Zorneding:Im Wettrennen mit der Erbkrankheit

Stephan Kruip leidet an Mukoviszidose. Täglich muss er bis zu drei Stunden inhalieren - und läuft dennoch Marathon

Von Annalena Ehrlicher, Zorneding

Wie plant man ein Leben, wenn die eigene Lebenserwartung nur zirka drei Jahre beträgt? Studium, Heirat, Kinder - alles langfristig angelegte Entscheidungen. Stephan Kruip, Vorsitzender des Deutschen Mukoviszidose-Vereins, gehört selbst zu den von der tödlichen Erbkrankheit Betroffenen. Nach dem Abitur war sich der heute 50-Jährige nicht sicher, "ob es sich überhaupt lohnt zu studieren", erzählt er. Drei Jahre beträgt seine Lebenserwartung - "und das seit zirka drei Jahrzehnten", fügt er mit schiefem Grinsen hinzu. Dass er immer noch lebt, liegt daran, dass sich die Behandlungsmethoden beständig weiterentwickeln. Der dreifache Vater ist seit zwanzig Jahren verheiratet und wohnt in Zorneding. Kinder trotz der tödlichen Krankheit? "Das war natürlich schon eine Entscheidung, die wir damals treffen mussten", erzählt er. Dass seine Frau sich damals trotz der Krankheit auf die Beziehung einließ, "rechne ich ihr bis heute hoch an".

Doch die Therapie ist aufwendig: Zwei bis drei Stunden täglich muss Kruip investieren, um die sogenannte autogene Drainage anzuwenden (siehe Kasten). Diese Methode löste in den Achtzigerjahren die Abklopf-Methode ab: Seine komplette Kindheit und Jugend hindurch musste Kruip sich morgens und abends kopfunter auf ein schräges Brett legen und Brustkorb und Rücken abklopfen lassen. Durch die Erschütterungen des Klopfens wurde das Sekret in seiner Lunge mechanisch gelöst. "Aber das Inhalieren ist natürlich effektiver - und ich brauche bei Kurztrips nicht mehr mein Reise-Klopfbrett mitzunehmen", so Kruip. Heute inhaliert er zunächst eine Salzlösung, zusätzlich jedoch täglich Antibiotika. "Ich kann bisher von keinen Nebenwirkungen berichten", sagt er und fügt hinzu: "Ich lebe deshalb noch."

Zusätzlich zu der Behandlung gebe es jedoch äußere Faktoren, die sowohl die Lebensqualität steigern als auch die Lebenserwartung erhöhen können, erzählt der 50-Jährige. Er selbst treibt seit zirka acht Jahren viel Sport - erst im vergangenen Jahr nahm er an einem Marathon teil. Marathon mit Lungenleiden? "Am Anfang war es schon hart", erinnert er sich, "nach 200 Metern war da Schluss." Nicht nur die Lunge ist von der Erbkrankheit betroffen: Auch die Bauchspeicheldrüse funktioniert nicht so wie bei gesunden Menschen. Bis er 16 war, konnte Kruip deshalb kein fetthaltiges Essen zu sich nehmen. "Stellen Sie sich das vor: keine Pommes, Bratkartoffeln, Hähnchen, Schokolade - das kommt alles nicht in Frage", schildert er. Seite Mitte der Achtzigerjahre gibt es jedoch Verdauungsenzyme mit Mikrokapseln, die dem 50-Jährigen eine weitgehend normale Ernährung ermöglichen - wenn man davon absieht, dass er täglich zirka 5000 Kalorien zu sich nehmen muss, weil die Bauchspeicheldrüse nicht so effizient arbeitet und die Entzündung in der Lunge Energie kostet. "Mit vier Mahlzeiten am Tag schafft man das", sagt er.

Zorneding: Als Stephan Kruip mit dem Laufen anfing, hat er keine 200 Meter durchgehalten, erzählt er.

Als Stephan Kruip mit dem Laufen anfing, hat er keine 200 Meter durchgehalten, erzählt er.

