Wohin rollt der Amateurfussball?:Die Abseitsfalle

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Podiumsdiskussion im Egmating zeigt auf, dass der Fußball bei der Jugend kein Selbstläufer mehr ist und die Vereine nach neuen Wegen suchen müssen

Martin Mühlfenzel

Sven Friedel redet sich langsam in Rage. Der Kleinfeldkoordinator des TSV Egmating stellt gleich zu Beginn klar, dass er kein Interesse an einer oberflächlichen Debatte hat. "Ich bin hier als Vertreter der Basis", betont Friedel zum Auftakt der Podiumsdiskussion "Wohin rollt der Amateurfußball?" im Egmatinger Gemeindehaus, der rund 200 Trainer und Funktionäre aus halb Bayern beiwohnen. Vom Podium lässt der ehemalige Jugendspieler des FC Bayern und heutige Schuldirektor einen Fußball nach unten plumpsen - und schafft in aller Einfachheit jenes Bild, das ihm seit langem Kopfzerbrechen bereitet: "Bei vielen Vereinen geht es den Graben runter. Wenn man betrachtet, wie es bei einem kleinen Verein wie Egmating zugeht, kannst du dir fast die Kugel geben." Harte Worte eines Pädagogen, der dem Niedergang seines Sportes nicht länger zusehen will. "Deshalb ist es auch gut, dass heute so viele gekommen sind", sagt Friedel: "Das macht doch deutlich, dass wir Probleme haben." Unter der Leitung von Moderator und SZ-Journalist Christian Hufnagel diskutieren neben Friedel hochkarätige Gäste die Zukunft des Amateur- und vor allem des Jugendfußballs: Reinhold Baier, Vizepräsident des bayerischen Fußballverbandes, Werner Kern, Leiter des Junior-Teams des FC Bayern München, sowie der Ehrenamtsreferent Hermann Güller. Zunächst versuchen sich die Gäste an einer Zustandsbeschreibung der Situation des Amateurfußballs, der Jugendarbeit in den Vereinen und der Bedeutung des Ehrenamtes. "Und auf den ersten Blick könnte man meinen, es läuft super. Die Nationalmannschaft spielt gut, die Bundesliga boomt", sagt BFV-Vize Baier. "Aber leider kann man diesen Trend nicht eins zu eins auf den Amateurbereich übertragen." Der Verband, so der Funktionär, verschließe die Augen nicht vor den Problemen, die allen voran Vereine im ländlichen Raum plagten: Der demographische Wandel, die zunehmende Belastungen für Ehrenamtliche, die Angebote konkurrierender Sportarten, die schulische Komponente. "Aber wir müssen auch festhalten: Jedes Wochenende sind in Bayern zehn Mal mehr Menschen auf den Plätzen im Amateurbereich als in den Stadien der Profivereine." Den Weg in den Profibereich versucht Werner Kern als Leiter der Nachwuchsabteilung des FC Bayern besonders talentierten Kindern und Jugendlichen zu ebnen. "Wir kennen natürlich keine Nachwuchssorgen. Beim FC Bayern suchen wir uns die Spieler aus", macht er deutlich. Doch auch beim deutschen Rekordmeister registrieren die Trainer Veränderungen: "Es fehlt die polysportive Komponente bei Kindern", kritisiert Kern. "Eltern beschäftigen sich nicht mehr mit dem Nachwuchs und haben auch nicht mehr die Motivation, wirkliche Mühen auf sich zu nehmen." Dies beobachtet auch Schuldirektor Sven Friedel, der im täglichen Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Eltern kaum mehr neue Überraschungen erlebt. "Aber wenn dann doch eine Mutter am Samstagvormittag anruft und dir mitteilt, dass ihr Sohn wegen eines Friseurtermins nicht zum Spiel kommt, bist du baff." Dieses Beispiel zeige, dass sich die Prioritäten verschieben: "Es findet eine zunehmende Individualisierung und Vereinzelung statt. Hinzu kommt die demographische Entwicklung, die wir nicht aufhalten können." Aber: Quo vadis Jugendfußball? Liegt die Zukunft kleinerer Vereine, die in immer häufigeren Fällen ihre Mannschaften allein nicht mehr bestücken können, in Zusammenschlüssen? Etwa in so genannten Junioren-Fördergemeinschaften - Zusammenschlüssen mehrerer Vereine. In der anschließenden Diskussionsrunde liefern sich vor gebannt lauschenden Trainern und Funktionären Horst Winkler, Präsident des Bezirks Oberbayern, und Peter Moossmann, langjähriger Spielleiter der Landesliga Süd und Urgestein des SV Anzing, ein bemerkenswertes Duell. Winkler geht bewusst auf Konfrontationskurs zur eigenen Verbandsspitze und erinnert an den eigentlichen Zweck der JFGs: "Sie sollten der Talentförderung dienen. Aber immer öfter werden sie als Ersatz für Vereinsjugendarbeit gegründet." Wenn etwa drei oder vier Vereine als JFG nur noch eine A-Jugend stellen, wird die eigentliche Intention ad absurdum geführt, betont er. Dem flächendeckenden Missbrauch widerspricht indes Peter Moossmann und führt das Beispiel der JFG Linsee, der der SV Anzing angehört, an: "Das ist eine Leistungsgemeinschaft. Im Kleinfeld arbeiten die Vereine alleine - im Großfeld ist uns in den letzten Jahren keine Mannschaft verloren gegangen." Einen eigenen Weg zeigt Sven Friedel im Bereich des Kleinfeldes auf: In enger Zusammenarbeit mit sieben Vätern und zwei Müttern, die er zur Mitarbeit überredet hat, versucht der Fußballtrainer in Egmating einen Neuaufbau: "Wir müssen neuen Wege gehen, den Kindern Spaß und Disziplin vermitteln." Letztlich könne es nicht sein, dass altgediente Recken wie er selbst immer wieder in der Reserve aushelfen müssten: "Dann stehen der Hansi Heiler und ich in der Innenverteidigung - mit einem Altersdurchschnitt von 55." Dies sei letztlich der Agonie des Amateurfußballs geschuldet, betont auch Johann Heiler, der seit 30 Jahren die Fußballabteilung des TSV führt und die Podiumsdiskussion zusammen mit Wilhelm Küffner, dem ehemaligen Geschäftsführer des bayerischen Fußballverbandes, initiiert hatte: "Agonie heißt: schleichender Todeskampf. Stellt euch das vor", ruft Heiler den Gästen zu - und lässt einen leidenschaftlichen Appell folgen: "Aber wir machen das nicht mit." Genug Ideen für eine Wiederauferstehung des Amateurfußballs haben die Diskutanten und Gäste jedenfalls.

© SZ vom 02.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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