Vaterstetten/Haar:Krisen in Wort und Ton

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Die "Munich Classical Players" um Maximilian Leinekugel porträtieren berühmte Komponisten als gequälte Seelen

Von Friedhelm Buchenhorst, Vaterstetten/Haar

"Wahnsinn und Genie - gehen Hand in Hand", singt Udo Lindenberg treffend. Und schon aus mythologischer Zeit ist bekannt, dass Orpheus durch seinen mit der Lyra begleiteten Gesang selbst Felsen zum Weinen gerührt hat, und Odysseus sich am Schiffsmast hat festbinden lassen, damit er durch die betörenden Gesänge der Sirenen nicht den Verstand verlöre und zu törichten Handlungen verführt würde.

Den Zusammenhang von Musik und Seele - genauer: seelischer Pein - herauszustellen, war am Donnerstag das Ziel eines Konzerts des jungen Kammerorchesters Munich Classical Players mit dem Titel "Aus der Seele gespielt...". Unter der Leitung des 21-jährigen Vaterstettener Dirigenten und Musikwissenschaftlers Maximilian Leinekugel trat das Ensemble beim "Zamma"-Kulturfestival im Kleinen Theater Haar auf. In der Begrüßungsansprache betont denn auch Matthias Riedl, der Leiter des Theaters und Mitorganisator von Zamma, die symbolische Bedeutung des Konzertortes auf dem Gelände des ehemaligen psychiatrischen Krankenhauses.

Dort erhalten die etwa hundert Besucher Einblick in die seelischen Nöte bekannter Komponisten, und zwar in einer Abfolge von Text - gelesen vom Schauspieler Florian Fisch - und musikalischer Darbietung durch das Orchester. In bewegenden und auch erschütternden Auszügen aus Briefen und Tagebüchern lernen sie gewissermaßen die Kehrseite genialischen Ausdrucks und glanzvollen Ruhms kennen. Dass hohe Kulturleistungen nicht selten durch widrige Lebensumstände und psychische Leiden hervorgebracht werden, ist wohl allgemein nur wenig bewusst. "Aus der Seele gespielt..." will dieses Defizit wenigstens zum Teil beheben.

Ein ausschweifendes, kurzes Leben mit viel Alkohol und den Auswirkungen der Syphilis geführt hat bekanntlich Franz Schubert, dessen Briefe als erstes auf dem Programm stehen. Musikalisch eindringlich belegt wird Schuberts Leiden mit dem ersten Satz aus dem Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" in der Bearbeitung für Streichorchester von Gustav Mahler.

Es folgen Briefe von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1788 an den Vater, in denen er Sterben und Tod der Mutter beklagt. Das Orchester verleiht diesen Umständen mit dem zweiten und dritten Satz aus Mozarts "Sinfonia Concertante" hörbar Ausdruck. Von Mozart ist zudem bekannt, dass er allzu früh schon extremen elterlichen und gesellschaftlichen Karriereerwartungen ausgesetzt war: Seine nicht gelebte Kindheit und Jugend, sein allgemein unkonventionelles Verhalten, seine ausgeprägte Spielleidenschaft und nicht zuletzt wohl auch sein früher Tod dürften in diesem Zusammenhang zu sehen sein.

Nicht minder problematisch die Situation von Ludwig van Beethoven, dessen "Heiligenstädter Testament", ein Brief, belegt, dass der Komponist massiv unter seinem immer schlechter werdenden Gehör leidet. Er empfindet dies als "Demütigung", seine Verzweiflung lässt ihn gar an Selbstmord denken. Nur Kunst und Tugend bringen hier Trost, schreibt Beethoven, nur sie sind wichtig. Als musikalische Umsetzung dient hier die Romanze für Violine und Orchester Nr. 1 in G-Dur.

Pjotr Tschaikowsky hingegen ist mit Briefen vertreten, in denen er sich zu seiner Homosexualität bekennt, eine damals als äußerst schändlich empfundene Orientierung. Er ist verliebt, darf es aber nicht zeigen, er muss seine Gefühle verleugnen und verstecken. Die seelischen Qualen dieses Komponisten werden durch seine Streicherserenade, dritter Satz, spürbar.

Schließlich geht es noch um Robert Schumann: In Tagebuchauszügen seiner Frau Clara erfährt das Publikum intime Details bezüglich des Selbstmordversuchs ihres Mannes und seiner Einweisung in eine psychiatrische Heilanstalt. Dabei werden auch die Nöte der Angehörigen von Menschen in Krisen thematisiert. Als musikalische Entsprechung dient hier jedoch nicht ein Stück Schumanns, sondern eine eindrucksvolle zeitgenössische Komposition des an diesem Abend anwesenden jungen Komponisten Hao Wu.

Beeindruckend ist auch die Leistung des jungen Orchesters aus fortgeschrittenen Instrumentalisten der Musikhochschule München. Hervorzuheben sind hier nicht nur der Dirigent und Orchestergründer Maximilian Leinekugel, sondern auch die Violinistin Ronja Sophie Putz, der Violinist Tse-Hung Su und der Violinist Felix Kay Weber. Es ist zu hoffen, dass die Idee der Aufführung "Aus der Seele gespielt" weitere Früchte trägt - dass aber den Instrumentalisten bessere Schicksale beschieden sein mögen, als sie den erwähnten Komponisten widerfahren sind.

Liebe, Krankheit, Tod, existenzielle Erfahrungen und Krisen: Sie haben auch das Leben von Komponisten in zum Teil extremer Weise beeinflusst, vielleicht sogar auch im Sinne einer Bedingung ihrer schöpferischen Arbeit. Gewiss aber ist: Die menschliche Seele, gepeinigt oder nicht, wird auch in Zukunft noch für vielfältige, außergewöhnliche Kulturleistungen sorgen.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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