Vielversprechendes Ensemble:Musik hilft, die Welt zu verstehen

Vielversprechendes Ensemble: Dirigent Maximilian Leinekugel (links) und Komponist Maximilian Zimmermann freuen sich gemeinsam am Applaus für die Uraufführung.

Dirigent Maximilian Leinekugel (links) und Komponist Maximilian Zimmermann freuen sich gemeinsam am Applaus für die Uraufführung.

(Foto: Ulrich Pfaffenberger)

Beim Konzert in Haar stimmen Maximilian Leinekugel und die "Munich Classical Players" ihr Publikum auf ein neues Klassik-Verständnis ein

Von Ulrich Pfaffenberger, Haar

Ein, zwei Minuten lang verharrt Maximilian Leinekugel beim Applaus still im Hintergrund der Bühne. Sein Blick ist in sich gekehrt, seine Miene konzentriert. Das Orchester und die Solistin, erfüllt von einem gelungenen Auftritt und dankbar für das Meistern einer anspruchsvollen Aufgabe, organisieren ihren Umgang mit dem Beifall ganz selbständig. Der junge Dirigent - was mag in ihm vorgehen in diesem Moment? Fast scheint es so, als staune er über die Kraft seiner Idee.

Was der Vaterstettener sich zum Ziel gesetzt hat, darf man als idealistisch bezeichnen: die eigene Begeisterung für konzertante Musik nicht nur am Pult zu leben, sondern sie bei anderen zu wecken. Mit seinem eigenen Ensemble, den Munich Classical Players, tritt er dazu abseits der großen Konzertsäle auf. Zum Beispiel im Kleinen Theater Haar, vor voll besetztem Haus. Das Programm durchzog ein feiner Oberton, der nicht nur Klang war, sondern Impuls, der über den Schlussapplaus hinaus wirkt.

Dafür hat der junge Dirigent an diesem Abend drei Spielarten genutzt, jede für sich reizvoll. Die erste Spielart liefert die Virtuosin, deren Spiel nicht nur die Zuhörer mitreißt, sondern auch das Orchester, besetzt mit Musikern, die alle noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Auf beiden Seiten reift der Wunsch: "Da will ich hin." Die einen zu einem nächsten Auftritt der Geigerin Rebekka Hartmann, die mit ihrer emotionsgeladenen und blitzsauber gespielten Interpretation von Mendelssohn-Bartholdys Konzert in d-Moll nachdrücklich vorführt, wofür man einen "Echo" bekommt. Die anderen zu einem nächsten Auftritt als Orchester, das eine solch famose Solistin begleiten darf und aus dessen Mitte vielleicht einmal ähnliche Spitzenqualität entspringt.

Violinistin und Streicherensemble entzünden sich vier Sätze lange aneinander und liefern eine temporeiche, intensive Interpretation, an der sich auch Zuhörer begeistern könnten, deren Vorurteil "Klassik" als förmlich und eng erwartet. Der begeisterte Applaus zeigt schon hier, dass ein Sprengen von Formen und Enge nicht nur den Sachverstand, sondern auch das Herz erreicht. Die zweite Spielart bietet die Uraufführung, also die Gelegenheit dabei zu sein, wenn Klänge geboren werden, wie sie die Welt noch nicht gehört hat. In einer medial vernetzten und scheinbar der letzten Geheimnisse beraubten globalen Gesellschaft sind solche Gelegenheit vermeintlich rar geworden. Oder man muss viel Aufwand treiben, um sich als Zeuge eines solchen Geschehens präsentieren zu dürfen. Mit den "Halluzinationen" von Maximilian Zimmermann, einem Gleichaltrigen, greift der Dirigent zur Provokation, die bitte im Wortsinn verstanden sei: als Hervorrufen starker Emotionen. Wie sie auftreten, wenn in einer Tondichtung Klangbilder ohne das Idyll der Wohlgefälligkeiten auskommen und Harmonien einmal anders klingen als im Wellnesstempel. Bei Poetry Slams steht das Publikum für derlei Kopf, an diesem Abend in Haar glühen die Ohren.

Schließlich lassen Dirigent und Orchester das Konzert mit Tschaikowskys C-Dur-Serenade ausklingen, ein spannendes Gegenlicht zum Mendelssohn am Anfang, romantisch-elegant und dank seiner stillen Momente auch vielsinniger. Durch vier Sätze hindurch macht Leinekugel sichtbar und hörbar, warum ein guter Dirigent nicht nur eine führende und eine gestaltende Hand braucht, sondern gelegentlich auch zu einer beschützenden und stützenden Hand wechselt. Sein Ensemble lohnt es ihm mit Hingabe und dem Komponisten mit einfühlsamer Zuwendung. Wenn der Duktus des Dirigenten und die Selbstachtung des Orchesters auf Augenhöhe kommunizieren, dann ist der Weg für ein Konzertieren geebnet, das den Namen auch verdient. Die Munich Classical Players und ihr Gründer befinden sich da auf einem vielversprechenden Weg.

Und das Publikum? Bekommt bei Tschaikowsky die dritte Spielart des Begeisterns serviert, den "Aha-Effekt". Der ist beim Walzer im zweiten Satz der Serenade programmiert, weil die eingängige Melodie auch Klassik-Unkundigen vertraut ist, aus Filmen oder aus der Werbung. Daran lässt sich ein Versprechen anknüpfen, das ebenso gut zu Leinekugels Zielsetzung passt wie zum Mitteilungsdrang der vernetzten Kommunikationswelt: Musik hilft die Welt verstehen, auch wenn sie unverständlich erscheint. Stürmischer Beifall ist der eine Weg, dafür zu danken. Ins nächste Konzert noch jemand mitzubringen, der andere.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: