Zorneding:Sehnsucht nach Selbstständigkeit

Zorneding: Die 1984 in Teheran geborenen Zwillinge haben gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Milad ein Buch geschrieben.

Die 1984 in Teheran geborenen Zwillinge haben gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Milad ein Buch geschrieben.

(Foto: Endt)

Lesung mit den Brüdern Mojtaba und Masoud Sadinam in der Gemeindebücherei Zorneding

Von Peter Kees, Zorneding

In der momentanen Flüchtlingskrise ist es spannend, zwei jungen Männern zuzuhören, die erzählen, wie es war, als sie vor 20 Jahren aus dem Iran flohen und hier um Asyl kämpften. Nicht nur spannend, sondern auch aufschlussreich: vor allem im Hinblick auf das geplante bayerische Integrationsgesetzt samt bürgerlicher Leitkultur. Deshalb lud nun das Bayern-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung in die Gemeindebücherei Zorneding zu Lesung und Diskussion mit den Autoren Mojtaba und Masoud Sadinam ein. Die beiden 1984 in Teheran geborenen Zwillinge haben gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Milad ein Buch geschrieben, in dem sie ihre Geschichte auf dem Weg zur Anerkennung niedergeschrieben haben. "Unerwünscht" so lautet der Titel dieses Buches.

1996, nach drei Monaten im Untergrund, begab sich ihre Mutter samt den drei Jungs mit falscher Identität, gefälschten Papieren und einem "verhassten" Schlepper auf die Flucht. Eigentlich wollte man nach Frankreich, da dort eine Verwandte lebte. Doch der Schlepper brachte sie mit einem Flugzeug nach Hamburg. Auch damals galt in Europa, dass Asyl in dem Land zu stellen ist, in dem der Asylbewerber zuerst europäischen Boden betritt. Naiv seien sie gewesen, sagen die Brüder, denn sie wussten das natürlich nicht. Frankreich ging nicht; nun wollte man nach Hannover zu einer Bekannten. Auch das funktionierte nicht. Sie wurden in ein Erstaufnahmelager in Münster gebracht. Dort beantragten sie Asyl und kamen in ein Asylbewerberheim in Lengerich nahe Osnabrück.

Die Enttäuschung war groß, als ihrem Asylantrag nicht stattgegeben wurde. Sie sollten des Landes verwiesen werden. Die Mutter, einst politische Aktivistin, gehörte einer Widerstandsgruppe im Iran an, sie fürchtete bei Abschiebung eine Gefängnisstrafe und die Trennung von ihren Kindern. Mit Hilfe von engagierten Anwälten kämpfte die Familie weiter, jahrelang, durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Es sollte neun Jahre dauern, bis die Aufenthaltsgenehmigung erteilt war, weitere fünf bis Mutter und Söhne eingebürgert und damit gleichberechtigt waren.

In der Geschichte der Sadinams geht es letztlich um eines: um die Frage nach Integration. Aus ihrer Sicht nur möglich, wenn man gleichberechtigt ist und sich selbstständig fühlen kann; auf Augenhöhe, wie sie sagen. In all den Jahren des Kampfes um Asyl sei aber genau das nicht möglich gewesen. Sie waren Schikanen von amtlicher Seite ausgesetzt, durften nicht arbeiten, kein Geld besitzen, kein Auto, nicht einmal selbstständig zum Arzt gehen. Das jahrelange Warten hat sie fast zermürbt. Die Geschwister waren elf und neun Jahre alt, als sie den Iran verließen. Natürlich sprachen sie kein Wort Deutsch. Heute sitzen Mojtaba und Masoud Sadinam höchst eloquent vor ihrem Publikum und wirken, als ob sie schon immer dazugehörten; nur ihre Haut- und Haarfarben sind etwas dunkler.

Beeindruckend schildern sie in ihrem Buch die ersten Eindrücke ihrer Ankunft in Deutschland. Sie beschreiben den ersten Schultag. Der grundsätzliche Unterschied wird sofort deutlich: Im Iran kannten sie Schuluniformen, nach Geschlecht getrennte Klassen, eingezäunte Gelände, Strenge, Disziplin - hier nichts davon. Sehr eindrücklich jene Szene, als die Mutter mit ihren Buben das allererste Mal in einem Supermarkt an einer Obsttheke steht und verzweifelt auf einen Verkäufer wartet, bis sie schließlich versteht, dass man sich selbst bedient und erst am Ausgang an der Kasse bezahlt wird. Düster schildern die drei jungen Männer ihre erste Flüchtlingsunterkunft, hässlich und verschmutzt. "Am liebsten aufwachen und das Ganze als Albtraum begreifen," ist ein Satz, der die Emotionalität in einer solchen Situation trefflich vermittelt. Ihre Sprache ist dicht, stringent, klar und mitreißend. Eine Szene beschreibt den Besuch bei einer Ausländerbehörde. Reglose Mienen versuchen sie zur Rückkehr zu nötigen. Ausweisungsversuche, fast ein Zusammenbruch. Die Beschreibung des Andersseins - die Jungs dürfen während ihrer Schulzeit noch nicht einmal mit Klassenkollegen einen Ort weiter, weil die Residenzpflicht sie bindet -, eines Lebens in permanenter Angst vor der Asyl-Ablehnung, dem Ausgegrenztsein berührt die Zuhörer in Zorneding sehr. Die Diskussion ist intensiv, zugleich verständnisvoll. Wohlwollend stimmt man der politischen Botschaft der Brüder zu: Die heutige Krise ist auch Chance und Bereicherung, nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene. Diskussionen um Rassismus beispielsweise würden angestoßen, Begriffe wie "weiß", "schwarz", "Inländer", "Ausländer" unterlägen einem Wertewandel. Was heißt "wir"? Wie grenzt man einen Menschen ein oder aus? Und: Separation ist das Gegenteil von Integration.

Die Geschichte der Familie ist ein Ansporn: Hinter jedem Gesicht steckt ein persönliches Schicksal; manchmal, wie bei den Sadinam-Brüdern, ist es eine Erfolgsgeschichte. Alle drei studieren inzwischen, sind offensichtlich gut integriert. Wie sagen sie am Ende so schön: "Stolz auf eine Nation macht keinen Sinn." Der Heimatbegriff ist nicht zwingend auf einen Ort bezogen. Das hat einst schon Bernhard Schlink so wunderbar auf den Punkt gebracht. Wie war das? Es gibt 60 Millionen Flüchtlinge auf der Welt, etwa ein Prozent davon kommt nach Deutschland.

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