SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 6:Spuren des Vergänglichen

Erich Zmarsly und Elsa Plach sind ein wichtiger Bestandteil der Ebersberger Kunstgeschichte - trotzdem drohen ihren Werken oftmals Schäden oder gar Zerstörung

Von Julian Carlos Betz

Man kann sie sehen, wenn man denn die Augen offen hält. Relikte vergangenen Kunstschaffens, die sich im Ebersberger Stadtbild bewahrt haben. Einer, der sich hier verewigt hat, ist Erich Zmarsly (1919 bis 1996). Doch seine Kunstwerke müssen oftmals dem Zeitgeist weichen, werden abgetragen, weggerissen oder übermalt. Manches konnte bereits gerettet werden, anderes ist unwiederbringlich verloren.

Antje Berberich, Stadtarchivarin und Kunstkennerin in Ebersberg, hat Zmarsly noch persönlich kennengelernt. Nachdem seine Frau bereits dement geworden und er selbst seit Jahren schwer krank war, sah der ehemalige Kriegsvertriebene aus Oberschlesien keine Hoffnung mehr auf Besserung seiner Lebensqualität. Auch die Auftragslage hatte sich sehr verschlechtert. Berberich beschreibt ihn als "undurchdringbar", mit einem "sehr trockenen Humor". Ein "sehr gebildeter Herr der alten Schule". Als Künstler von Jugend an hochbegabt und durch einen Gönner gefördert, experimentierte Zmarsly mit allem, was das Handwerk ihm bot. "Ein Spezialist, der mit allen Materialien zu tun hatte und in allen denkbaren Kunstrichtungen zu Hause war", so Berberich.

Anfangs, als sich das Nachkriegsdeutschland erholt hatte und die Menschen sich auch finanziell wieder mit Kunst beschäftigen konnten, war Zmarsly noch hochaktiv gewesen: Zahlreiche Malereien auf Fassaden, die nun teilweise nicht mehr zu sehen sind, waren Zeugen dieser Tätigkeit. Sei es das "Waldgemälde" in der Grundschule Ebersberg, an das sich so mancher Erwachsene noch heute erinnern kann, oder die liebevolle Gestaltung der Kfz-Zulassungsstelle im Landratsamt mit nostalgischen Automobiltypen.

Da er auch als Innenausstatter beschäftigt war, finden sich nicht zuletzt in Privathaushalten vielfältige Belege für Zmarslys Schaffen: Hier eine aufwendig bemalte Tür, dort ein gestaltetes Zimmer. Sein Erbe ist somit in der ganzen Stadt verteilt, nicht konzentriert und in Kisten verstaut, sondern oft zugänglich und einsehbar.

Zwar konnte die "Vehikel-Wandmalerei" im Rahmen eines Umbaus in Einzelteilen gerettet werden - und wird demnächst am Sparkassenplatz im erweiterten Landratsamt eine neue Heimat finden, auch dank des Landrats und Kunstförderers Robert Niedergesäß. Das "Waldgemälde" hingegen wurde durch ein Missverständnis einfach übermalt. Um solchen bedauernswerten Eingriffen zuvorzukommen, betreibt Berberich seit Jahren eine "Kampagne", um die noch verbleibenden Werke Zmarslys ausfindig zu machen und - wenn nötig - sicherzustellen.

So geschehen auch bei einigen "Medaillons", die bei der Kreiskasse im Landratsamt angebracht waren. Als Berberich davon erfuhr, dass diese abgeschlagen werden sollten, fuhr sie noch am späten Abend mit ihrem Mann dorthin und ließ sich die Wandverzierungen im Ganzen aushändigen, um sie in Sicherheit zu bringen - auf dem Fahrrad.

"Zmarsly ist mein besonderer Freund", sagt sie leise und doch betont, wenn es um den Künstler und sein Schaffen geht. Seit 2003 veranstaltet Berberich regelmäßig Ausstellungen zu seinem Oeuvre und setzt alles daran, diesen Künstler dem kollektiven Gedächtnis einzuprägen. Aktuell plant sie eine landkreisweite Führung: Gemeinsam mit Interessierten will sie die Spuren Zmarslys verfolgen. Manchmal genügt es auch schon, minimale Verbesserungen vorzunehmen, damit die Kunstwerke nicht kleinen bis mittleren "Alltagsbeschädigungen" zum Opfer fallen. So geschehen bei einer Darstellung des Handwerks in der Landwirtschaftsschule am Stadtrand: Dort habe sie einfach ein paar Blumenkübel aufgestellt, "damit niemand etwas gegen die Wand lehnen oder mit Gegenständen daran stoßen kann".

Während also von Erich Zmarsly einige Schätze ihren Platz in der Stadt Ebersberg behaupten konnten, entdeckt man von Elsa Plach (1863 bis 1953) kaum Kunst im öffentlichen Raum. Neben einigen Bildern in den Büros des Landratsamtes befinden sich ihre Werke vor allem in der städtischen Kunstsammlung, also in Berberichs Obhut im Speicher des Rathauses der Kreisstadt.

Plach, eine einstige Koloratur-Sopranistin, gelangte nur wegen eines Unfalls, einer Krankheit zur berufsmäßigen Malerei: Hätte sie nicht einen Gehörsturz und damit den Verlust ihrer vielbewunderten Stimme erleiden müssen, so wäre sie vermutlich nie über das freizeitmäßige Malen hinausgelangt. Doch so war sie gezwungen, aus der Neigung einen Beruf zu machen. Plach war Teil der damals bekannten Dachauer Schule, einer Künstlerrichtung, zu der zeitweise Berühmtheiten wie Franz Marc oder Emil Nolde zählten. Ihre Bilder sind damit einem gewissen akademischen Stil verpflichtet, der in diesem Kreis üblich war und sich auf naturalistische Elemente und Techniken stützte.

Sogar im Münchner "Glaspalast", ein damals wichtiges Kunst- und Kulturzentrum, habe sie ausgestellt, rühmt Berberich die lange verstorbene Elsa Plach. Gleich als sie von ihr erfuhr, habe sie sich geschworen, ihr Werk zu pflegen und zu zeigen, Plach sei "wie eine Seelenverwandte" für sie. Vor allem ihr Schicksal habe sie sehr berührt: Dass sie in Ebersberg als ehemals wohlhabende Frau nach der großen Inflation von 1923 nahezu mittellos gelebt habe - ein Butterbrot gegen ein Porträt tauschen musste - und dennoch ihre Würde dabei hochgehalten habe. Dabei habe sie wie eine elegante Persönlichkeit ausgesehen, immer "mit Staffelei und Palette" unter dem Arm, berichten Zeitzeugen. Durch die Unterstützung des damaligen Bürgermeisters konnte Plach sich über Wasser halten und überließ der Stadt Ebersberg im Gegenzug zahlreiche Werke, die den Grundstock der heutigen Plach-Sammlung ausmachen.

Auch Plach war eine Kriegsvertriebene: In München ausgebombt suchte sie 1914 gemeinsam mit dem Ehepaar Hettinger Schutz in Ebersberg, wo sie sich eine kleine Dachgeschosswohnung in der Sieghartstraße 3 teilen mussten. Nachdem Elsa Plach - mittlerweile taub und fast blind - von der Gemeinde in Abwesenheit des Bürgermeisters in ein Altenheim in Laufen an der Salzach gebracht worden war, verblieben die Kunstwerke in der Sieghartstraße bei Hettingers. Diese hatten jedoch die Möglichkeit, sich am Eggerfeld ein Haus zu bauen und nahmen alle Werke Plachs dorthin mit. In diesem Haus stieß Berberich schließlich nach dem Tod Paula Hettingers auf einen großen Bestand an Werken, die an allen möglichen Stellen gelagert waren, oftmals leider nicht auf die schonendste Weise. So konnte sie unter Betten, hinter Öfen und sogar zwischen den Sparren unter dem Dach einige Bilder hervorziehen, die anschließend in die von Berberich initiierte "Städtische Kunstsammlung Elsa Plach" übergingen.

Gerade ist wieder geplant, Plachs Werke in einem leer stehenden Geschäft in Ebersberg zu zeigen, als Zwischennutzung der Räumlichkeit. Die erste Retrospektive fand bereits 1994 statt. Seit 2004 sind ihre Werke mehrmals zu sehen gewesen und auch eine Straße ist nach der Künstlerin benannt worden. Berberich findet sogar, Plach und Zmarsly "stehen an erster Stelle", was Ebersberg und seine Kunstgeschichte betrifft. Eine große Ehre für die außergewöhnliche Frau, die damals nicht an der Kunstakademie in München studieren durfte, weil das nur Männern vorbehalten war.

Beide Künstler, Plach und Zmarsly, haben sich der Stadt eingeprägt und gleichzeitig von ihr Inspiration erhalten. Wer sich einmal auf den Erich-Zmarsly-Platz begibt, versteckt im Wohngebiet südlich der S-Bahngleise, kann die Skulptur eines Fisches bewundern, auf der sich schon Witterung und Alter niedergelassen haben. Jetzt im Sommer blühen die Sträucher, die um das Werk herumwachsen und hüllen es schon beinah ein. Nur ein kleines Hindernis, das schnell beseitigt werden kann.

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: