Zorneding:Flüchtlinge sind zur Untätigkeit verdammt

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  • Nachbarn der Asylunterkunft in Pöring beschweren sich häufig über Lärm. Einmal bedrohte ein betrunkener Bewohner der Unterkunft sogar Anwohner in ihrem Garten.
  • Behörden und Helferkreise sind sich einig: Schuld sind vor allem die Enge der Unterkunft und das Nichtstun, zu dem die Bewohner verdammt sind.
  • Wenn die Asylbewerber unkompliziert arbeiten wollen, muss die Tätigkeit gemeinnützig sein. Das erschwert vieles.

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Sandra Kuse ist genervt, man hört es sogar durch das Telefon. "Warum in Gottes Namen müssen die Flüchtlinge zu dieser Untätigkeit verdammt sein, es gibt doch so viele Jobs!" Kuse ist im Zornedinger Helferkreis für den Bereich Arbeit zuständig, und sie hatte es wahrlich nicht einfach in den vergangenen Wochen und Monaten.

Besonders die Asylunterkunft in Pöring macht ihr und den anderen Helfern zu schaffen, die Vorkommnisse dort lesen sich wie ein Krisenprotokoll: Ständige Lärmbeschwerden der Nachbarn, die vor den Bewohnern der Unterkunft an der Eglhartinger Straße inzwischen Angst haben. Einer der heftigsten Übergriffe: Ein Bewohner drang betrunken in einen Garten ein und bedrohte die Hauseigentümer massiv. Der Landrat erteilte dem Mann Hausverbot und ließ ihn in eine andere Unterkunft verlegen.

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Es folgten Krisengipfel mit dem Landratsamt und Vertretern des Rathauses, bis endlich doch ein Sicherheitsdienst in der Einrichtung eingesetzt wird. Ausgerechnet an dessen ersten Arbeitstag versuchte ein Bewohner, sich selbst umzubringen. Die Polizei schrieb in ihrer Pressemitteilung: "Ein Grund für die Selbstverletzung dürfte die Arbeitslosigkeit des Mannes, aber auch der hohe Alkoholkonsum gewesen sein."

Egal mit wem man spricht - Helferkreis, Rathaus, Landratsamt-, sie alle sind sich in einem einig: Wenn man 60 Bayern auf engstem Raum unterbringen würde, ohne ihnen Aufgaben und Beschäftigung zu geben, dann sähe das Ergebnis auch nicht besser aus. Bleibt die Frage: Wieso macht man das mit Flüchtlingen? Und wieso lässt man die meisten von ihnen nicht arbeiten? Dabei gibt es selbst für Flüchtlinge im Anerkennungsverfahren durchaus Möglichkeiten: Sogenannte gemeinnützige 80-Cent-Jobs und reguläre Tätigkeiten, für die es einer Arbeitserlaubnis bedarf.

Bereits zwei Mal hat Helferin Kuse mehrere 80-Cent-Jobs für die Pöringer Flüchtlinge beim Landratsamt beantragt, zwei Mal hat man sie abblitzen lassen - obwohl derlei Jobs unter anderem für die Unterkunft auf der anderen Seite der S-Bahn in Zorneding genehmigt wurden. Etwas am Thema vorbei erscheint auf den ersten Blick auch die Erklärung in der Absage: Darin verweist das Landratsamt auf den Putzplan, der erst einmal eingehalten werden soll.

Die Kreisbehörde erklärt das Vorgehen bei näherer Nachfrage auch mit den strengen Vorgaben: "Die 80-Cent-Jobs müssen gemeinnützige Arbeit sein, die sonst niemand anderem abgeht", sagt Christopher Höhl, Abteilungsleiter für Soziales im Landratsamt. Grundsätzlich stehe man den gemeinnützigen 80-Cent-Jobs aber sehr offen gegenüber; Höhl betont, im gesamten Landkreis habe man heuer schon über 5000 Stunden solcher Arbeiten ermöglicht, es gebe grundsätzlich auch keine Deckelung.

Aber: Das Angebot an Einsatzmöglichkeiten sei auch sehr schmal, weil eben garantiert sein muss, dass niemand anderem der Job weggenommen wird. Zum Beispiel Unkraut jäten? "Selbst das müsste eigentlich ein Gärtner machen", sagt Höhl, ein Flüchtling könnte da höchstens zur Hand gehen. Er verweist auf die Gemeinden, die solche Einsatzmöglichkeiten melden sollen, darum wolle er nun noch einmal in einem Schreiben an die Rathäuser bitten. In Vaterstetten und Grasbrunn scheint das nicht nötig zu sein. Der Helferkreis Grasbrunn-Vaterstetten berichtet, man habe zeitweise bis zu acht 80-Cent-Jobs gleichzeitig gehabt, die Beantragung dafür sei "völlig problemlos" gelaufen, da es sich eindeutig um gemeinnützige Arbeit gehandelt habe.

Bleiben noch reguläre Jobs, die die Ausländerbehörde im Landratsamt nach eigenem Ermessen erlauben kann, solange der Geflüchtete im laufenden Verfahren ist und nicht aus einem als sicher deklarierten Herkunftsland stammt. Zu den Kriterien des Innenministeriums, die jede Ausländerbehörde für sich abwägt, gehört: geklärte Identität, Mitwirkung im Asylverfahren, Sprachkenntnisse, Wahrscheinlichkeit der Anerkennung, die Absicht, eine qualifizierte Beschäftigung aufzunehmen und das Fehlen von Rechtsverstößen.

Der Identitätsnachweis ist eine große Hürde

Wie sehr das Landratsamt in Ebersberg seinen Spielraum zugunsten der Flüchtlinge ausschöpft, wie streng oder liberal es also mit den Arbeitserlaubnissen verfährt, ist schwer zu beurteilen: Die Behörde führt über angenommene und abgelehnte Anträge nach eigenen Angaben keine Statistik. Eine Sprecherin teilte aber mit, man gehöre "bei der Entscheidung über die Beschäftigungserlaubnis eben nicht zu den strengeren Ausländerbehörden." Eine Selbsteinschätzung, die Sandra Kuse vom Zornedinger Helferkreis so nicht teilt: "Katastrophal, wie es da abläuft", urteilt sie.

Wie schaut es in den anderen Landkreisen aus? Die Ämter, die entsprechende Statistiken führen, scheinen auch möglichst viele Flüchtlinge in Arbeit bringen zu wollen. Die Behörde in Fürstenfeldbruck hat knapp jeden dritten seit Januar gestellten Antrag genehmigt. Noch besser schaut es für Geflüchtete im Münchner Landkreis aus: Von den 1200 Beschäftigungsanfragen seit Jahresbeginn wurden bisher über zwei Drittel ermöglicht. Von der Freisinger Behörde ist zu vernehmen, dass seit Jahresbeginn keine Ablehnung erfolgte und seit April zusätzliche 59 Asylbewerber arbeiten dürfen. Und in Erding wurde von den seit November vergangenen Jahres gestellten und bearbeiteten Anträgen ein Fünftel, also 28 genehmigt.

Auf eine Hürde weisen die Vaterstettener und Markt Schwabener Helferkreise hin: Beide sehen den Identitätsnachweis, den Flüchtlinge für eine Arbeitsgenehmigung liefern sollten, als ein Problem an: "Diesen zu beschaffen ist für die Flüchtlinge größtenteils nicht möglich oder auch nicht gewollt. Somit gibt es keine Arbeitsgenehmigung", ließ der Vaterstettener Helferkreis verlauten.

Auch der Markt Schwabener Helferkreis sieht die Situation als unlösbar: "Wie weist ein Flüchtling sein Bemühen nach, wenn er keinerlei Kontakte mehr ins Heimatland hat und auch nicht Kontakt zu den Behörden aufnehmen kann oder darf, weil das im Asylverfahren verboten ist?" Ein paradoxe Situation, mit deren Konsequenzen nicht nur Sandra Kuse, sondern auch viele Flüchtlinge im Landkreis weiterhin zu kämpfen haben.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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