Ehefrau erstochen:Chronik eines angekündigten Mordes

Ehefrau erstochen: Nach der Tat ist die Wohnung versiegelt worden, in der Sampre B. mit ihren beiden Kindern lebte.

Nach der Tat ist die Wohnung versiegelt worden, in der Sampre B. mit ihren beiden Kindern lebte.

(Foto: Robert Haas)

Taifoun A. prügelt seine Frau und stellt ihr nach. Sie trennt sich von ihm und erwirkt sogar ein Kontaktverbot. Doch das zeigt wenig Wirkung: Mehrfach verstößt der Mann dagegen. Und am Ende ersticht er sie in einem Hausflur.

Von Susi Wimmer

Sampre B. war eine lebenslustige und hübsche Frau: braune, große Augen, lockige Löwenmähne. Sie stammte aus der griechischen Stadt Xanthi. Dort kamen ihre beiden Söhne Egke und Tountzel zur Welt, dort lebte sie, ehe die Wirtschaftskrise sie und ihre Familie im Jahr 2011 nach Deutschland brachte. Hier in München erhoffte sich die Familie eine bessere Zukunft. Stattdessen wurde die Ehe für die junge Frau zu einem Martyrium. Als sie stark genug war, es zu beenden und sich von ihrem prügelnden Ehemann zu trennen, tötete er sie. Sampre B. starb am 14. Oktober 2013 im Alter von nur 29 Jahren. Sie hinterlässt ihre beiden Söhne, sechs und sieben Jahre alt. Aus Gesprächen mit Behörden und mit Menschen, die mit Sampre B. und ihrem Mann zu tun hatten, ergibt sich die Chronik eines angekündigten Mordes.

Im Juni 2011 ziehen Sampre B. und ihr Mann Taifoun A., 33, in eine kleine Wohnung in einem Mietshaus in Harlaching nahe dem McGraw-Graben. Das Paar wohnt mit seinen Kindern im sechsten Stock, Sampre B. findet schnell Freundinnen im Haus und in der Nachbarschaft. Sie will Deutsch lernen, sich integrieren. Wann Taifoun A. begonnen hat, seine Frau zu schlagen und zu misshandeln, ist nicht bekannt.

Am 24. März 2012 findet Sampre B. erstmals den Mut, ihren Mann anzuzeigen. Sie geht zur Polizei und erzählt, Taifoun A. habe sie in der Wohnung geschlagen. Doch das Verfahren gegen ihn wegen Körperverletzung wird im Juli 2012 eingestellt - weil Sampre B. plötzlich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht und doch nicht gegen ihren Mann aussagt.

Im März 2012 lässt sich Sampre B. auch erstmals von der Polizei beraten. Das Münchner Unterstützungsmodell gegen häusliche Gewalt (MUM) vermittelt Gewaltopfer an Beratungsstellen und zeigt praktische Wege und rechtliche Möglichkeiten auf.

Am 10. August 2012 wiederholt sich das Geschehen: Erneut schlägt Taifoun A. zu, erneut erstattet Sampre B. Anzeige wegen Körperverletzung - und schweigt. Ohne ihre Aussage kann die Staatsanwaltschaft die Tat in der Wohnung nicht nachweisen, es gibt keine Zeugen. Das Verfahren wird wieder eingestellt.

"Viele Frauen glauben, dass sie mit einer Anzeige ihrem Partner einen Schuss vor den Bug geben können und dass der sich dann ändert", sagt Sibylle Stotz vom Frauennotruf. Aber das sei ein Märchen. Anzeige gegen den eigenen Mann zu erstatten und dann noch in derselben Wohnung zu leben, dieser Druck sei kaum auszuhalten. Die Beziehung zu beenden und auszuziehen, sei der beste Schutz, sagt Stotz. "Es gibt immer Möglichkeiten, 70 Prozent unserer Hilfesuchenden schaffen den Start in ein neues Leben."

Auch Sampre B. schafft den Schritt in die Unabhängigkeit: Im Laufe des ersten Halbjahres 2013 zieht Taifoun A. aus der gemeinsamen Wohnung aus.

Am 7. Juni 2013 aber kommt es erneut zu einem schweren Übergriff: Taifoun A. hält sich wieder in der Wohnung auf und rastet völlig aus. Er schlägt die 29-Jährige, reißt ihr ein Büschel Haare aus und zertrümmert die Wohnungseinrichtung. Die 29-Jährige zeigt ihn an wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung.

Via Facebook mit dem Tod bedroht

Am 9. Juni 2013 ruft er sie zu Hause auf dem Festnetz an und verlangt, seine Kinder zu sprechen. Als Sampre B. das verweigert, bezeichnet er sie als "Schlampe" und droht ihr, sie mit einem Messer abzustechen. Sampre B. erstattet Anzeige wegen Bedrohung.

Sampre B. holt sich Rat bei der Polizei und beantragt am Amtsgericht München ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz, dieses wird am 12. Juni 2013 erlassen. Das Gericht bestimmt auch, dass Sampre B. mit ihren Kindern in der Wohnung in Harlaching bleiben kann.

18. Juli 2013: Sampre B. ruft erneut die Polizei. Taifoun A. hatte ihr an der Silberhornstraße in Giesing aufgelauert. Sie verweist auf das Kontaktverbot und sagt ihm, dass sie nicht mit ihm sprechen wolle. Er packt sie am Unterarm und zerrt sie in eine Seitenstraße. Ein Passant sieht die Szene und spricht Taifoun A. an, die Frau doch loszulassen. Daraufhin flüchtet der 33-Jährige. Eine Anzeige gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Kontaktverbot läuft.

Am 28. Juli 2013 passt Taifoun A. die 29-Jährige vor der Haustüre ab. Sie geht zum Aufzug, steigt mit den Kindern ein und fährt in den sechsten Stock. Währenddessen rennt der 33-Jährige die Stufen nach oben und fängt die drei vor der Wohnungstüre ab. Sampre B. schreit um Hilfe, um die Nachbarn aufmerksam zu machen, Taifoun A. flüchtet. Die Polizei sucht das Gebäude nach ihm ab, doch er ist verschwunden. Eine weitere Anzeige wegen Verstoßes gegen das Kontaktverbot wird geschrieben. Allerdings verweigert Sampre B. eine genauere Befragung und beruft sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

"Wenn eine Frau sich nicht mehr sicher fühlt, der Mann unberechenbar ist, Morddrohungen ausstößt und sie vor Angst nicht mehr schlafen kann, dann sollte sie unbedingt in ein Frauenhaus gehen", sagt Sibylle Stotz vom Frauennotruf. Sampre B. wollte nicht in ein Frauenhaus, wollte nicht ihre sozialen Kontakte abbrechen, die Wohnung verlassen, die Kinder aus der Schule nehmen. Sie vertraute darauf, dass ihr Mann seine Drohungen nicht wahr machen würde. "Bei gut einem Drittel aller Fälle von häuslicher Gewalt steht in der Akte die Drohung: ,Ich bring Dich um'", sagt Arno Helfrich von der Münchner Polizei. "Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Aber wie sollen wir vorhersehen können, was in so einem Menschen vorgeht?"

Die Verfahren gegen Taifoun A. laufen. Anfang Augustkommen die Akten zur Staatsanwaltschaft, diese fasst die Einzelverfahren zusammen. Taifoun A. nimmt sich einen Rechtsanwalt, dieser beantragt Mitte August Akteneinsicht.

30. September 2013: Sampre B. steigt nach ihrem Deutschkurs am Goetheplatz in die U-Bahn. Wieder lauert ihr Taifoun A. auf. Er sagt ihr, sie solle das Kontaktverbot zurücknehmen. Wenn sie aus der U-Bahn aussteige, werde sie "ihr blaues Wunder" erleben. Ein Nachbar erzählt, der 33-Jährige habe sie auf der Straße geschlagen, an ihr gezerrt und sie fast ausgezogen. Sampre B. erstattet Anzeige wegen Verstoßes gegen das Kontaktverbot. Mittlerweile begleiten Beamte des Präventions- und Opferschutzkommissariats Sampre B. bei diversen Terminen außer Haus. Allerdings nicht immer.

