Stadtviertel:Bogenhausen ist größer als seine Klischees

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Die Parkstadt Bogenhausen ist ein Gesicht des Viertels. (Foto: Florian Peljak)

Villen inmitten riesiger Parks, in denen sich die Reichen verkriechen, davor die Porsches - dieses Bild hat jeder von dem Stadtteil. Doch an manchen Orten ist er ganz anders als sein Ruf.

Von Anna Hoben

Man sollte nicht an der Mauerkircherstraße nach einem Bäcker suchen. "Falsche Richtung", sagt die Frau, die gerade in einen schwarzen Audi steigen will, da müsse man ganz schön weit gehen, zwei Kilometer bestimmt. In der anderen Richtung, am Kufsteiner Platz, werde man eher fündig. Kurz darauf hält derselbe schwarze Audi neben einem am Straßenrand. "Steigen Sie ein, ich fahr' Sie hin", sagt die Frau. Sie lächelt ein offenes Lächeln und spricht mit osteuropäischem Akzent. Aus Tschechien komme sie und kümmere sich hier um eine 90 Jahre alte Dame, einkaufen, mir ihr spazieren gehen, reden, alles, damit sie körperlich und geistig fit bleibt. "Meine Dame", sagt sie, "ist gerade beim Friseur". Und sie ist auf dem Weg, sie abzuholen.

Am Kufsteiner Platz findet man dann auch das gesuchte Backwarengeschäft, es nennt sich natürlich nicht einfach Bäcker, sondern Brotmanufaktur. An den Tischen auf dem Bürgersteig sitzen zwei weitere Damen, auch im hohen Alter perfekt geschminkt, Rollatoren neben den Stühlen geparkt, eine von ihnen ebenfalls in Begleitung einer Osteuropäerin. Betuchte alte Damen mit osteuropäischen Gesellschaftsdamen, das ist wohl Bogenhausen.

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Wer an Bogenhausen denkt, der denkt meist folgende Assoziationskette: Villen, Reiche, Abschottung. Aber Bogenhausen hat viele Gesichter. Der Bezirk umfasst acht Stadtteile mit knapp 87 000 Bewohnern. Da ist zum Beispiel das einst ländliche Denning, wo die Straßennamen - Memeler Straße, Ostpreußenstraße, Königsberger Straße - darauf verweisen, dass sich dort nach dem Zweiten Weltkrieg viele Vertriebene ansiedelten.

"Man fühlt sich zwar gut, dass man in Bogenhausen lebt, aber man versucht schon, sich abzugrenzen von den Klischees", sagt Christine Untch. Sie arbeitet als Pfarrerin in der evangelischen Immanuel-Nazareth-Gemeinde, meist ist sie in der Immanuelkirche in Denning anzutreffen, manchmal auch in der Nazarethkirche am Rande der Parkstadt Bogenhausen. Großzügige Einfamilienhäuser in Denning, große Wohnblöcke in der Parkstadt - das Publikum im Gottesdienst ist unterschiedlich, die Predigten variieren sie und ihr Kollege trotzdem nur minimal. Das Gute, wenn man Pfarrerin in Bogenhausen ist: "Die Leute spenden gern."

Vielleicht wohnen die Spender auch in dem Bogenhausen, das dem verbreiteten Bild des Stadtteils entspricht. An der Mauerkircherstraße zwischen Kufsteiner Platz und Oberföhring zum Beispiel. Wo die Villen immer prächtiger werden, die Hecken höher und die Klingelschilder leerer. Wo die Autos am Straßenrand BMW X5 heißen, Porsche Cayenne oder Audi Q7. Wo private Gärten Skulpturenparks gleichen. Es geht vorbei an der Wastl-Fanderl-Musikschule, die sich der bairischen Volksmusik widmet. Kinder, Jugendliche und Senioren gehen hier am Nachmittag ein und aus. Irgendwann biegt man rechts in eine der ruhigen Straßen ein. An einem Zaun verkünden Schilder: "Hier entstehen Eigentumswohnungen, lassen Sie sich vormerken". Armes altes Haus hinterm Zaun - es wird wohl bald abgerissen. Kann ein Stadtteil wie Bogenhausen eigentlich auch gentrifiziert werden?

"Ein Hund ist aber ein Hund, kein Mensch"

Und dann hat man die Villa Kunterbunt erreicht. So nennt Alexandra Goergens das Haus, in dem sie seit 20 Jahren lebt und seit zehn Jahren eine Tierarztpraxis betreibt. Ein Äffchen und ein Pferd sind zwar nicht zu sehen, dafür kommen einem sofort zwei große Hunde entgegen. Sie habe immer zwei Hunde und drei Katzen, immer aus dem Tierschutz, sagt Goergens und führt barfuß in den Garten.

Ihre Patienten sind zu 80 Prozent Hunde, Rhodesian Ridgebacks seien gerade besonders in Mode. Das Problem: "Einen großen Jagdhund muss man beherrschen", viele Halter tun das nicht. So ist das als Tierarzt: Man lernt vor allem viel über Menschen. Oft würden Tiere als Partner- oder Kindersatz gehalten, "ein Hund ist aber ein Hund, kein Mensch". Wenn er zu wenig Bewegung bekommt, dann bekommt er stattdessen einen Knacks.

Tierärztin Alexandra Goergens nennt ihr Haus Villa Kunterbunt. (Foto: Florian Peljak)

Viele Halter ihrer Patienten kommen aus der näheren Umgebung, "hier hat ja jeder ein Tier". Aber es sind keinesfalls nur wohlhabende Bogenhausener. "Vom hinterletzten Zuhälter über Menschen, die von Hartz 4 leben bis hin zu Prominenten." Irgendjemand hat immer einen Notfall mit seinem Tier, ständig klingelt einer, auch ohne Termin. Früher an diesem Tag hat Goergens zwei Hunde operiert.

Von der Fauna ist es nicht weit zur Flora, zu einer anderen Villa Kunterbunt: der Gärtnerei Buchner. Beim iranischen Generalkonsulat durch die Herzog-Albrecht-Anlage, die Böschung hoch. Am Ende der Straße liegt die Gärtnerei, sie ist ein besonderer Ort. Riesiges Grundstück, Gewächshäuser, freie Flächen, auf denen Rosen und Dahlien gezüchtet werden. Der Chef ist unterwegs, sein Lebenspartner und Büroleiter Martin Rösch empfängt im von der Sonne aufgeheizten Gewächshaus. "Das ist hier eine der wenigen Flächen im Herzogpark, die noch nicht dicht mit Wohnungen bebaut sind", sagt er. Bogenhausen erlebe eine Sättigung, viele alte Villen seien schon abgerissen, "es wird verdichtet wie anderswo auch". Und auch die Klagen der Bewohner klängen ähnlich: Früher hätten sie freie Sicht gehabt, jetzt schaue ihnen der Nachbar auf den Balkon.

Eigentlich ist Rösch Patentanwalt, einen grünen Daumen habe er nie gehabt, sagt er. Doch jetzt nimmt er eben Aufträge entgegen und macht Lohnabrechnungen, "es hat sich so ergeben". Im Gewächshaus blüht es in allen Farben, zwei Gärtner gießen um die Wette, Zitronen- und Kumquatbäumchen warten darauf, nach Hause zurückkehren zu dürfen. "Überwinterungspflanzen von den Kunden", erklärt Rösch. Weil die Kälte heuer so lange anhielt, hat sich alles verschoben. Bisher haben sie deshalb hauptsächlich Bäume und Hecken geschnitten, jetzt geht es endlich richtig los. Rasenmähen, Gärten und Dachterrassen bepflanzen, bewässern.

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Die Villa auf dem Grundstück, in der sie leben, seit sie im Jahr 2000 mit der Gärtnerei hierher zogen, war einst eine Sommerfrische von Leuten, die im Lehel wohnten; an den Wochenende fuhren sie raus nach Bogenhausen. Eine nachhaltige Art, in den Urlaub zu fahren: einmal über die Isar, eine Strecke von zweieinhalb Kilometern. Wie im Urlaub fühlt sich auch Rösch in dieser Idylle mitunter, "es ist ein bisschen wie in Südfrankreich, aber mit nur drei Kilometern Entfernung zum Marienplatz". Wegfahren ist nicht nötig, "da steh ich nur mit allen anderen im Stau und ärger' mich, lieber sitze ich auf der Terrasse, trinke einen Kaffee und rauche eine Zigarre".

Nun ist das Leben in einer Gärtnerei natürlich kein Urlaub, sondern harte Arbeit, und deshalb ist das Schöne an dem Standort vor allem dies: Sie müssen nicht in andere Stadtteile fahren, hier wohnen genug Leute, die es sich leisten können und wollen, ihren Garten pflegen zu lassen. Zur örtlichen Eingrenzung von Bogenhausen scheint es in dieser Ecke ohnehin eine klare Meinung zu geben. Auf die Parkstadt Bogenhausen angesprochen, schüttelt Rösch den Kopf. "Nie gehört." Wo soll das sein? Ach, hinter dem Mittleren Ring, "da denk' ich nicht mehr Bogenhausen".

Martin Rösch von der Gärtnerei Buchner erlebt täglich die ganze Vielfalt seiner Kundschaft. (Foto: Florian Peljak)

Aber natürlich ist die Parkstadt auch Bogenhausen. Ein Spaziergang durch das Viertel, das in den Fünfzigerjahren nach dem Krieg als erste größere Wohnanlage Bayerns erbaut wurde. Elf-, zwölf-, sogar 15-stöckige Hochhäuser, ansonsten etwas niedrige Zeilenbauten. Das Ensemble, angelegt für 6000 Bewohner, steht heute unter Denkmalschutz. Die Parkstadt, deren Name nach Maklerwerbesprache klingt, entspricht nicht dem Bogenhausen-Klischee. Obwohl sie etwas gemeinsam hat mit dem Villenviertel: Es ist ruhig. Sehr ruhig. Meilenweit entfernt scheint der Mittlere Ring, obwohl er direkt nebenan liegt. "Hier hört man nur die Vögel", sagt Göktan Nebahat, und genauso ist es.

Nebahat, 62 Jahre alt, geht auf einem Weg, der von Wiesen gesäumt ist, ein paar Jungs spielen Fußball. Sie kommt gerade vom Sport und trägt eine Gymnastikmatte mit sich. Fast vier Jahrzehnte wohnt sie in der Parkstadt. Aus der Türkei war sie einst nach München gekommen, für Agfa baute sie kleine Teile in Kameras ein, ihr Mann arbeitete bei BMW, schon bald konnten sie die Wohnung in der Parkstadt kaufen. Wenn sie gefragt wird, wo sie wohnt, sagt sie Bogenhausen, "klar", verständnisloser Blick, "das ist doch Bogenhausen". Sie mag es hier: dass es so grün ist, dass die meisten Bewohner Eigentümer sind, dass man sich kennt. "Oh Gott", sagt Göktan Nebahat, wenn sie an andere Stadtteile denke, "Perlach oder das Hasenbergl, da möchte ich lieber nicht wohnen". So ist das mit den Stadtteilen und den Klischees.

Die Literaturveranstaltung Hörgang lädt an diesem Samstag zu einer Entdeckungsreise durch Bogenhausen. 30 Autoren lesen ab 20 Uhr zu jeder vollen Stunde an 30 Orten. Eine Abendkasse für Kurzentschlossene gibt es im Kafe Kult und in der Monacensia. Weitere Infos: www.hoergang.com.

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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