Jugendkriminalität:Weniger Diebstähle, mehr Drogendelikte

Marihuana Konsum

Marihuana-Konsum ist das häufigste Delikt, weswegen Jugendliche vor Gericht stehen.

(Foto: dpa)

Die Zahl der Heranwachsenden im Landkreis, die sich vor Gericht verantworten müssen, nimmt seit Jahren ab. Auch die Art der Delikte hat sich verändert.

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Es ist einer dieser Mittwoche, an denen im Sitzungssaal 1 des Amtsgerichtes in Ebersberg Jugendverfahren verhandelt werden. Ein Blick auf den Aushang zeigt schon, dass es sich um "jugendtypische Straftaten" handelt: Diebstähle sind dabei, Kneipenschlägereien und Fahren ohne Führerschein. Sieben Fälle werden an diesem Tag verhandelt, ein voller Terminkalender für Richter Dieter Kaltbeitzer und Bernhard Wacht von der Ebersberger Jugendgerichtshilfe.

Drei der Verhandlungen sind nicht öffentlich, Pressevertreter müssen draußen bleiben. Die vier öffentlichen Verhandlungen erfordern viel Geduld, was vor allem daran liegt, dass die Angeklagten bei zwei Verfahren gar nicht erst erscheinen. Stille macht sich im Gerichtssaal breit, "die obligatorische Viertelstunde bekommt er" sagt Richter Kaltbeitzer. Erscheint der Angeklagte in diesem Zeitraum nicht, wird die Verhandlung verschoben.

So tanzen manche der Jugendlichen und jungen Erwachsenen dem Gericht mehrere Verhandlungstermine auf der Nase herum, mit ärztlichen Attesten mogeln sie sich durch. Auch der Angeklagte, der an diesem Mittwoch wegen Diebstahls zur ersten Verhandlung nach der Mittagspause geladen ist, fehlt nun schon zum zweiten Mal. "Die Verhandlung wird ausgesetzt", gibt der Richter sichtlich genervt zu Protokoll. Und weiter: "Der Angeklagte wird von der zuständigen Polizeiinspektion vorgeführt." Wenn die Strafsache Ende November endlich verhandelt werden soll, gibt es wohl kein Aus für den Angeklagten. Dafür, dass der Prozess im Sinne des Angeklagten ausgeht, ist ein solches Verhalten freilich nicht förderlich. Es liegt im Ermessen des Richters, Strafgelder aufzuerlegen, zumindest dann, wenn der Angeklagte ohne ärztliches Attest fehlt.

Wenn Jugendliche vor Gericht stehen, geht es meist um Kleinkriminalität

Mit lässigem Sakko, Dreitagebart und getönter Brille steht Jugendgerichtshelfer Bernhard Wacht vor dem Amtsgericht und zieht an einer selbstgedrehten Zigarette: Bei vielen Verhandlungen im Ebersberger Jugendgericht ist Wacht dabei, und das seit 18 Jahren. Wacht hat den Überblick, wenn es um die Straffälligkeit von Jugendlichen im Landkreis geht. "Im Landkreis Ebersberg sind die Zahlen seit den letzten Jahren fallend", erklärt der Jugendgerichtshelfer.

Waren es im Jahr 2007 noch rund 980 Ermittlungsverfahren gegen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, so schnellte diese Zahl bis 2010 auf mehr als 1300 Fälle nach oben. Seither nimmt sie stetig ab, 914 Fälle waren es im vergangenen Jahr, so wenige wie schon lange nicht mehr. Eine Entwicklung, die bundesweit zu beobachten ist. Doch diese Zahlen seien mit Vorsicht zu genießen, betont Bernhard Wacht. Schließlich könne man von der Anzahl der Ermittlungsverfahren nicht auf die Anzahl der Straftaten schließen. Denn ein Teil der Täter wird im Verfahren freigesprochen und es gebe auch Taten, die gar nicht strafrechtlich verfolgt würden.

Die meisten Delikte, wegen derer im Landkreis gegen Jugendliche und Heranwachsende ein Strafverfahren eröffnet wird, seien im Bereich der Bagatelldelinquenz angesiedelt, erklärt Wacht. Als Delinquenz bezeichnet das Strafrecht die Neigung junger Menschen, Gesetze zu überschreiten. Zumeist handelt es sich dabei um Bagatelldelikte, also Straftaten, bei denen es sich um kein Verbrechen handelt. Diebstähle, kleinere Straftaten im Bereich Betäubungsmittel und Verkehrsdelikte gehören dazu. Bereiche, in denen Jugendliche und junge Erwachsene besonders oft auffällig werden.

Ladendiebstahl ist das klassische Jugenddelikt

Bei den meisten der im Landkreis Ebersberg von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden begangenen Taten handelte es sich in den vergangenen Jahren um Ladendiebstähle und Diebstähle, also Eigentumsdelikte. Im vergangenen Jahr war das ein Fünftel der Fälle. 2014 wurden die Eigentumsdelikte zum ersten Mal von Betäubungsmitteldelikten übertroffen, die knapp 22 Prozent der jungen Straftäter vor das Ebersberger Amtsgericht brachte.

Nach Straftaten im Bereich Drogen und Diebstahl folgten im vergangenen Jahr wie auch in den Jahren zuvor Verkehrsdelikte, also etwa Fahren ohne Fahrerlaubnis, Fahren unter Drogeneinfluss oder Fahrerflucht. 2014 waren knapp zwölf Prozent der Jugendgerichts-Fälle in diesem Bereich anzusiedeln. Knapp dahinter folgten Gewaltdelikte mit rund zehn Prozent. Sachbeschädigung schlugen mit neun Prozent zu Buche, gefolgt von Prozessen wegen Beförderungserschleichung - Schwarzfahren also. In weitaus geringerem Prozentsatz wurde gegen Jugendliche und Heranwachsende vor dem Amtsgericht wegen Beleidigungen, Betrug oder Bedrohung prozessiert.

Nur wenige Jugendliche sind notorisch kriminell, aber wenn, dann richtig

In den allerwenigsten Fällen manifestiere sich nach der oder den ersten Straftaten von Jugendlichen eine kriminelle Karriere, wie Bernhard Wacht vom Kreisjugendamt betont. Doch es gibt sie sehr wohl, die sogenannten Mehrfachtäter, die harten Fälle. 6,5 Prozent der verurteilten Jugendlichen und Heranwachsenden zählt die Justiz zu dieser Gruppe. Für sie sind in den zuständigen Polizeipräsidien eigens Beamte abgestellt, es finden regelmäßig sogenannte Gefährderansprachen statt, Versuche der Ordnungshüter, jugendliche und heranwachsende Straffällige wieder auf Linie zu bringen.

Gerade an Mittelschulen kristallisiert sich oft ein soziales Milieu heraus, das prädestiniert dafür scheint, auf der Anklagebank zu landen, so zumindest lautet das gängige Klischee. Und Statistiken belegen: Perspektivlosigkeit, Armut, schwierige familiäre Verhältnisse bieten oft den Nährboden für Gesetzesübertretungen. Aus diesem Grund sind an den Mittelschulen im Landkreis seit einigen Jahren Jugendsozialarbeiter angestellt.

Kriminalität ist keine Fage der Herkunft, sagt der Jugendgerichtshelfer

Auch an den Grundschulen ist diese Praxis bereits angekommen, "da die Probleme der Schüler beziehungsweise die soziale Benachteiligung nicht erst zur 5. Klasse beginnen, sondern schon vorher existent sind", erklärt Bernhard Wacht. Man müsse Bedingungen schaffen, die junge Menschen erst gar nicht in die Situation bringen, in der sie Kriminalität als Ausweg aus ihrer Misere betrachten: "Hier wäre unser Bildungssystem gefordert, die propagierte Chancengleichheit umzusetzen." Die Formel der Jugendkriminalität als Unterschichtenproblem weist Wacht zurück, das sei "zu simpel und zu plakativ". "Viele der jungen Menschen, die hier vor Gericht landen, sind Kinder von Anwälten oder Lehrern", sagt der Jugendgerichtshelfer.

Was aber auffällt: Über die Jahre hat sich der Prozentsatz männlicher jugendlicher Tatverdächtiger im Landkreis bei um die 75 Prozent eingependelt. Insbesondere Gewaltdelikte seien oft Ausdruck von "falschem Männlichkeitsempfinden", das auch über Medien vermittelt werde, nennt Wacht einen Grund für das Ungleichgewicht. Und Jungs würden in der Schule oft weniger gefördert, die Folge sei eine erhöhte Straffälligkeit.

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