Zorneding:Hommage an einen Schonungslosen

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Peter Wurm sieht in Robert Gernhardt einen Tausendsassa. (Foto: Britta Frenz /oh)

Der Literarische Herbst in Zorneding widmet sich dem Zeichner und Autor Robert Gernhardt

Von Anselm Schindler, Zorneding

Am Anfang braucht das Publikum noch ein bisschen, um aufzutauen. Schließlich ist es durchaus ungewohnt, dass Zornedings Bürgermeister Piet Mayr (CSU) in der Aula des Rathauses steht und inbrünstig "Arschloch!" ruft. Es ist Freitagabend und wieder einmal Zeit für den "Literarischen Herbst in Zorneding". Das Publikum ist gut situiert, akademisch, belesen. Und dann das: "Wichser!" Aber Kunst darf das, und wer das Werk von Robert Gernhardt auch nur ansatzweise kennt, der weiß, dass er sich bei seinen Cartoons, Gedichten und Geschichten auch auf Fäkal-Humor einzustellen hat.

"Luscht und Geischt" lautet das Motto, einen ganzen Abend lesen Carolin Schubert, Karin Ossig, Peter Wurm und der Bürgermeister aus dem Werk von Robert Gernhardt (1937 bis 2006). Dazu gibt es Zeichnungen und Cartoons auf einer Leinwand zu sehen. Und immer wieder, zwischen Strichen, die Geschichten erzählen, hallt Lachen durch die Aula. "Bilden Sie mal einen Satz mit ,Garant': Der Hase trägt den Kopfverband, seit dem er an die Wand garant".

Die Idee, dem in Estland geborenen deutschsprachigen Zeichner, Schriftsteller und Maler einen Abend zu widmen, stammte von Peter Wurm. Schon als Jugendlicher las der Zornedinger Gernhadts Werke, findet sie "angenehm gegen den Strich gebürstet". Und: Gernhardt werde zu wenig Beachtung geschenkt, auch deshalb der Abend. Beim Vorlesen zieht Wurm jedenfalls alle Register. Er krächzt, säuselt, jammert, ohne auch nur einen Moment ins Stottern zu geraten. Und schafft es, ebenso wie Karin Ossig und Carolin Schubert, die Zuhörer trotz der recht ausladenden Veranstaltung bei der Stange zu halten. Schubert, die Schauspielerin, versteht es ohnehin, den Worten den nötigen Drall zu geben. Recht fotogen sitzt sie im Schneidersitz inmitten von Kieseln. Über ihr der Baum, der in der Aula des Rathauses Richtung Decke ragt. Das, einige Kerzen und das heimelige Hintergrund-Geplaudere der betagten Gäste schaffen es indes nur schwerlich, den Treppenhaus-Charakter der Aula zu überspielen. Es gibt gemütlichere Orte für eine Lesung. Doch die Stühle sind restlos besetzt, kurz vor Beginn müssen noch einige Sitzgelegenheiten herangeschafft werden.

Gernhardt werde oft auf den linken Spaßvogel reduziert, moniert Wurm. Dabei sei er viel mehr, ein Tausendsassa, der auch mal ernst werden könne. Dabei war es wohl genau diese Ernsthaftigkeit, die an diesem Abend fehlte. Klar, eine Gernhardt-Lesung kommt nicht ohne reichlich Genitalien aus, ohne, dass jemand laut "Scheißdreck!" schreit. Oder ohne den Kragenbären, der sich "munter einen nach dem anderen runter" holt. Doch irgendwann kippt die Derbheit und Direktheit um, wird seicht. Die Veranstaltung wäre jedenfalls auch ohne die Erzählung "Die Flucht in die Falle" ausgekommen, deren pubertäre Pointe, sieht man von der Sprache einmal ab, auch ein Mario Barth auf die Bühne bringen könnte: Es geht um Harndrang und stereotype Männer und Frauen.

Die Heiterkeit sei "der Lohn für einen arbeitsamen und unterirdischen Ernst" heißt es von Friedrich Nietzsche. Bei Gernhardt war es eher andersherum: In jungen Jahren war er federführend bei der satirischen Zeitschrift Pardon, Vorläuferin der Titanic, mit dabei. Unmengen Quatsch schienen aus ihm herauszusprudeln. Sein Durchbruch gelang ihm in der Zusammenarbeit mit dem Komiker Otto Waalkes - als Autor für dessen TV-Shows, Bücher und Filme. Später dann, gerade in den Jahren vor seinem Tod, wurde Gernhardts Humor zunehmend ernster. Oder zumindest die Themen wurden es. Kritiker sahen in ihm zu diesem Zeitpunkt bereits einen der bedeutendsten zeitgenössischen deutschsprachigen Schriftsteller. Doch von seinem Humor verschont blieb weiterhin nichts und niemand, auch nicht seine eigene Darmkrebs-Erkrankung. In "K-Gedichte 2004" verarbeitet Gernhardt Schmerz und Chemotherapie, "Krankheit als Schangse" - teils schon zynisch gegenüber sich selbst. Nicht einmal den Tod nimmt er ernst.: "Ach noch in der letzten Stunde werd' ich verbindlich sein", dichtet er in "Ach!". "Klopft der Tod an meine Türe, rufe ich geschwind: herein!". An der normativen Zensur des Bewusstseins vorbei: So sah Gernhardt selbst seine Kunst. Lachen als "Kontrollverlust", guter Geschmack hin oder her.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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