Vorwürfe und offene Briefe:Verweis für den Rektor

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An der Montessorischule in Niederseeon steht der Schulleiter wegen seines Führungsstils in der Kritik. Lehrer und Vorstand verteidigen Christoph L.

Carolin Fries

Es mag einfach keine Ruhe einkehren in Niederseeon, das lässt sich festhalten. Alles andere, was in der Montessorischule am Steinsee seit Monaten rumort und unlängst in einem anonymen Schreiben an die Presse seinen Höhepunkt fand, ist nur schwer greifbar. Von Macht und ihrem Missbrauch ist die Rede, von fehlenden Führungsqualitäten und Mobbing. 17 Eltern beschreiben in einem Elternbrief ein "Klima der Angst", unter dem Lehrer leiden - und rufen dazu auf, sich "selbst ein Bild zu machen".

Die Umrisse der staatlich genehmigten Grund- und Hauptschule mit Mittlerer-Reife-Zweig sind schnell skizziert. So sieht man ein hübsches hellgelbes Haus mit dunkelgrün gestrichenen Fensterläden eingebettet in einen großen Garten. 192 Kinder besuchen die Klassen eins bis zehn, sie werden von 35 Lehrern unterrichtet. Glaubt man der Beschreibung einer Mutter, setzt sich die Schulfamilie aus "überzeugten Montessori-Leuten, Esoterik-Anhängern, geldigen Geschäftsleuten und klassischen Regelschulverweigerern zusammen". Getragen wird die Schule von einem Verein, dessen ehrenamtlicher vierköpfiger Vorstand als Arbeitgeber für Schulleitung und Geschäftsführung sowie der Lehrkräfte fungiert. Seit zwei Jahren leitet Christoph L. die Schule. Das alles könnte wohl jedes Mitglied der Schulfamilie so hinmalen, doch bei der Farbe für das Innere des Hauses würden manche wohl zu sonnengelb greifen - und andere zu tiefschwarz. Denn seit Christoph L. ist die Schulfamilie gespalten.

Im November 2010 übernahm L. übergangsweise die Leitung, nachdem Hubert Teinert krankheitsbedingt ausgeschieden war. Damals schon war L. bei einem Teil des Lehrerkollegiums umstritten. Nur wenige Monate später, im Sommer 2011, ging es um die Neubesetzung des Leitungspostens - und wieder war die Mehrheit der Vorstandschaft und des Kollegiums gegen L., der als Lehrer bereits einige Jahre zuvor an der Schule gearbeitet hatte. Doch die Mehrheit der Vereinsmitglieder, sprich Eltern, wollte den Mann, der zuletzt zwei Jahre lang die Montessorischule in Essing bei Regensburg geleitet hatte. In einem offenen Brief an die Mitglieder des Trägervereins erklären 14 Lehrkräfte kurz nach der Wahl ihre ablehnende Haltung mit "Bedenken an seiner pädagogischen Haltung, persönliche Erfahrungen mit ihm als Kollegen". Sie wünschten "eine Leitung, die nicht bevormundet, sondern im offenen Dialog mit uns die Schule entwickelt". Sie könnten nicht mit einer Leitung arbeiten, "die uns Vorschriften darüber macht, welche Begrifflichkeit tabu ist". Und: "Wir Lehrer wenden uns gegen jede ideologische, spirituelle und esoterische Unterwanderung der Schule." Mehr als die Hälfte derer, die das Schreiben damals unterzeichnet haben, arbeiten inzwischen nicht mehr in Niederseeon. Sieben Lehrkräfte sind gleich gegangen, als L. Schulleiter wurde. Sechs haben zum Ende des Schuljahres gekündigt.

"Ja", sagt Karl-Heinz Schubert, Geschäftsführer in Niederseeon dazu. "Sie haben alle gekündigt." Warum, weiß er nicht, er leitet die Geschäfte erst seit Sommer vergangenen Jahres. Ehemalige Angestellte berichten der SZ von einem unprofessionellen Umgang mit Personal, geprägt vor allem von fehlendem Respekt. "Ich wurde persönlich nie bedroht, habe aber mitbekommen, wie andere behandelt wurden", sagt jemand, der dort gearbeitet hat. Und: "L. hat die Lehrkräfte kontrolliert." Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter spricht von einer "hierarchischen Arbeitsauffassung". "Um dort zu bleiben, musste man sich klar zu Christoph L. bekennen." Öffentlich im Kollegium oder aber in Einzelgesprächen - das geben mehrere ehemalige Angestellte an - soll Mitarbeitern wiederholt die Frage gestellt worden sein "Stehst Du hinter Christoph L.?". Und nur wer konform ging, soll auch weiterhin akzeptiert worden sein. Kerstin Schmäling vom Vorstand des Trägervereins, sagt: "Nein. Diese Frage wurde nie gestellt." Sie spricht von einem "Reformprozess", den L. eingeleitet habe und den nicht alle bereit waren, mitzutragen. Christoph L. selbst wollte sich trotz mehrmaliger Nachfragen nicht zu den Vorwürfen äußern. In einer seiner ersten Vorstandssitzungen vergleicht er die Situation laut Protokoll mit einem "Kapitän auf einem Schiff, Kurs sei klar, Ziel ebenso, Mannschaft möchte nicht mit ihm diese Reise machen; dann kommt Sturm auf und die Mannschaft wird arbeiten oder untergehen, er wäre bereit, mit der Mannschaft, zu sterben". Ein Münchner Psychotherapeut, der zwei Mitglieder der Schulfamilie betreut hat, spricht von einem Führungsstil "eher scheinbar in Richtung totalitärer Struktur, als in Richtung demokratischem Miteinander. Leider". Die Lehrer in Niederseeon, die sich unterdrückt fühlen, leisten "massiv Widerstand", wie eine ehemalige Mitarbeiterin erzählt. Hilfe von außen holen sie nicht.

