Zorneding:Zauberhafte Jugendwerke

Leipziger Streichquartett

Das Leipziger Streichquartett im Martinstadl: vier grandiose Musiker, auch wenn sie es eilig haben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Farbig-bewegendes Konzert des "Leipziger Streichquartetts"

Von Rita Baedeker, Zorneding

Der Kammermusikabend mit dem Leipziger Streichquartett am Sonntag im Zornedinger Martinstadl war überschrieben mit einer Zeile aus einem Gedicht von Hermann Hesse: "... allem Anfang wohnt ein Zauber inne...". In diesem Fall wohnte dem Anfang aber zunächst ein hohes Tempo inne. Die Musiker des Quartetts, 1988 gegründet und auf allen Konzertpodien der Welt gefeiert, hatten es eilig, wie man später erfuhr. Daher fielen die Pause und auch die Zugabe ungewohnt kurz aus. Vor allem beim ersten Stück des Abends, dem Streichquartett in G-Dur op. 1, Nummer 4 von Joseph Haydn, legten die Vier unvermittelt los, kaum dass sie die Bühne betreten hatten: Das Ungestüm der Jugend, könnte man meinen, wurden doch lauter Frühwerke gespielt.

Der Zauber stellte sich dennoch ein. Denn was dieses Ensemble auszeichnet, sind die leuchtende Klarheit und Durchsichtigkeit der Stimmen, auch bei Sätzen von hoher Klangdichte und komplexer Rhythmik ist jeder einzelne Part hörbar. Selbst in den temporeichsten Passagen wird jeder Ton auserzählt. Conrad Muck und Tilman Büning, Violinen, Ivo Bauer, Viola, und Matthias Moosdorf, Violoncello, lassen ihre Instrumente je nach Charakter des Stücks schweben, singen, flüstern, trauern, spotten - ihr Repertoire an Klangfarben ist schlicht beglückend.

Haydns fünfsätziges Quartett entstand vor 1757, der Komponist war da knapp 25 Jahre alt. In seinem ersten Werkverzeichnis werden seine frühen zehn "Divertimenti a quattro", zu denen das aufgeführte gehört, noch als "Freiluftmusik" bezeichnet. Es hat den Charakter höfischer Unterhaltungsmusik, wie es im Programmheft heißt. Die Leipziger bezaubern hier mit einer Interpretation, die an eine Tanzkapelle erinnert. Beim Trio sieht man sie vor sich, die hochwohlgeborenen Herrschaften beim Sommerfest im Schlossgarten, wie sie, von einem furiosen Lauf außer Atem geraten, wieder in gemessene, elegisch angehauchte Schritte verfallen.

Ein spektakulärer Kontrast dazu ist das 1905 entstandene Streichquartett von Anton Webern. Es hat keine Sätze, sondern drei Teile, und wurde zum einen inspiriert von einem Gemälde des Malers Giovanni Segantini, dessen "Alpentriptychon" Webern in der Neuen Pinakothek in München gesehen hatte, zum anderen von einem Vers des frühbarocken Dichters Jakob Böhme über Tod und Neubeginn.

Die Naturstudien des Malers sind entstanden in St. Moritz und tragen den Titel Werden, Sein und Vergehen. Das erste Bild zeigt ein Hochplateau in der untergehenden Sonne. Im Zentrum stehen Mutter und Kind. Für Segantini stellte das Bild " das Leben aller Dinge dar, die ihre Wurzeln in der Mutter Natur haben." "Sein", das zweite Gemälde, zeigt Menschen und Tiere im Hochgebirge auf ihrem Heimweg. Auf dem dritten Bild, "Vergehen", ist gerade Winter, die Jahreszeit, in der die Natur stirbt. Ein totes Mädchen wird aus einer Hütte getragen. Wie Webern diese drei Stadien der Existenz in Klangbilder übersetzt hat, die Majestät der Berge, das Steigen, die Stille der Gipfel, aber auch die Freude an der Natur, ist großartig - und wurde vom Leipziger Streichquartett großartig musiziert, innig, ergreifend, klangfarbenreich und mit abschließendem "moriendo", jedem ersterbenden, verhauchenden Ton, bei dem man als Zuhörer den Atem anhält.

Auf den Tod folgte neues buntes Leben: Mozarts Streichquartett Nr. 13 in d-Moll, KV 173. Als er das Werk komponierte, war er 17. Bemerkenswert sind das hinreißende Andante grazioso und der abschließende in Form einer Fuge geschriebene Satz, der Ideenreichtum und kompositorische Eleganz schon des jugendlichen Mozart offenbart. Auch hier zeigten die Leipziger ihre Fähigkeit, gleichzeitig lustige Musikanten und ernsthafte Virtuosen zu sein.

Als Dmitri Schostakowitsch 1938 sein erstes Streichquartett schrieb, war er bereits 32 - nicht mehr ganz jung zwar, aber ein Anfang war es auch, einer mit betörendem Zauber. Er selbst beschrieb sein Werk als heiter, lustig und lyrisch. "In meinem ersten Streichquartett sollte man nicht nach Tiefgründigkeit suchen". Die Leipziger gewannen seiner Musik Leichtigkeit und Tiefe ab - Volksliedhaftes, Orientalisches, Groteskes. Sie spielten mit Witz und zuweilen herrlich animalischer Wucht.

Der Eile zum Trotz erklatschte sich das Publikum im voll besetzten Martinstadl eine Zugabe, einen Choral von Johann Sebastian Bach: "Der Tag ist hin, die Sonne gehet nieder." Die Musiker spielten den wunderschönen Satz zart und innig wie ein Gebet - da war die Sonne gerade untergegangen, und weg waren auch sie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: