Vaterstetten:Sich wohlfühlen oder zum Deppen machen

Vaterstetten: Einträchtige Runde: Benedikt Weber, Thorsten Ebertowski, Georg Schinnagl und Christl Mitterer (von links), diskutieren, wann wer Tracht tragen darf.

Einträchtige Runde: Benedikt Weber, Thorsten Ebertowski, Georg Schinnagl und Christl Mitterer (von links), diskutieren, wann wer Tracht tragen darf.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Gasthof Landlust wird diskutiert, wer wann welche Tracht tragen darf. Dabei ist eigentlich alles ganz einfach: Erlaubt ist, was gefällt

Von Christian Endt, Vaterstetten

"Die einzige Tracht für einen Preißn ist eine Tracht Prügel!" Nein, dieser Satz fiel nicht bei der Diskussionsrunde "Dürfen Preißn unsere Tracht tragen?", zu der die CSU Vaterstetten am Mittwochabend ins Gasthaus Landlust geladen hatte. So radikal äußerte sich nur ein Mann auf Facebook, als dort die Einladung zum "Talk im Wirtshaus" kursierte. Auf der Veranstaltung selbst wurde das provokative Thema etwas differenzierter behandelt.

Dabei saß mit Georg Schinnagl jemand auf dem Podium, der einwandfrei den konservativen Hardliner hätte verkörpern können: Bis zum grünen Hut komplett in Tracht, Vollbart, tiefer Dialekt, vor sich ein Weißbier. Aber so einfach machte es der Vorstand des Bayerischen Inngau-Trachtenverbandes sich und dem Publikum nicht. Zur Fragestellung der Veranstaltung sagte Schinnagl "ganz klar ja. Wenn's jemand gefällt bei uns, soll er das anziehen. So ist das nicht, dass wir jetzt sagen können, wer was anziehen darf."

Somit war sich Schinnagl eigentlich gleich einig mit dem Mann, der ihm als Kontrahent gegenüber gesetzt wurde: Thorsten Ebertowski, angekündigt als "gebürtiger Duisburger und Trachtenliebhaber". Ebertowski ist schon in den Achtzigern mit seinen Eltern nach Baldham gezogen. "Als ich dann mit meinen Spezln auf die Wiesn gegangen bin, war ich der einzige ohne Lederhose", sagt er. Irgendwann habe er sich dann halt eine gekauft, "um dazuzugehören". Seitdem trage er immer wieder Tracht zu passenden Anlässen. Den bayerischen Dialekt dagegen hat er sich ganz bewusst nicht angewöhnt: "Das geht auch nicht, man würde es immer raushören."

Zwischen den beiden sitzt Marianne Hartl, die weibliche Hälfte des Volksmusik-Duos "Marianne und Michael". Hartl in München aufgewachsen, vertreibt ihre Version der bayerischen Kultur aber auch in Hamburg und Berlin - "da kommen alle in Dirndl und Lederhose zum Konzert" - und sollte sich wohl nicht nur in der Sitzordnung zwischen Schinnagl und Ebertowski positionieren. Das erste Dirndl habe sie sich als Jugendliche selbst genäht, erzählt die Sängerin. Dass solche Kleider heute auch an Nicht-Bajuwaren zu sehen sind, stört auch sie nicht: "Wir können stolz sein, dass die Leute sich bundesweit in Tracht schmeißen und gar nicht mehr heim wollen." Hartl findet es auch gut, wenn die Tracht mit der Zeit geht und mit anderen modischen Elementen kombiniert wird: "Ein Janker zusammen mit einer zerrissenen Jeans und Turnschuhen, das schaut doch toll aus." Solange es nicht zu extrem werde: "Keine Neonfarben, wie man das auf der Wiesn teilweise sieht."

Mit dem Oktoberfest kann Trachtler Schinnagl überhaupt nichts anfangen. "Das ist ein Auswuchs. Da kann man nicht mehr hinschauen." Mit Brauchtumspflege haben solche Feste für ihn nichts zu tun. Obwohl er schon als Sechsjähriger zum Trachtenverein gegangen sei, habe er als Jugendlicher auf dem Rosenheimer Herbstfest immer Jeans getragen: "Da wäre mir nicht eingefallen, eine Lederhose anzuziehen."

Wer darf also welche Tracht wann und wo tragen? Darauf hat Ruhrpott-Migrant Ebertowski die richtige Antwort: "Die Frage ist: Fühlst du dich wohl oder machst du dich zum Deppen?" So einfach ist das.

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