(Foto: Christian Endt)

Langfristig bekommen Mukoviszidose-Erkrankte häufig auch Diabetes - Kruip selbst hat Typ 3. Er charakterisiere seine Mukoviszidose häufig so: "Diabetes habe ich auch, aber das ist kein Problem." Der 50-Jährige zuckt mit den Schultern; alles eine Frage der Perspektive. Wie seine Kinder seine Krankheit erleben? Er zögert einen Moment. "Sie kennen es ja nicht anders." Sein Ältester habe sich vor einigen Jahren nach einer Übernachtung bei einem Freund darüber gewundert, dass dessen Vater nicht inhalieren müsse, erzählt er und schmunzelt. Und dennoch: Auch den Kindern fällt auf, dass der Alltag ihres Vaters anders ist als der anderer Väter: "Die Krankheit raubt dir deine ganze Zeit", habe einer seiner Söhne einmal gesagt.

Stephan Kruip wurde im Lauf der Jahre zu einem Spezialisten für Mukoviszidose. "Ich muss ehrlich sagen: Ich finde das auch wahnsinnig spannend", gesteht er. Auf seiner Internetseite schreibt er eine Kolumne über alternative Heilmethoden. Von Kneipp über Ayurveda- und Singtherapie forscht er nach Heilpraktiken, die Ergänzungen zur Schulmedizin sein können. "Manche Sachen sind echt gut", erzählt er, andere seien eher Geldmache. Das Seltsame an Mukoviszidose sei, so Kruip, dass das Spektrum zwischen "kerngesund und tot" verlaufe. "Im Moment fühle ich mich gut - aber ich habe nun einmal eine tödliche Krankheit", fasst er zusammen. "Ich weiß, dass es mir nicht nur wegen des Sports und der Therapie so gut geht - ich habe auch einfach Glück", fügt er ohne eine Spur von Dramatik hinzu. Die Krankheit wurde in seinem Fall bereits bei der Geburt diagnostiziert - weil auch seine ältere Schwester betroffen war. "Monika ist dann mit sechs Jahren gestorben", erzählt er.

Die Krankheit begleitet Kruip sein gesamtes Leben lang: "Mir ist nie eingefallen, das links liegen zu lassen - das war meine primäre Aufgabe", betont der Familienvater. Er geht auf Tagungen, liest viel und diskutiert mit Ärzten, die sich ehrenamtlich für den Mukoviszidose-Verein engagieren. Auch wenn es bei Tagungen länger geht - auf seine Inhalation verzichtet er nie. "Wenn wir da mal bis zwei Uhr morgens diskutieren, gehe ich danach inhalieren und frage, wer am nächsten Morgen mit joggen gehen möchte", erzählt er. Er komme zum Glück mit wenig Schlaf aus.

Jeder Zwanzigste ist Träger

Mukoviszidose ist eine unheilbare Erbkrankheit. Durch eine Störung des Salz- und Wassertransports in die Körperzellen bildet sich bei Mukoviszidose-Betroffenen ein zähflüssiges Sekret, das Organe wie die Lunge oder die Bauchspeicheldrüse irreparabel schädigt. Bundesweit sind zirka 8000 Menschen betroffen, jeder zwanzigste Mensch ist Krankheitsträger.

Jährlich werden 200 Kinder mit Mukoviszidose geboren - nach jahrelangem Kampf des Vereins wird von diesem Frühjahr an der Test auf die Krankheit in das Neugeborenen-Screening aufgenommen. Wird die Krankheit früh erkannt, lässt sich die Lebensqualität und -erwartung der betroffenen Mukoviszidose-Patienten deutlich steigern. Die gängigste Therapie ist heutzutage die autogene Drainage, eine spezielle Atemtechnik, die erst in den Achtzigerjahren bekannt wurde. Dabei atmet der Patient ruhig, aber betont ein und aus, wobei er den entstehenden Hustenreiz zu unterdrücken lernen muss. ehrl

Das muss er auch, denn neben seinem Beruf als Patentprüfer beim Europäischen Patentamt München, "der mir diese Freiheit erlaubt", engagiert er sich in seiner Freizeit für den Verein. Helfen, forschen, heilen sind dessen drei Säulen. "Vor allem vernetzten wir alle, die mit der Krankheit zu tun haben", erklärt Kruip. Der Verein finanziert sich größtenteils durch Spenden. Benefiz-Veranstaltungen sind daher essenziell für sein Überleben. "Aber die Krankheit ist nun mal selten und schwer auszusprechen - deshalb sind die meisten Förderer in irgendeiner Form selbst betroffen, häufig durch Freunde oder Familienangehörige", weiß Kruip.

Die Poinger Musikfreunde St. Michael halten am Sonntag, 24. Januar, ein Benefizkonzert zugunsten des Vereins Mukoviszidose ab. Beginn ist um 17 Uhr in der katholischen Kirche Poing.

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