Ehemalige Luitpoldkaserne:Ein Biotop für Künstler

Ehemalige Luitpoldkaserne: "Kulturschutzgebiet" - so nennt ein Künstler das Areal rund um die ehemalige Luitpoldkaserne.

"Kulturschutzgebiet" - so nennt ein Künstler das Areal rund um die ehemalige Luitpoldkaserne.

(Foto: Robert Haas)

Das Kreativquartier in Schwabing ist das aufregendste Projekt, das München derzeit vorhat. Ein Rundgang.

Von Franz Kotteder

Weißer Nebel wabert durch die kahlen Katakomben, ein junger Mann ist, halb nackt, auf eine Art Operationstisch geschnallt. Medizinische Geräte stehen um ihn herum, rote Leuchtziffern blinken, Apparate zeichnen scheinbar seine Körperfunktionen auf. Dann sieht man im diffusen Licht amorphe Gestalten ganz in Weiß, knubbelige, menschengroße Formen, die sich langsam um ihr Opfer herumbewegen.

Ganz schön was geboten, hier draußen im Kreativquartier an der Dachauer Straße. Auch wenn es sich nicht um Aliens bei der Arbeit handelt, sondern um Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film, die hier an ihrer Abschlussarbeit basteln. Science-Fiction scheint wieder in zu sein.

Hier unten, im Keller der Halle 33 auf dem Gelände der ehemaligen Luitpoldkaserne, haben die Filmstudenten ihr ideales Setting gefunden. Eigentlich ist in dieser Halle ja das "Mucca" untergebracht, das "Munich Center of Community Arts". Diese Einrichtung widmet sich der kulturellen und künstlerischen Aus- und Fortbildung für alle Altersgruppen, mit einem Kunstkreis und einem "Community Orchestra" etwa.

Nähwerkstatt für geflüchtete Mädchen

Der Begriff darf aber auch mal etwas weiter gefasst sein: Oben im Erdgeschoss halten Sophie Graber, Eva Schatz und Viola Zimmer zum Beispiel gerade ihre offene Nähwerkstatt für Mädchen aus Somalia, Syrien und dem Senegal ab. "Ein-, zweimal die Woche machen wir das", sagt Sophie Graber.

Die drei wollten etwas mit minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen machen. Und die leben hier im Kreativquartier ja keine 50 Meter entfernt, im Haus 2 an der Schwere-Reiter-Straße. Der Verein Heilpädagogisch-Psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe e. V. (hpkj) betreibt hier eine Unterkunft, 82 Mädchen und Jungen leben dort.

Besser als im Kreativquartier hätten sie es wohl kaum erwischen können; viele der Künstler und Kreativen auf dem Gelände tun etwas für sie. Einen kleinen Bewohnergarten mit dem Titel "Asylantis" haben sie zusammen mit ihnen angelegt, andere helfen beim Deutschlernen.

Noch scheint der Spracherwerb stark durch Bürokratie geprägt zu sein. Am Eingang der Unterkunft spielen drei afrikanische Buben, zwei tun so, als wollten sie den Dritten nicht ins Haus lassen und rufen lachend: "Ausweis! Ausweis!"

Wie das Kreativquartier in den nächsten Jahren aussehen soll

An jeder Ecke auf dem Gelände scheint gerade etwas zu passieren. Es gibt das Pathos-Theater mit seinen Produktionsräumen, es gibt das "International Munich Art Lab", das Kindern und Jugendlichen Kunst und Medien nahebringt, es gibt die Halle 6 um den Künstler Christian Schnurer als Einrichtung, die Künstlern Ateliers vermittelt.

Man findet hier die städtische Tanz- und Theaterbühne Schwere Reiter und das Atelierhaus Dachauer Straße, das schon seit 1993 besteht. Das Areal hier ist wohl das lebendigste und vielseitigste Künstlerbiotop der Stadt. Schon jetzt.

Dabei ist es nur ein kleiner Teil des künftigen Kreativquartiers, das in den nächsten zehn Jahren hier entstehen soll. Es handelt sich dabei um das ehrgeizigste, gewagteste und aufregendste Architektur- und Stadtplanungsprojekt, das München derzeit vorhat.

"Als wir uns damals das Areal wegen des städtebaulichen Wettbewerbs angesehen haben", erzählt Andreas Krauth vom Berliner Büro Teleinternetcafé, "stellten wir fest: Das Kreativquartier ist ja eigentlich schon da." Nämlich an der Nordwestecke des Geländes zwischen Dachauer-, Schwere-Reiter-, Loth- und Heßstraße (mit einem nördlichen Ausläufer bis zur Infanteriestraße).

"Schau mal mal" statt zu viel Planung

Ehemalige Luitpoldkaserne: Im Kreativquartier gibt es auch ein Reparaturcafé für Fahrräder.

Im Kreativquartier gibt es auch ein Reparaturcafé für Fahrräder.

(Foto: Robert Haas)

Und so teilten die Berliner, die fast alle in München studiert haben, das Gelände in vier große Teile auf und entschieden sich für den geradezu revolutionären stadtplanerischen Ansatz, das nordwestliche Viertel mit dem neuen Namen "Kreativlabor" gar nicht groß zu überplanen, sondern es nach dem schönen münchnerischen Prinzip "Schau ma mal" einfach wachsen zu lassen. Im Fachjargon nennt man das "prozesshafte Stadtentwicklung".

Wohl auch zur Überraschung von Teleinternetcafé entschied sich die Jury dann sogar einstimmig für dieses Konzept, und erst vor Kurzem wurde das Büro dafür mit dem renommierten Deubau-Preis für Urbanistik der Stadt Essen ausgezeichnet.

Gleich vier städtische Referate sind eingebunden

Natürlich enthält das Konzept auch Pläne für die anderen drei Teile des künftigen, 20 Hektar großen Kreativquartiers: für das Wohngebiet im Osten; für den Park in der Mitte mit der Jutier- und der Tonnenhalle, die beide unter Denkmalschutz stehen und später als Produktionsort und Schaufenster für Künstler und Kreative aller Art dienen sollen; und für den Uni-Campus der Hochschule für angewandte Wissenschaften im Süden nebst staatlichem "Entrepreneurzentrum" für Firmen der Kreativwirtschaft.

Für die Hallen läuft derzeit das Bebauungsplanverfahren, es wird wohl erst 2017 abgeschlossen sein. Ein Betriebskonzept darüber, was in den Hallen einmal möglich sein soll, wird schon dieses Frühjahr in den Stadtrat kommen.

Überhaupt muss man die rund um das Kreativquartier Tätigen bewundern, dass sie sich überhaupt noch auskennen zwischen all den Lenkungskreisen, Positionspapieren, Betriebskonzepten und Rahmenplänen. Gleich vier städtische Referate sind eingebunden: Das für Arbeit und Wirtschaft hat die Federführung, das Kommunalreferat verwaltet die Liegenschaft, seit die Stadt das Areal vom Bund gekauft hat, das Planungsreferat überplant es, und das Kulturreferat betreut und fördert die Kulturschaffenden, die schon da sind und später einmal da hinsollen, wenn die beiden Hallen mit ihren 10 000 Quadratmetern bespielt werden können. Das eine ist die Verwaltung.

Viele Künstler trauen dem Frieden noch nicht so recht

Das andere sind die Künstlerinnen und Künstler, die zum Teil schon seit vielen Jahren auf dem Gelände arbeiten, oft mit kurzfristigen Mietverträgen, die ebenso kurzfristig immer wieder verlängert wurden. Gerade wieder um den vergleichsweise langen Zeitraum von zwei Jahren. Manche trauen dem Frieden noch nicht so recht, glauben nicht ganz an die "prozesshafte Stadtentwicklung", an der sie teilhaben sollen.

Die Nutzer haben sich zusammengeschlossen im Verein "Labor München" als zentraler Ansprechpartner für die Stadt. Es gibt regelmäßig "Runde Tische" und einmal im Monat die "Laborgespräche" im Import/Export, der Künstlerkneipe im Kreativquartier, die zugleich so etwas wie die Kantine der Nutzer darstellt und in der es vor allem gesunde Sachen zu essen gibt.

Einer vom "Labor München" ist Christian Schnurer. Der Künstler hat 2010 die "Halle 6" gegründet, eine GmbH, die auf dem Gelände Räume renoviert und als Ateliers, Werkstätten oder Proberäume vermietet, zwischendrin aber auch noch tausend andere Dinge miterledigt. Gerade organisiert sie zum Beispiel Hilfslieferungen zu Flüchtlingslagern auf Lesbos, in der Halle stapeln sich die Kartons.

Gibt es doch noch eine Stunde Null?"

Ehemalige Luitpoldkaserne: Schon viele Filme sind auf dem Gelände an der Schwere-Reiter-Straße entstanden.

Schon viele Filme sind auf dem Gelände an der Schwere-Reiter-Straße entstanden.

(Foto: Robert Haas)

Schnurer hat trotzdem Zeit zu erklären, was gerade so abläuft auf dem Areal und wer sich wo engagiert: "So langsam sammeln sich die Leute, die hier einen anderen Ort für ihre Arbeit suchen." Schnurer kritisiert zwar, dass die Stadt "auf den Leuchtturm mit den Riesenhallen hinarbeitet und nicht die normalen Sachen macht", er sieht aber auch Positives: "Grundsätzlich läuft jetzt alles ganz gut, weil wir von der Verwaltung wieder Luft zum Atmen bekommen haben." Trotzdem wäre es schön, wenn man endlich wüsste: "Kann man längerfristig agieren oder gibt es doch noch eine Stunde Null?"

Diese Frage können am ehesten Andreas Uhmann und Wibke Dehnert vom Planungsreferat der Stadt beantworten. Der leitende Baudirektor und die Bauoberrätin sind für das Kreativquartier zuständig und haben die nicht ganz leichte Aufgabe, die "prozesshafte Stadtentwicklung" in Verwaltungshandeln umzusetzen.

Gewinn für die Stadt München

"Das ist schon eine Herausforderung", sagt Uhmann und schmunzelt, "so etwas steht ja dem Instrument des Bebauungsplan von der inneren Logik her entgegen." Man müsse also Regelungen finden, die flexibel genug sind, um Entwicklungen nicht zu verhindern. Für die beiden ist das durchaus eine reizvolle Aufgabe. Wibke Dehnert sagt: "Das kann ein unglaublicher Gewinn für die Stadt München werden."

Für den Teilbereich, der heute schon Kreativquartier ist, arbeitet man noch an der Rahmenplanung, die vor dem Bebauungsplan steht. Kann also schon noch vier Jahre dauern, bis der kommt. Eigentlich eine gute Nachricht für Sara Rogenhofer, Michael Runschke und weitere 24 Künstler aus dem städtischen Atelierhaus an der Dachauer Straße 110g. Rogenhofer und Runschke haben ihr Atelier im ersten Stock und können die Jutier- und Tonnenhalle von dort aus sehen. Sie blicken skeptisch und glauben nicht recht, dass die kommenden Ateliers in den beiden großen Hallen ihre Räume nicht gefährden.

In die Jutier- und die Tonnenhalle kommen Ateliers für Künstler

"Wir sind ja ohnehin hier seit 20 Jahren auf dem Sprung", sagt Rogenhofer, und Runschke fürchtet, dass das Haus eines Tages doch noch abgerissen wird. Denn die Stadt sei bisher nicht auf das Angebot der Künstlergruppe eingegangen, das Gebäude in Erbpacht zu übernehmen und als "Mehrgenerationenhaus" zu betreiben, bei dem die älteren und etablierteren Künstler die Mieten der jüngeren teilsubventionierten. "Man will sich da anscheinend nicht festlegen", sagt Runschke.

Überhaupt ist vieles noch im Schwange auf dem Areal. Einer, dem das alles ein bisschen zu langsam geht, ist Karsten Schmitz. Seine Stiftung Federkiel hat Geld und Erfahrung, in Leipzig hat sie die berühmte Halle 14 in der Baumwollspinnerei aufgebaut, einem der spektakulärsten Kreativquartiere Deutschlands. Die Stiftung würde sich an der Dachauer Straße gerne mehr engagieren, fühlt sich aber momentan ein wenig ausgebremst von der Stadt.

Geplant ist auch eine Moschee

Dabei gefällt Schmitz sehr, was sie da vorhat: "Das kann eine Qualität bekommen wie Olympia 72, daran sollte man sich orientieren - auch was die Geschwindigkeit der Planung und die Improvisation angeht."

Danach sieht es zwar nicht direkt aus, aber verändern wird sich so oder so bald einiges auf dem Gelände. Die baufälligen Gebäude entlang der Dachauer Straße, sie stehen seit sechs Jahren leer, werden bald abgerissen. Dann wird die Freiwillige Feuerwehr ihren Stützpunkt aufgeben, auch die Stadtentwässerung zieht um. Dort, wo sie jetzt ist, soll einmal die neue Moschee entstehen.

Und dann werden vermutlich schon 2017 die ersten 325 Wohnungen im Nordostteil des Areals gebaut. Bis dahin wird sich auch das Kreativlabor schon wieder mächtig verändert haben. Aber das ist letztlich ja auch Sinn der Sache.

Ehemalige Luitpoldkaserne: "Kulturschutzgebiet" - so betitelt ein Künstler das Areal. Viele der Kulturschaffenden befürchten, dass es eines Tages doch noch abgerissen wird.

"Kulturschutzgebiet" - so betitelt ein Künstler das Areal. Viele der Kulturschaffenden befürchten, dass es eines Tages doch noch abgerissen wird.

(Foto: Robert Haas)
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