Zorneding:Müllerstochter und Mondfrau

Zorneding: Ihre Gestik bedarf keiner weiteren Worte: Wilhelm Buschs Müllerstochter weiß sich in Hedwig Rosts Erzählung zu wehren, als drei Räuber sie heimsuchen.

Ihre Gestik bedarf keiner weiteren Worte: Wilhelm Buschs Müllerstochter weiß sich in Hedwig Rosts Erzählung zu wehren, als drei Räuber sie heimsuchen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Geigerin und Kleinkünstlerin Hedwig Rost erzählt im evangelischen Pfarrsaal Zorneding Weltgeschichten für und von Frauen. Ihre Inszenierung geht unter die Haut

Von Rita Baedeker, Zorneding

Wer sich unter dem Programmtitel "Die geschwätzige Alte" im evangelischen Pfarrsaal in Zorneding launig-lauwarme Sketche über nicht mehr ganz taufrische Damen vorgestellt hatte, wurde schon in den ersten Minuten eines Besseren belehrt. In ihren acht Weltgeschichten von Frauen für Frauen greift die Geigerin und Erzählerin Hedwig Rost zu allen dramaturgischen, sprachlichen und musikalischen Mitteln, um den Zuhörern im voll besetzten Saal eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken zu jagen.

Zum Handwerkszeug der Künstlerin aus Pullach, die zusammen mit ihrem Mann, Jörg Baesecke, die Kleinste Bühne der Welt betreibt, gehören Künste wie Pantomime, Handtheater und Schattenspiel, gehören Bilder und Kreaturen aus Papier, Gesang und Geigenspiel.

Ganz in Schwarz und mit einem blutroten Lippenstift, den Rost als eine Art sekundäres Geschlechtsmerkmal immer wieder mal hervorzieht, demonstriert sie frei nach Wilhelm Buschs "Müllerstochter", wie "ein einzig Mädchen drei Männer ins Malheur bringt." Es graut die Nacht, und Hedwig Rost demonstriert mit drastischer Gestik und Mimik das unverhoffte Ende der mordlustigen Räuber, erzeugt mit ihrer Stimme die Illusion eines tobenden Sturms.

Aber nicht alle Mädchen sind so wehrhaft wie die Müllerstochter. Im Märchen von Rotkäppchen kann man erfahren, wie es einer "süßen Dirn" ergeht, die nicht auf das hört, was die Mutter sagt und vom Weg der Tugend abweicht. Hedwig Rost zieht ihre Lippen nach, lässt den Wolf blutrünstig hecheln, bei ihrem furiosen Dialog zwischen Rotkäppchen und Raubtier herrscht atemlose Stille im Saal.

Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter gehört zu den zentralen Themen eines Frauenlebens. In dieses Genre gehört auch die böse Stiefmutter. Rost hat aus Russland die Mär von der "geschwätzigen Alten", die ihre schöne Stieftochter verstößt, mitgebracht. Klang und Rhythmus der trabenden Pferde, welche die verbannte Maid zur Hütte der Hexe Baba Yaga bringen, untermalen die Erzählung.

Die Hexe Baba Yaga führt zum Bucklichten Fiedler" von Johannes Brahms. Darin spielt ein durch einen Buckel verunstalteter junger Geiger einigen schönen Frauen in der Walpurgisnacht zum Tanze auf. Zum Dank wird er von den zauberkundigen Frauen von seinem Höcker befreit. In Hedwig Rosts Erzählung steigt der Buckel, welcher schließlich zu Füßen des Geigers liegt, über dem in einem Notenblatt verborgenen Haus aus Papier auf und wird zur Mondsichel. Wunderbar poetisch inszeniert sie das Stück, fast schon tendiert die Stimmung in Richtung Idylle, jedoch: Nicht jede Hexe ist hilfreich und gut. Frau Trude etwa verwandelt in einem Märchen der Brüder Grimm ein allzu vorwitziges Mädchen in einen Holzblock und wirft es ins Feuer. Eine Geschichte so finster, dass die Erzählerin das Licht im Saal löschen lässt. Lange, so empfindet man es, dauert die unheimliche Dunkelheit, bis einen der Sonnengott und seine zwölf Mondmädchen, Protagonisten eines mexikanischen Märchens, vom Bann erlösen. Fazit dieser wunderbaren Geschichte, in der sich die Mädchen die Aufgabe, des Nachts am Himmel zu leuchten, nach einigem Hin und Her teilen: Es muss nicht immer schlecht sein, wenn ein Mann zwölf Frauen hat! Nebenbei wird nun auch jenseits aller Wissenschaft sonnenklar, warum nicht nur der Mond an Umfang zu- und abnimmt, sondern auch ein liebeskrankes Mädchen.

Um Liebe und Verrat geht es in der Ballade von der "Meererin", die Mann und Kind verlässt, um dem Geliebten auf sein Schiff zu folgen. Ein weißes Tuch verwandelt sich unter Hedwig Rosts flinken Händen erst in die Wäsche, welche die junge Frau zu waschen hat, dann in ein Segelschiff und schließlich in das Kind. Das Ende dieser Ballade, entdeckt auf einer deutschen Sprachinsel in Slowenien, bleibt offen.

Dass die Liebe zwischen einem irdischen Mann und einem überirdischen Weib niemals gut gehen kann, lehrt eine Geschichte aus der Wüste Kalahari. Das gilt auch für die unwirklich schöne "Donna Clara" - Titel eines Schlagers von Jerzy Petersbursky mit einem Text von Fritz Löhner-Beda -, die anzuschmachten dem Galan bald zu kostspielig wird. Zum Gaudium der Zuhörer mimt Hedwig Rost ein Grammofon mit Sprung. Die Geschichten und Geschicke der Frauen, sie wiederholen sich eben immer und immer wieder.

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