Vaterstetten:Überholte Visionen vom idyllischen Dorf

Der Vaterstettener Bauausschuss diskutiert leidenschaftlich über die Entwicklung der Gemeinde

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Einen Balkon gibt es im Vaterstettener Rathaus zwar nicht - die Balkonrede indes ist dort keine Seltenheit. Jüngstes Beispiel war ein eigentlich unspektakulärer Bauantrag, zumindest nach Auffassung des Bauamtes und der großen Mehrheit im entsprechenden Ausschuss des Gemeinderates. Für das Spektakel sorgten dann aber Manfred Schmidt (FBU/AfD) und Herbert Uhl (FW), die den Antrag nutzten, um eine Grundsatzdebatte über Verdichtung im Allgemeinen und die Frage der Kompetenzen des Bauausschusses im Speziellen vom Zaun zu brechen.

Konkret ging es um den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohnungen an der Karl-Böhm-Straße auf Höhe der Heinrich-Schütz-Straße. Das Grundstück liegt eindeutig innerhalb der Ortschaft, so dass dort grundsätzlich Baurecht besteht, und das Bauvorhaben entspricht dem, was in der Nachbarschaft so oder ähnlich bereits steht.

Für Schmidt und Uhl aber noch lange kein Grund, dem Antrag zuzustimmen. Das Wohnhaus auf dem bislang unbebauten Grundstück in der Karl-Böhm-Straße solle der Ausschuss ablehnen, so die Forderung der beiden Gemeinderäte. Denn dies sei eine unverhältnismäßige Verdichtung, befand Schmidt, daher könne er nicht zustimmen. Uhl nutzte den Bauantrag, um länglich über eines seiner Lieblingsthemen zu dozieren: das angeblich außer Kontrolle geratene Wachstum der Gemeinde. Man müsse "dem Wildwuchs Einhalt gebieten", forderte er, immerhin umfasste alleine die aktuelle Tagesordnung insgesamt 14 neue Wohneinheiten. Bereits heute habe Vaterstetten so viele Einwohner, wie es das vor einigen Jahren verabschiedete Entwicklungsprogramm eigentlich erst für das Jahr 2025 vorsehe. "Man muss nicht immer das maximal Mögliche machen."

Muss man eben schon, befand Dritter Bürgermeister Günter Lenz (SPD), zumindest, was den Bauausschuss angehe. Der habe nämlich nur zu prüfen, ob ein Vorhaben genehmigungsfähig sei, falls ja, "können wir nicht anders und müssen es genehmigen". Daher sei es "unverantwortlich, sich hier hinzustellen und den großen Max zu markieren". Unterstützung kam vom CSU-Fraktionschef Michael Niebler. Er warf Uhl vor, "politische Reden" zu halten, aber dies in völliger Unkenntnis der Rechtslage zu tun: Der Ausschuss habe gar nicht die Kompetenz, sich über das Baugesetzbuch hinwegzusetzen. Und das Baurecht schreibe im aktuellen Fall eben vor, dass ein Gebäude, das sich in die Umgebung einfügt, auch genehmigt werden muss.

Für Schmidt ist es ein Fehler der Vergangenheit, dass eine solche Umgebung überhaupt entstanden sei: "Seit Jahrzehnten verdichten wir von Bauausschusssitzung zu Bauausschusssitzung." Schuld seien vor allem die Fraktionen von CSU und die SPD, welche im Gemeinderat stets für mehr Wachstum eingetreten seien. "Das ist doch hier kein idyllisches Dörfchen, sondern eine Gemeinde mit mehr als 22 000 Einwohnern", entgegnete Bauamtsleiterin Brigitte Littke, "hier werden Reihenhäuser gebaut seit dem Krieg." Wie Lenz und Niebler verwies auch Littke darauf, dass die Gemeinde ans Baurecht gebunden sei und "nicht nach Gutdünken handeln" könne. "Ich platze gleich, ehrlich", ärgerte sich Renate Will (FDP): "Was reden wir denn hier herum, wenn es um Baurecht geht." Außerdem sei besonders das von Uhl und Schmidt so scharf kritisierte Mehrfamilienhaus zu begrüßen: "Es ist doch gut, wenn auch mal Wohnungen gebaut werden", befand Will, schließlich könne oder wolle sich nicht jeder ein Einfamilienhaus leisten. Sie auf jeden Fall wolle "nicht in einer Gemeinde leben, wo irgendwann nur noch alte Witwen in riesigen Häusern wohnen".

Nach nahezu einer Stunde Debatte beantragte schließlich Manfred Vodermair das Ende derselben. Gegen die Stimmen von Schmidt und Uhl wurde das Mehrfamilienhaus schließlich beschlossen, ein ausladender Balkon ist dort übrigens nicht vorgesehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: