Vortrag in Grafing:Der andere Ludwig Thoma

Vortrag in Grafing: Eine spitze Zunge wie Thoma: Michael Skasa.

Eine spitze Zunge wie Thoma: Michael Skasa.

(Foto: Christian Endt)

Michael Skasa spricht über das schwierige Leben des bayerischen Dichters

Von Claus Regnault, Grafing

Oberammergau, Traunstein, Dachau, Tegernsee - sie alle haben ihren Ludwig Thoma - Grafing hat seinen Michel Skasa. Bei der oberbayerischen Gemeinsamkeit beider Autoren liegt es nahe, dass der Jüngere über den Älteren spricht, außerdem sind beide einer satirisch-spitzen Zunge wortmächtig.

Aber Michel Skasa handelte in der gut besuchten Grafinger Bücherei weniger das Werk Thomas ab, über welches auch er des Lobes voll ist. Nein, er hat gründlich dessen Biografie recherchiert - und das Ergebnis ist alles andere als erheiternd: Das Leben des großen Dichters war gekennzeichnet durch eine fortwährende Suche nach Anerkennung, eine Abfolge des Scheiterns. Skasas Resümee: "Er war ein armer Hund." Der Grafinger Autor schilderte eindringlich die Stationen dieses Scheiterns, gepaart mit einer gewissen "Verdrucktheit" von Thomas Charakter.

Früh verliert er, der kleine, gedrungene Mann, den groß gewachsenen Vater, absolviert danach mehrere Ausbildungsstationen mit dem mageren Ergebnis "rite" (genügend). Die Dissertation hat er nicht abgegeben, den zu Unrecht geführten Doktortitel hat er usurpiert. Seine erste kurze Anwaltstätigkeit in Dachau war nur leidlich erfolgreich. Tätigkeitsorte hat Thoma wie Hemden gewechselt, wie auf der Flucht vor den eigenen Vergangenheiten. Eine frühe Ehe mit einer Philippinin endete mit Scheidung, seine späte Liebe zu einer verheirateten Frau führte nicht zu wirklicher Gemeinsamkeit. Immerhin wurde er später Herausgebers des Simplicissimus, wobei sicher sein Ruf als hochbegabter Autor eine Rolle spielte. Unstet wie dieses Leben war auch Thomas Gesinnung: Aus dem halbwegs Linksliberalen wird mit dem Ersten Weltkrieg der rechtsnationale Verteidiger des Waffengangs und der Schmähkritiker des frühen Feminismus mit einer nicht geringen Portion von Antisemitismus.

Es fällt schwer, aus diesem Leben den Widerspruch zu Humor und Lebensnähe seines populären Werks zu erklären. Klar wird an dem Abend nur: Ludwig Thoma hat anders geschrieben, als er gelebt hat. Andererseits hat er gerade aus dem "Mehr Scheinen als Sein" der eigenen Existenz und der seiner ländlich-kleinbürgerlichen Klientel die Fähigkeit und Treffsicherheit zu ihrer literarischen Gestaltung bezogen. So mancher Thoma-Fan war wohl betroffen von diesem Widerspruch, über den eine Diskussion wünschenswert gewesen wäre. Ein wenig machte das Publikum in der Bücherei den Eindruck, als hätte es eine kalte Dusche bekommen. Skasa blieb den Trost schuldig - aber was ist schon ein sterbliches Leben gegenüber einem unsterblichen Werk!

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