn Wasser ist kein chemisch reines Produkt, sondern ein Naturprodukt, das seine Umwelt widerspiegelt. Im Wasser finden sich immer Spurenelemente von Stoffen, die der Mensch nutzt, jedochmeist in solch homöopathischen Dosen, dass sie dem Menschen nicht schaden.

Wassergewinnung im Mangfalltal, Überprüfung des Wassers im Labor der Stadtwerke in Moosach

Quelle: Florian Peljak

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Das SWM-Labor testet auch das Wasser aller städtischen Bäder und von Badeseen. Privatleute können ebenfalls Proben bringen. Mieter haben laut Trinkwasserverordnung das Recht, einmal im Jahr Auskunft über die Qualität ihres Leitungswassers zu erhalten, Vermieter müssen den Test zahlen. Die Stadtwerke kontrollieren das Wasser nämlich nur bis zum Hauseingang, für die Hausinstallationen sind die Besitzer zuständig.

Probleme können entstehen, wenn alte Hausleitungen oder billige Armaturen Schwermetalle abgeben oder das Wasser zu lange in der Leitung steht. Thelen empfiehlt, das kalte Wasser aus dem Hahn so lange laufen zu lassen, bis es spürbar kälter wird. Das sei keine Verschwendung, sondern sinnvoll, um nicht abgestandenes Wasser zu trinken. Zugleich werde so verhindert, dass Legionellen entstehen. Die Wasserkeime vermehren sich, wenn zu wenig und vor allem zu wenig heißes Wasser durch die Leitung fließt. Thelen rät auch, ab und an die Siebe in den Wasserhähnen zu reinigen, "so haben Sie immer beste Trinkwasserqualität". Wasser sei das "best-überwachte Lebensmittel", es schmecke besser und sei noch dazu viel billiger als Mineralwasser, das bereits Wochen vor Verzehr in Flaschen abgefüllt wurde. Selbst das günstigste Discounterwasser kostet aktuell 77-mal so viel wie Münchner Leitungswasser.

Wassergewinnung im Mangfalltal (Thalham bei Weyarn, Nahe Miesbach)

Quelle: Florian Peljak

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Ist das Münchner Wasser wirklich so gut?

Will Rainer List (im Bild) Besuchern zeigen, woher Münchens Trinkwasser kommt, setzt er sich in ein E-Auto und fährt damit durch eine Landschaft, die fast unberührt ist. Das Reisacher Wasserschlösschen ist umgeben von Wald und Wiesen, auf denen seltene Pflanzen wie zum Beispiel Knabenkräuter wachsen.

Etwa 1800 Hektar Wald sind im Besitz der Münchner Stadtwerke, drumherum betreiben 165 Landwirte auf einer Fläche von 3900 Hektar ökologische Landwirtschaft. Weil der Nitratgehalt im Wasser anstieg, kamen die Wasserwerker 1992 auf die Idee, Bio-Landwirtschaft zu fördern. Dank Umstellhilfen schlossen die SWM schon im ersten Jahr mehr als 20 Verträge ab. Weil die Ökolandwirtschaft heute noch gefördert wird, ist Nitrat im Wasser, anders als in vielen Orten Deutschlands, in München kein Thema mehr. Das Münchner Wasser fließt durch die Leitungen, wie es sich als Grundwasser im Gebirge gebildet hat. Es wird nicht aufbereitet und nicht mit Zusatzstoffen versehen. "Wir haben es der Weitsichtigkeit unserer Vorfahren zu verdanken, dass wir so reines Wasser haben und nicht wie andere Städte Flusswasser reinigen lassen müssen", sagt List.

Der Preis für das Münchner Wasser liegt mit momentan 1,68 Euro pro Kubikmeter im bayerischen und deutschen Mittelfeld. Der einzige vermeintliche Nachteil des Wassers: Es ist sehr hart. Wasserkocher, Kaffeemaschinen müssen ständig entkalkt werden. Für den menschlichen Körper dagegen ist es eher von Vorteil, dass das Wasser bei seinem Weg über uraltes Gestein wichtige Mineralien wie Kalzium und Magnesium aufnimmt.

© SZ vom 09.10.2017/vewo
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