Verkehr:Grafinger klagen über Lärm an der neuen Ostumfahrung

Lesezeit: 3 min

Die Grafinger Ostumfahrung zerschneidet die Wiesen und Felder weniger 100 Meter von diesem Anwesen im Stadtteil Engerloh. Wo früher höchstens mal ein Traktor durch den Acker pflügte, zieht sich heute ein blechernes Band aus Pkw und Lkw. (Foto: Christian Endt)

Wochen nach der Eröffnung der Umgehungsstraße kommen erste Beschwerden auf. Was sich ändern könnte - und was nicht.

Von Thorsten Rienth, Grafing

"Dort, wo Felder waren, entwickelt sich jetzt eine Autobahn", beschwert sich Manfred Stürzer. An Schlafen mit offenem Fenster sei nicht mehr zu denken. Selbst wenn es geschlossen ist, weckten einen morgens um halb sechs laute Lastwagen. Die Klagen über die gerade eröffnete neue Grafinger Ostumfahrung sind bitter - dabei ist auf der Straße noch vergleichsweise wenig los. Sie ist noch gar nicht in allen Navigationsgeräten hinterlegt.

Für Stürzer ist die Sache klar: "Die Werte, die damals im Planfeststellungsverfahren berechnet wurden, können nicht mit dem übereinstimmen, was bei uns da draußen los ist." Der Mann meint damit den Ortsteil Engerloh, er liegt im Nordosten der Stadt an der Straße Richtung Traxl. Die Stürzers wohnen an der Westseite. Knapp 200 Meter sind es von dort zur neuen Trasse hinüber.

Als "Sofortmaßname" sei dringend eine Geschwindigkeitsbegrenzung nötig. Dazu neue Lärmmessungen, und zwar dann, "wenn die Krachmacher tatsächlich unterwegs sind und nicht gerade Ostwind herrscht". Zusätzlich solle entlang der Ostumfahrung mehr Lärmschutz verbaut und das Grafinger Ortsschild nach kurz vor Gsprait verschoben werden.

Warum Stürzer in seinem Auftreten ein bisschen forsch ist, erklärte er in der jüngsten Bürgerfragestunde des Stadtrats so: "Wir haben uns ein teures Schallpegelmessgerät gekauft. Die Werte sind deutlich über dem, wie sie sein dürften!" Konkret will Stürzer in der Spitze einen Schalldruckpegel von "an die 68 dBA" gemessen haben. Zumindest was den Wert an sich angeht läge die Belastung über der zulässigen Begrenzung aus dem Planfeststellungsbeschluss der Trasse. Tagsüber verläuft die Grenze bei 64 dBA, nachts bei 54 dBA. Einen Unterschied von 10 dBA mehr nimmt das menschliche Ohr als etwa doppelt so laut wahr. Stürzers gemessene knapp 68 dBA wären also tatsächlich deutlich höher.

Christian Rehm, Bereichsleiter Straßenbau im für den Landkreis Ebersberg zuständigen Rosenheimer Straßenbauamt, bestreitet die höheren Werte nicht grundsätzlich. Wohl aber Stürzers Schlussfolgerung. "Bei den Lärmberechnungen wird immer ein Mittelwert über einen längeren Zeitraum gebildet", erklärt Rehm. Die sogenannten Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen, RLS-90, regelten die Methodik im Detail. "Und die ist natürlich auch exakt so bei der Ostumfahrung angewandt worden", sagt Rehm. Andernfalls hätte der Planfeststellungsbeschluss auch kaum der Überprüfung beim Bayerischen Verwaltungsgericht standgehalten.

Früher blickten die Engerloher ins Grüne, heute haben sie die Ostumfahrung direkt vor der Nase. Dass sie auch mit dem Lärm des vorbeirauschenden Verkehrs leben müssen, hat nun das Ebersberger Landratsamt mitgeteilt. (Foto: Christian Endt)

Die Stadt Grafing könnte sich prinzipiell flexibler zeigen

Für viele Grafinger überraschend dürfte dennoch sein, dass die Lärmberechnungen für den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2010 nach der Verkehrsfreigabe nicht mit realen Lärmmessungen verifiziert werden. "Das ist nicht vorgesehen", stellt Rehm klar. Der Gesetzgeber lege ja gerade großen Wert auf die standardisierten Berechnungen - "damit die Werte bundesweit vergleichbar sind".

Die aus seiner Sicht einzige Chance auf Lärmschutz für die Bewohner im Ortsteil Engerloh wären die anstehenden Verkehrszählungen. "Sollten die ganz wesentlich über dem liegen, was für die Straße prognostiziert worden ist, könnte das Auswirkungen haben." Die Anzahl der Fahrzeuge trage schließlich zum am Ende berechneten Mittelwert bei. Rehm warnte aber vor falschen Hoffnungen. "Wenn ich ehrlich bin: Wir sind da noch weit von der Schwelle entfernt." Und ob das Straßenbauamt sozusagen aus Kulanz aktiv werden könne? Rehm verneint das. "Selbst, wenn wir wollten, dürften wir das nicht." Der Freistaat zahlt nur jenen Lärmschutz, der gesetzlich unbedingt nötig ist.

Zumindest prinzipiell könnte sich die Stadt Grafing flexibler zeigen. Niemand würde sie hintern, in der Gegend um Engerloh Lärmschutz auf eigene Kosten zu installieren. Dass sich der Stadtrat dazu durchringt, ist zurzeit aber unwahrscheinlich. Erst vor ein paar Monaten hatte er eine ähnliche Bitte von Anwohnern aus der ebenfalls nah an der neuen Trasse liegenden Inntalstraße abgelehnt. Das Gremium fürchtete einen Präzedenzfall. Wenn man einmal freiwillig nachbessere, hieß es zur Begründung, dann müsse man überall so entscheiden.

Für die Engerloher dürfte sich daher so bald nichts ändern. Auch, weil ihr letzter verbleibender Plan, der eines Grafinger Ortseingangs schon bei Gsprait, keine Option ist. "Die Ortsschilder zu verschieben ist utopisch", erklärte Grafings Ordnungsamtsleiter Markus Weißmüller. Das bekomme die Stadt nie und nimmer genehmigt.

© SZ vom 20.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: