Vaterstetten vor der Wahl:Trügerische Ruhe

Die Gemeinde steht vor gewaltigen Aufgaben. Schulen und Sportstätten müssen saniert oder neu gebaut werden, für 15 Millionen Euro soll außerdem eine Umgehungsstraße entstehen. Wie sich das alles bezahlen lässt, ist offen.

Von Wieland Bögel

Fast scheint es, als hätte es in der Großgemeinde ein reinigendes Gewitter gegeben. Die großen Kontroversen, die Vaterstetten noch vor einem halben Jahr während des Bürgermeisterwahlkampfes in Atem hielten, sind, wenn schon nicht ausgeräumt, dann offenbar doch weitgehend entschärft. Zumindest gilt das für mehrere anstehende Großprojekte, über die die Parteien und Kandidaten noch im Bürgermeisterwahlkampf erbittert stritten.

Zur Zukunft der Schulen und des Hallenbades gibt es inzwischen einen Gemeinderatsbeschluss, genau wie zu den umstrittenen Ortsumfahrungen für Weißenfeld und Parsdorf. Bei den Finanzen zeichnet sich pünktlich vor der Wahl ein Licht am Ende des Tunnels ab, und dass es in nächster Zeit ein neues Ortszentrum für Vaterstetten geben wird, ist nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen höchst fraglich.

Läuft also alles in geregelten Bahnen, sind für die kommenden sechs Jahre alle Weichen gestellt, sodass den Gemeinderäten, egal wen die Vaterstettener in das 30-köpfige Gremium wählen, eigentlich kein Spielraum mehr bleibt, weil ja alles schon beschlossen ist? Die Antwort ist ein klares "Jein". Zwar sind viele einst strittige Vorhaben verbindlich beschlossen, dennoch werden die Umsetzung und die Folgen dieser Beschlüsse den künftigen Gemeinderäten noch einiges an Kreativität abverlangen.

Schulen/Hallenbad

Dass es keine "große Lösung" - also keine Zusammenlegung der Schulen in der Wendelstein- und Gluckstraße - geben wird, hatte sich bereits im Bürgermeisterwahlkampf abgezeichnet. Da war die CSU, die die mögliche Zusammenlegung einst erfunden hatte, auf die Linie von Grünen und Freien Wählern umgeschwenkt, die Wendelsteinschule zu erhalten. Inzwischen hat sich der Gemeinderat mit CSU-Mehrheit gegen die Zusammenlegung ausgesprochen.

Die Befürworter einer solchen - SPD, FDP und FBU - kritisieren die Entscheidung zwar, trotzdem geben sie sich mit Ausnahme der FBU, die eine Zusammenlegung weiterhin im Wahlprogramm stehen hat, als gute Verlierer. So hat die SPD ausgeschlossen, per Bürgerentscheid den Gemeinderatsbeschluss auszuhebeln. Darüber, wie die neue Grund- und Mittelschule aussehen soll, herrscht weitgehend Einigkeit: Alle Parteien sprechen sich dafür aus, dass in der neuen Schule eine Ganztagesbetreuung möglich sein und neue pädagogische Konzepte umgesetzt werden sollen.

Weniger einig ist man sich dagegen in der Frage, was mit der Wendelsteinschule passiert. So betont die CSU zwar, man wolle den Standort erhalten, ob dazu aber eine Sanierung oder ein Neubau die beste Lösung ist, wolle man "zu gegebener Zeit" entscheiden. Grüne und Freie Wähler fordern ebenfalls den Erhalt des Standortes, ohne sich auf ein konkreteres Vorgehen festzulegen. SPD und FDP gehen auf diesen Punkt in ihrem Wahlprogramm gar nicht ein, die FBU fordert den Abbruch der Schule und den Verkauf des Grundstücks.

Dass sich die meisten Fraktionen nicht auf ein Zukunftsszenario für die Wendelsteinschule festlegen wollen, hat zwei Gründe. Es ist völlig unklar, was eine Sanierung und was ein Neubau kosten wird. Sicher ist nur: Beides wird für die Gemeinde nur sehr schwer zu finanzieren sein. Denn während der etwa 30 Millionen Euro teure Neubau der Grund- und Mittelschule zumindest teilweise durch den Verkauf des alten Schulgrundstücks bezahlt werden kann, gibt es eine solche Möglichkeit hier nicht. Zudem weiß noch niemand, was die neue oder sanierte Schule leisten muss. Ganztagsbetreuung ist dort laut einer Stellungnahme der Verwaltung kaum möglich, dafür müsste an- oder größer gebaut werden. Wie groß, zeigt sich erst, wenn die neue Grund- und Mittelschule fertig ist, etwa wenn das dortige Ganztagesangebot nicht ausreicht, weil viele Eltern aus dem Sprengel der Wendelsteinschule ihre Kinder in die neue Schule schicken.

Dass mit der neuen Schule auch ein neues Hallenbad, Kostenpunkt 7,5 Millionen Euro, gebaut werden soll, darin sind sich alle Parteien einig. SPD, FDP und FBU bemängeln allerdings, dass zunächst lediglich ein Bad mit nur einem Schwimmbecken gebaut wird, das bei entsprechender Kassenlage später um ein wettkampftaugliches Becken erweitert werden soll. Sie verweisen darauf, dass beides sofort möglich wäre, könnte man beide Schulgrundstücke verkaufen.

Ortszentrum/Bürgersaal

Die CSU favorisiert weiterhin einen Bürgersaal beim Rathaus. Dieser könnte der Kern eines "lebendigen Ortszentrums" werden. Der Bürgerinitiative, die sich für den Saal stark macht, sichert die CSU ihre Unterstützung zu. Doch dass die Veranstaltungsstätte bald zur Verfügung stehen wird, wollen die Christsozialen nicht versprechen. "Möglichst in der kommenden Wahlperiode" soll der Bürgersaal entstehen, es ist also zumindest nicht ausgeschlossen, dass es länger dauern könnte.

Deutlicher werden die Freien Wähler. "Schwimmbad vor Bürgersaal", lautet deren Devise, wenn es um die Priorisierung der Großprojekte geht. Um dem Mangel an geeigneten Orten für größere Veranstaltungen abzuhelfen, regen sie etwa die Nutzung der Aula in der neuen Schule oder unter dem Stichwort "Kulturstadel" preiswertere Lösungen an. Dass der Bürgersaal zum Ortszentrum dazugehören muss, verneinen die Freien Wähler. Diese Gleichsetzung habe die Entwicklung des Rathausumfeldes in der Vergangenheit behindert. Deshalb soll es einen Ideenwettbewerb geben, um machbare Lösungen für eine Neugestaltung der Wendelsteinstraße zu finden.

Auch die SPD spricht sich für einen kleiner dimensionierten, leichter zu finanzierenden Saal aus. Wie die Freien Wähler fordern sie außerdem "eine Pause zum Denken" darüber, wie es mit der Ortsmitte weitergehen soll. Dass dort keinesfalls großstädtische Strukturen entstehen sollen, dafür wollen sich die Grünen einsetzen.

Ob und wie ein Bürgersaal entstehen soll, darauf gehen die Grünen in ihrem Wahlprogramm nicht ein. Für die FDP ist klar, dass die Gemeinde Zentrum und Saal nicht über Kredite finanzieren soll, die FBU schlägt "zur Verwirklichung wünschenswerter Infrastruktur-Einrichtungen" die Gründung einer Bürgerstiftung vor.

Umgehungsstraße

Eine große Mehrheit der derzeit im Gemeinderat vertretenen Parteien, nämlich CSU, SPD und FDP fordert die schnelle Umsetzung der seit Jahrzehnten versprochenen Umfahrung für Weißenfeld und Parsdorf. Freie Wähler, Grüne und FBU lehnen die Umgehungsstraße dagegen kategorisch ab. Ob der nun zu wählende Gemeinderat überhaupt eine Entscheidung zu dem Projekt fällt, ist angesichts der zirka 15 Millionen Euro Kosten ungewiss. Zudem zeichnen sich langwierige Grundstücksverhandlungen ab, denn neben den Flächen, die für die Straße selbst nötig werden, muss die Gemeinde auch Grundstücke für Ausgleichsflächen kaufen.

Ortsentwicklung/ Bezahlbarer Wohnraum

Dass Vaterstetten weiter wachsen wird und soll, bekräftigen alle Parteien. Unterschiedliche Ansätze verfolgen sie aber bei der Frage, wie man dieses Wachstum gestalten will. So fordert die SPD genau wie die FBU eine stärkere Innenverdichtung. Bevor neue Wohngebiete am Ortsrand ausgewiesen werden, sollten Flächen innerorts bebaut werden. Die CSU will dagegen den "Gartenstadtcharakter" erhalten. Einen Mittelweg wollen Grüne und Freie Wähler. Sie lehnen zu starke Innenverdichtung ab, kritisieren aber auch die Ausweisung großer Wohngebiete am Ortsrand.

Unstrittig ist, dass es in der Gemeinde mehr bezahlbaren Wohnraum geben soll. SPD und Grüne fordern, dass bei neuen Baulandausweisungen immer auch Wohnbaugenossenschaften Projekte umsetzen sollen. Auch die CSU hält genossenschaftlichen Wohnbau für sinnvoll, sie plädiert dafür, das demnächst freiwerdende Schulgrundstück an der Gluckstraße von einer Genossenschaft entwickeln zu lassen.

Daneben soll auch nach Jahrzehnten wieder vergünstigtes Bauland für Einheimische angeboten werden. Wie ein Einheimischenbauprojekt aussehen soll, dazu haben die Grünen die konkreteste Vorstellung. Keinesfalls solle ein Investor die Häuser bauen, stattdessen seien die Parzellen direkt an Berechtigte zu vergeben.

Umweltschutz/Energiewende

Geht es nach den Programmen aller Fraktionen, wird es in der kommenden Wahlperiode auf jeden Fall Gemeindewerke geben. Diese Forderung stellen alle Vaterstettener Parteien. Auch ein Statement pro Energiewende findet sich in allen Wahlprogrammen. Hier wird auf das im vergangenen Jahr beschlossene Klimaschutzkonzept und die geplante Einstellung eines Klimamanagers verwiesen. Eine Unterstützung der örtlichen Energiegenossenschaft 3E wünschen sich ebenfalls alle Parteien. Die FBU vertritt außerdem die Forderung, dass die Energiewende möglichst ohne Windräder im Landkreis zu schaffen sein muss. Besonders der geplante Windpark im Ebersberger Forst als auch die möglichen Standorte für Windräder nahe Parsdorf werden abgelehnt.

Finanzen

Angesichts der riesigen Aufgaben, vor denen Vaterstetten steht, ist natürlich eine Frage besonders interessant: Wie kann man das alles bezahlen? Die deutlichste Antwort darauf gibt die FDP: gar nicht. Besonders durch die Entscheidung, die Wendelsteinschule zu erhalten, fehlten in den kommenden Jahren bis zu 25 Millionen Euro. Dadurch seien der Bau der Umgehungsstraßen, ein neues Rathaus, der Bürgersaal "kaum denkbar, wenn nicht unmöglich".

Nicht ganz so dramatisch bewerten die übrigen Parteien die Lage, auch wenn niemand bestreitet, dass die Finanzen angespannt sind. CSU, SPD und Grüne verweisen auf die schlechten Gewerbesteuereinnahmen und fordern, die Gemeinde müsse mehr für die Ansiedelung von solventen Gewerbesteuerzahlern tun. Grüne, Freie Wähler, FDP und FBU fordern außerdem eine "nachhaltige Haushaltspolitik". Die Gemeinde dürfe nicht mehr ausgeben, als sie einnehme, Großprojekte sollten nicht auf Kredit entstehen, sondern nur, wenn es eine Gegenfinanzierung gebe. Außerdem regen Freie Wähler und FBU an, die freiwilligen Ausgaben zu überprüfen.

Dass dies nach der Wahl passieren wird, darauf haben sich alle Parteien bereits geeinigt, es gibt sogar schon eine - noch interne - Liste der Kämmerei über die freiwilligen Leistungen. Wo man sparen will - immerhin stehen Ausgaben von insgesamt zehn Millionen Euro im Raum - dazu wagt im Wahlkampf keine Partei eine konkrete Aussage. Zu groß ist das Risiko, es sich mit der einen oder anderen Interessensgruppe zu verscherzen.

Spätestens Mitte des Jahres, wenn die Arbeitsgruppe "Freiwillige Leistungen" startet, dürften die ersten Sparvorschläge bekannt werden. Dass es dann wieder zu dem einen oder anderen Donnerwetter in der Großgemeinde kommt, ist nicht auszuschließen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: