Zorneding:"Das ist politische Brandstiftung"

Zornedings CSU-Chefin Sylvia Boher steht nach ihren rechtspopulistischen Äußerungen stark in der Kritik. Einige fordern eine Intervention des Bürgermeisters. Stellvertreter Haindl hält allerdings an ihr fest.

Von Carolin Fries und Isabel Meixner, Zorneding

Manch einer in Zorneding ist derart empört über die Oktober-Ausgabe des Zorneding-Reports, dass er sich an die zweite Bürgermeisterin Bianka Poschenrieder (SPD) gewandt hat. "Ich habe heftige Beschwerden erhalten, verbunden mit der Bitte, beim Bürgermeister zu intervenieren", sagt Poschenrieder. Das Anliegen der Anrufer fasst sie mit den Worten "So geht es nicht weiter" zusammen.

Der Unmut der Bürger richtet sich gegen die CSU-Ortsvorsitzende Sylvia Boher, die in der einführenden Kolumne "Kritisch angemerkt" des von den Christsozialen herausgegebenen Zorneding-Reports gegen Flüchtlinge hetzt. "Den Leuten ist das unangenehm", sagt Poschenrieder, die im Mitteilungsblatt der örtlichen Sozialdemokraten den Worten Bohers nun einen Artikel entgegensetzen will. Die zweite Bürgermeisterin distanziert sich deutlich von den Behauptungen und Thesen Bohers, die unter anderem die Situation der Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Flüchtlingen von heute vergleicht.

Die Freien Wähler denken ebenfalls darüber nach, Bohers Thesen entgegenzutreten und der CSU-Politikerin einen Brief zu schreiben. Boher sei schon bei einigen ihrer Kolumnen über das Ziel hinausgeschossen, auch im Umgang mit anderen Parteien in Zorneding, findet Gemeinderat Wilhelm Ficker. Er wirft der Politikerin "Stimmungsmache und Polemik" vor. Auf einzelne Punkte wolle er gar nicht eingehen, "das ist es nicht wert".

Auch andere Vertreter aus der Opposition kritisieren Boher scharf. Der FDP-Gemeinderat Peter Pernsteiner geißelt die "verbalen Entgleisungen" Bohers: "So kennt man sie und hat sie für diese Art von Vorwort alles andere als lieb gewonnen." Grünen-Fraktionssprecher Helmut Obermaier wird deutlicher: "Das ist politische Brandstiftung." Derartige Äußerungen - Obermaier nennt sie "bodenlos" - hätten lediglich zum Ziel, die Asyldebatte negativ zu befeuern. "Einer christlich-sozialen Partei steht das nicht gut." Er erwarte, dass sich "die örtliche CSU von dieser Vorsitzenden distanziert".

Der CSU-Parteivorstand distanziert sich auf Nachfrage zwar von den Inhalten der Kolumne, den Vorsitz Bohers stellt - zumindest öffentlich - vorerst niemand in Frage. Der stellvertretende CSU-Ortsvorsitzende Johann Haindl hält "einzelne wenige Passagen" des Artikels für "happig". Überwiegend aber würden "viele wahre Sachen" transportiert, die er auf Nachfrage aber nicht konkret benennen will. "Die Bude kocht, das ist Wahrheit. Der Grundkonsens des Artikels ist richtig, die Leute wollen aufgeklärt werden." Die Frage, ob er hinter Sylvia Boher als Ortsvorsitzende stehe, beantwortet er mit einem "Freilich".

Johannes Schott, ebenfalls Stellvertreter im CSU-Vorstand, "möchte den Artikel nicht kommentieren". Er, der Redaktionsleiter des Zorneding-Reports, erklärt, den Artikel vor Druck nicht gelesen zu haben: "Das ist eine eigene Sparte, da liest niemand gegen." Das Parteiblatt wird regelmäßig an alle etwa 4000 Haushalte in der Gemeinde verteilt.

Schott betont, eine andere Meinung zu haben. Auch Stellvertreterin Jutta Sirotek widerspricht dem Artikel inhaltlich: "Wortwahl und Beispiele sind aus meiner Sicht nicht tragbar für eine christlich-soziale Partei." Geschäftsführer Christian Czirnich gibt zu, er tue sich schwer mit einer CSU, die sich auf den rechten Rand zubewegt und Flüchtlinge ausgrenzen will: "Es gibt viele Strömungen in der Partei, ich zähle mich zum liberalen Teil."

Auch überörtlich ist die Kolumne von Sylvia Boher Thema. Landrat Robert Niedergesäß (CSU) spricht von "Gedankengut, das nach rückwärts gerichtet ist": "Eine Neiddebatte oder eine völlig unsachliche Herabwürdigung einzelner sehr verdienter Persönlichkeiten helfen uns nicht weiter." Er verweist auf die Hunderte ehrenamtlichen Helfer, die derzeit enorme Arbeit leisteten: "Sie zeigen die Mitmenschlichkeit, die jetzt gefragt ist, ohne die wachsenden Probleme zu negieren, die die Unterbringung von mehr als 1000 Frauen, Männern und Kindern aus den unterschiedlichsten Krisengebieten dieser Erde natürlich mit sich bringt."

Bereits am Dienstag hatten sich CSU-Kreisvorsitzender und Landtagsabgeordneter Thomas Huber und Zornedings Bürgermeister Piet Mayr, ebenfalls CSU, von Boher distanziert. Sie könne nicht für sich in Anspruch nehmen, für die Partei zu sprechen, betonte Huber.

Dieser Aussage schließt sich Bundestagsabgeordneter Andreas Lenz an. Die Politik arbeite auf allen Ebenen an Lösungen für den Flüchtlingszustrom, es dauere, bis diese umgesetzt und die Fluchtursachen langfristig bekämpft seien. "Vereinfachende Parolen helfen uns in dieser Situation in jedem Fall nicht weiter", so Lenz.

Sylvia Boher hatte unter anderem die staatliche Hilfe für Flüchtlinge mit dem Argument abgelehnt, dass das den Heimatvertriebenen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch nicht zuteil geworden wäre - und hatte dabei entweder bewusst nicht erwähnt oder nicht gewusst, dass es durch das damals stark umstrittene Lastenausgleichsgesetz durchaus Geld für die Flüchtlinge gab.

Auch unterstellte Boher, dass durch die ankommenden Asylbewerber die deutschen Sozialhilfeempfänger auf der Strecke bleiben würden. Die Flüchtlingskosten werden allerdings durch ein anderes Budget abgedeckt, eine Kürzung der Sozialleistungen gab es seit Beginn der Flüchtlingskrise nicht.

Sylvia Boher selbst war für eine Stellungnahme am Mittwoch erneut nicht zu erreichen. Nach Aussagen des Parteivorstands ist sie verreist. Boher ist seit 1997 an der Spitze des Ortsverbands und wurde erst im März mit großer Mehrheit als Vorsitzende bestätigt.

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