Am 1. Oktober 2013 klingelt das Telefon. Die Rufnummer ist unterdrückt. Ein unbekannter Mann meldet sich bei Sampre B. und warnt sie davor, das Haus zu verlassen. Er sei ein Freund ihres Mannes und wolle sie warnen, damit ihr nichts passiere.

Am 2. Oktober 2013 erhält Taifoun A. Besuch von der Polizei: Die Beamten halten eine sogenannte Gefährderansprache ab. Sie erzählen dem Küchenhelfer, welche Auswirkungen sein Verhalten auf seine Frau und seine Kinder hat - und dass er bei weiteren Anzeigen mit Haft zu rechnen hat.

Eine Nachbarin hört die Schreie

9. Oktober 2013: Der Anwalt von Taifoun A. erhält erneut Akteneinsicht. Am selben Tag meldet sich eine Zeugin beim Kommissariat zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt und erzählt, dass Taifoun A. seine Frau via Facebook mit dem Tod bedrohe. Er werde sie "eines Tages schnappen", schreibt er. An diesem Tag unterrichtet das K 22 die Staatsanwaltschaft über die neuen Vorfälle und fragt nach einem Haftbefehl. Allerdings wird das Fax an die allgemeine Telefaxstelle geschickt, es ist auch nicht als eilig gekennzeichnet. So liegt das Fax bis zum Morgen des 15. Oktober 2013 in der Geschäftsstelle. Kein Staatsanwalt bekommt es bis dahin zu Gesicht.

"Man müsste bei der Staatsanwaltschaft ein extra Fachgebiet für die Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt einrichten", fordert Sibylle Stotz vom Frauenhaus. Auch sei das Strafmaß bei Verstößen gegen das Kontaktverbot viel zu niedrig. "So haben wir ein Gewaltschutzgesetz, das die Frauen nicht schützt, weil der Mann nicht weggesperrt werden kann." Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch sagt, dass es rechtlich keine Gründe für einen Haftbefehl gegen Taifoun A. gegeben habe. "Von der Strafandrohung her hat der Gesetzgeber das Kontaktverbot auf die gleiche Stufe wie Fahren ohne Fahrerlaubnis gestellt: ein Jahr Höchststrafe." Bei einem Ersttäter wie A. hätte kein Gericht bei dieser Art von Vergehen eine Haftstrafe verhängt.

Am 14. Oktober 2013 gibt der Anwalt von Taifoun A. die Akten an die Staatsanwaltschaft zurück.

Ebenfalls am 14. Oktober 2013 begleitet Sampre B. ihre Kinder zur Schule und in den Kindergarten und kehrt gegen acht Uhr in das Haus an der Reginfriedstraße zurück. Taifoun A. hatte lange genug in dem Mietshaus gewohnt. Er wusste, wo er zu klingeln hatte, damit ihm die Türe geöffnet wurde. Er wusste, wann Sampre B. nach Hause kommen würde. Als sie die Haustüre aufsperrt, lauert er schon im Gang. Er bedroht sie, sie weicht zurück, er drängt sie in einen schmalen Gang zwischen Treppengeländer und Briefkästen. Dort sitzt sie in der Falle. Dann stößt er ihr mehrfach das Messer in den Rücken. Eine Nachbarin hört die Schreie und verständigt instinktiv die Polizei. Als der Notarzt eintrifft, ist Sampre B. bereits tot. Taifoun A. stellt sich wenig später bei der Polizei.

Ein "trauriger Meilenstein" sei dieser Fall in der Historie der Opferschutzarbeit, sagt Polizist Arno Helfrich. Seit fast zehn Jahren beraten er und sein Team Opfer häuslicher Gewalt. Gut 3500 Delikte werden in einem Jahr gezählt. Davon lassen sich 1600 Frauen beraten, gut die Hälfte von der Polizei. "So ein Fall ist schon krass", sagt Helfrich, "aber wir dürfen uns von unserem Bemühen nicht abbringen lassen. Es hat sich viel getan bislang, aber es muss sich noch mehr tun."

Die Sachbearbeiterin, die Sampre B. betreut hat, habe ganz schön zu beißen jetzt. Mit ihr würden Gespräche geführt, eine Supervision sei geplant.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: