Vaterstetten:Zu viele Ausnahmen

In einer Baldhamer Siedlung gilt der Bebauungsplan de facto nicht mehr

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Ein bisschen Schwund ist immer, so ein beliebter Spruch, der offenbar auch für Bebauungspläne gilt, zumindest in Vaterstetten. Denn dort, genauer in der sogenannten Keßler-Siedlung, gibt es einen Bebauungsplan, der schon beinahe verschwunden ist. Aufgrund zahlreicher Ausnahmen in den vergangenen Jahrzehnten ist der Bebauungsplan de facto ungültig, das wurde nun in der Sitzung des Bauausschusses bekannt.

Eigentlich ging es nur um das Übliche, einige Bauwerber hatten angefragt, ob sie sich im einen oder anderen Fall über den Bebauungsplan hinwegsetzen dürfen. Sie dürfen, war in allen drei Fällen die Meinung des Bauamtes, die sich die Mehrheit der Ausschussmitglieder dann ebenfalls zu eigen machte. Heftige Kritik kam allerdings von Herbert Uhl (FW) und Manfred Schmidt (FBU/AfD), letzterer zitierte ausgiebig längere Passagen aus dem Baugesetzbuch. Im Kern ging es dabei um die Frage, warum sich die Gemeinde überhaupt die Mühe mache, Bebauungspläne aufzustellen, wenn dann doch jede beantragte Ausnahme genehmigt werde. Dieser Kritikpunkt ist nicht besonders ungewöhnlich, er ist regelmäßig nicht nur in Vaterstetten zu hören, wenn Gremien über Befreiungen von Bebauungsplänen zu befinden haben. Üblicherweise lautet die Begründung für eine Gewährung so einer Ausnahme, dass diese kaum ins Gewicht falle oder rein formaler Natur sei.

Die Antwort, die nun aber Bauamtsleiterin Brigitte Littke den Gemeinderäten Schmidt und Uhl gab, fiel da etwas aus dem Rahmen. Im Kern lautet sie: Die Gemeinde muss die Ausnahmen erlauben, weil in dem betreffenden Gebiet Ausnahmen längst die Regel sind. Littke erläuterte dies anhand eines Ortsplans des betreffenden Gebietes, der Keßler-Siedlung, das ist das Gebiet östlich der Karl-Böhm-Straße. Dort war jede Ausnahme als lila Punkt eingezeichnet, und es blieb kaum ein Grundstück unbepunktet. Und genau darauf könnte sich jeder Bauwerber, dem seine Befreiung vom Bebauungsplan verwehrt wurde, vor dem Verwaltungsgericht berufen, so die Befürchtung aus dem Bauamt. Eine Verweigerung hätte also höchstens aufschiebenden und für die Gemeinde kosten- und arbeitssteigernden Charakter. Dass diese Befürchtung durchaus berechtigt ist, zeigt das Beispiel Dahlienstraße, die einige hundert Meter von der Keßler-Siedlung entfernt liegt. Dort hatte ein Eigentümer über Jahre mehrmals versucht, sein Grundstück möglichst effizient, also so dicht wie es geht, zu bebauen, was von der Gemeinde stets mit Verweis auf den Bebauungsplan für das Gebiet zurückgewiesen wurde. Dies ging so lange gut, bis der Fall vor dem Verwaltungsgericht landete. Die Richter unternahmen einen kleinen Spaziergang durch die Umgebung und stellten fest, dass der Bebauungsplan, auf den sich die Gemeinde berief, eigentlich von niemandem mehr eingehalten wurde und erklärten ihn für nichtig. Die Gemeinde klagte sich daraufhin durch zwei Instanzen, um den Plan doch noch zu retten, indes ohne Erfolg.

Daher bleibe als Beurteilungsgrundlage eigentlich nur das sogenannte Einfügungsgebot, wie es das Baugesetzbuch vorschreibt. Danach muss sich ein Neubau innerhalb geschlossener Ortschaften seiner "näheren Umgebung" anpassen, sowohl in der Bauweise, wie in der Nutzung. Was naturgemäß viel weitere Spielräume lässt, als ein Bebauungsplan, der etwa regeln kann, wie hoch genau ein Neubau sein darf und innerhalb welcher Grenzen Häuser auf den Grundstücken stehen dürfen.

Genau darum, wo ein neues Haus gebaut werden darf, geht es im Übrigen bei den meisten Ausnahmen vom Bebauungsplan, auch bei den nun behandelten drei Fällen war eine sogenannte Überschreitung der Baugrenzen beantragt worden. Grund ist, dass die Grundstücke immer dichter bebaut werden, wo zuvor ein großes Haus stand, entstehen zwei kleinere, die dann eben die Baugrenzen etwas überschreiten. Was für Bürgermeister Georg Reitsberger (FW) und seinen Stellvertreter Martin Wagner (CSU) eher das kleinere Übel ist. Denn laut dem Bebauungsplan wären statt zweier Einfamilienhäuser, die ein bisschen aus den Baugrenzen fallen, theoretisch auch bebauungsplankonforme große Mehrfamilienhäuser möglich.

Aber wohl nicht mehr lange. Bauamtsleiterin Littke kündigte an, bald werde der schon etwas löchrige Bebauungsplan für die Keßler-Siedlung auch ganz offiziell für nichtig erklärt und durch einen neuen ersetzt.

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