Der Vorstand bemüht sich, die Probleme zu lösen, bietet in Kooperation mit dem Montessori-Landesverband Coachings und Supervisionen an. Dieser bestätigt auf Nachfrage der SZ, dass die Fluktuation der Lehrkräfte in Niederseeon überdurchschnittlich hoch ist. Zu den "Interna" will man sich nicht äußern, nur so viel: "Einen Lehrer, der gegen seine Schule vorgeht, unterstützen wir nicht. Wir unterstützen die Schule." Ruhe kehrt dort indes nicht ein.

Als im Frühjahr 2012 ein Co-Leitungsteam von Vorstand und Schulleitung bestellt wird, ist die Verärgerung bei den Grundstufenlehrern groß. Aus ihrem Kreis ist niemand im Leitungsteam, "die Grundstufe fühlt sich nicht mehr gehört", sagt eine Mutter und fügt hinzu, "dabei sind sie doch die Basis". Etwa die Hälfte der Kinder in Niederseeon besucht die Grundstufe, der sich die Mittel- und Oberstufe anschließt. Eine andere Mutter sagt: "Das wurde einfach so von oben beschlossen." Franziska Ahlborn von Raven aus dem Vorstand widerspricht: "Es gab ein offenes Bewerbungsverfahren." Auch aus dem Grundstufenteam gab es zwei Bewerbungen. Nun gehören dem Gremium Vertreter aus Mittel- und Oberstufe an sowie die Kraft, die das Außengelände betreut und die Leitung der Mittagsbebetreuung. Auf die Frage, warum die Grundstufe nicht repräsentiert ist, antwortet Kerstin Schmäling: "Das hat persönliche Gründe." Anfangs sei das Team auch akzeptiert worden, berichtet sie - bis sich die Grundstufenlehrer plötzlich nicht mehr vertreten fühlten. Ein Münchner Anwalt für Arbeitsrecht wiederum, der für eine Lehrkraft diesen Vorgang bewerten sollte, spricht von "einer Art Mobbing". Diese Art, ungeschätzten Mitarbeitern bereits vorhandene Leitungsfunktionen zu entziehen und im Gegenzug andere Führungspersonen aufzubauen, sei "recht beliebt".

Tatsächlich brauchte die Montessorischule in Niederseeon ein Co-Leitungsteam, denn Christoph L. alleine darf die private Grund- und Mittelschule nach dem Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz nicht leiten. Er verfügt nicht über das hierfür erforderliche erste und zweite Staatsexamen, wie Kerstin Schmäling bestätigt. "Wir haben das vom alten Vorstand so übernommen und das nicht gewusst", erklärt sie. Im Co-Leitungsteam reicht es, wenn eine Person diese Anforderungen erfüllt, erklärt das Kultusministerium auf Nachfrage. Wolfgang Michalke, stellvertretender Leiter des Ebersberger Schulamtes, will nichts zu den Leitungsqualifikationen von L. sagen.

Wie es in Niederseeon nun weitergehen wird? 13 Lehrer haben eine Stellungnahme zu dem Elternbrief verfasst, der an die Presse gegangen ist. Darin bezeichnen sie L. als einen "weit überdurchschnittlich engagierten und verständnisvollen Schulleiter". "Seine Dialogbereitschaft und Kritikfähigkeit sowie die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm schaffen für uns eine angenehme Arbeitsatmosphäre", schreiben sie. Eine ehemalige Mitarbeiterin an seiner alten Schule beschreibt ihn ebenfalls als netten Kollegen und Chef. Unbedingt an L. festhalten will auch der Vorstand. "Wir müssen grundsätzlich hinter dem Schulleiter stehen", sagt Kerstin Schmäling. "Und hinter dem Team." Franziska Ahlborn von Raven hofft auf das Vertrauen der Elternschaft: "Man muss einen Kuchen doch erst einmal nach einem Rezept backen und probieren, bevor man etwas an der Rezeptur ändert."

In Niederseeon will man künftig noch ein weiteres neues Rezept ausprobieren, welches der Trägerverein am 19. März seinen Mitgliedern vorstellen wird. Anstatt eines ehrenamtlichen Vorstandes will man einen Aufsichtsrat installieren, der wiederum zwei hauptamtliche Vorsitzende einsetzt, "idealerweise den Schulleiter und den Geschäftsführer", wie Kerstin Schmäling meint. Dann würde die Verantwortung beim operativen Geschäft liegen, erklärt sie. Dann würde das "ewige Dilemma mit ehrenamtlichen Arbeitgebervertretern aufgehoben", wie es in einem Schreiben der Vorstandschaft an die Schulfamilie formuliert ist.

© SZ vom 22.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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