Wasserburg:Blutspuren auf Sand

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Das Theater Wasserbug spielt den Klassiker "Der aufhaltsame Aufstieg der Arturo Ui" von Bert Brecht. Im Zirkuszelt zeigt sich die zeitlose Kraft der Parabel vom Gauner, der sich ungebremst nach oben tötet

Von Ulrich Pfaffenberger, Wasserburg

Eine Zeitlang war der Moralist Berthold Brecht auf den Bühnen aus dem Blickfeld geraten, schien doch alles heil zu werden in dieser Welt, wo sich sogar die größten Konzerne der Ehrbarkeit hingaben und unter dem Stichwort "Compliance" ein Geschäftsfeld machten. Je mehr diese schmucke Oberfläche jedoch bröckel, je leichter sich wenig ehrbare Figuren wieder den Weg an die Spitze von Organisationen und Gesellschaft bahnen, desto begreifbarer und erhellender erweist sich, was der Dichter einst in Worte und Szenen fügte. "Aus der Geschichte lernen" erweist sich einmal mehr als der weiseste Rat, den uns frühere Generationen nahelegen. Zumal dann ist Argwohn geboten, wenn für die vorgeblichen Interessen des "kleinen Mannes" Transparente gespannt, Fahnen geschwenkt und Reden gehalten werden. Denn am meisten, so lehrt uns Brecht in "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", profitieren davon die kleinen Ganoven, die gern große Gangster werden wollen und dafür skrupellos die Ideale anderer verraten und deren Leben zerstören.

Die Schauspieler der Wasserburger Inszenierung sind auf Stelzen unterwegs. (Foto: Christian Flamm)

Seit vorigen Donnerstag spielt das Theater Wasserburg den Klassiker im Zelt auf dem Parkplatz am Grues. Was die Wahl und Gestaltung des Spielorts angeht, und damit auch die Kulisse, haben Regisseur Uwe Bertram und sein Team alles richtig gemacht. Das Zirkusrund, heiterer Nachfolger der grausamen Arenen der Antike, ist der passende Schauplatz für die mit List und Tücke ausgefochtenen Attacken des Gauners Ui, schon deshalb, weil der Sand alles Blut spurlos schluckt und Spuren leicht verwischen lässt. Indem Bertram die Handlung aus ihrer ursprünglichen Epoche und Umgebung herausnimmt und den Karfiol-Trust in die sich immer wieder neu erfindende Zirkuswelt versetzt, unterstreicht er die Zeitlosigkeit des Stücks und seiner Botschaft. Dazu kommt: Anders als eine Frontalbühne erhalten die Zuschauer im Rundumblick maximale Transparenz: Da kann hinterher keiner behaupten, er hätte etwas nicht mitbekommen.

Das Theater Wasserburg spielt den Klassiker im Zelt auf dem Parkplatz am Grues. (Foto: Wolfgang Hauck/oh)

Das Ensemble der "Stelzer" füllt diesen großzügig gewährten Raum mit größter Selbstverständlichkeit, ja mehr noch: so unbekümmert und einladend, dass sie den Zuschauer zum Beteiligten machen. Die pointierte Bühnenmusik, von Georg Karger und Pit Holzapfel komponiert und vom Zirkuskapellen-Sextett stilecht intoniert, zieht die Anwesenden noch tiefer ins Geschehen. Die dünnen Trennwände zwischen den Sitzreihen und dem Ring, sie lösen sich auf, vor allem dann, wenn die Artisten aus der gastgebenden Zirkusfamilie Frank mit ihrer erstklassigen Kunst hoch über der Manege die Blicke fesseln und die Herzen stocken lassen: "Brot und Spiele" als ewiges Prinzip zur Manipulation der Massen - ein Selbstläufer. Man kann dieser Idee nicht genug applaudieren, weil sie der Brecht'schen Verfremdung ihr Gezwungenes nimmt und eine Modernität schafft, für die sich manch sonstige Bühne brutal - und vergebens - verkrampft.

Auch auf anderen Ebenen erreicht die Wasserburger Inszenierung herausragendes Niveau. Fraglos setzt Hilmar Henjes schon wegen der Titelrolle die Akzente, zumal er das Hase-Igel-Prinzip mit bezwingendem Tempo und jeden Widerstand brechender Präsenz zelebriert: Wann immer es Zeit für eine Schweinerei ist, kann man sich auf das dreiste "Ich bin allhier" Uis verlassen. Mit der wunderbar kaltschnäuzigen Regina Semmler als Vollstreckerin an seiner Seite strickt er sein Netz aus Intrigen, Manipulationen und Propaganda so klebrig dicht, dass es schmerzt.

Als Politik, Presse und Kapital, die vermeintlich großen, tatsächlich aber schwachen Gegenspieler, bewegen sich Susan Hecker, Annett Segerer, Andrea Merlau, Nik Mayr und Frank Piatroschke auf Stelzen durchs Rondeau - ein kluges und spannendes Mittel der Regie, um ihr späteres Stolpern, Stürzen und Untergehen umso dramatischer ausfallen zu lassen. Berührend lebensnah zeichnen sie die armseligen Charaktere ihrer Figuren, die glasklar das Unheil dämmern sehen, ungeniert das Böse in ihre Bilanz einpreisen, oder sich in die Komfortzone hineinlügen, das Offenkundige nicht wahrhaben wollen, gar unanständig elitär den Anstand für materielle Vorteile opfern. Eine großartige, mit reichem Applaus bedachte Ensemble-Leistung, ein packendes, feingliedriges Spiel mit Worten und Gedanken, wie es auch die großen Brecht-Bühnen in Bochum oder Berlin geschmückt hätte.

Weitere Aufführungen am Gries in Wasserburg sind am 27., 28., 29. und 30. Juli, sowie am 3., 4., 5. und 6. August. Beginn ist jeweils um 20.30 Uhr.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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