Vaterstetten:Nicht greifbar

Krinner und Aigner

Miriam Krinner (rechts) hat in Wirtschaftsministerin Ilse Aigner eine sehr prominente Mentorin mit einem sehr vollen Terminplan.

(Foto: privat)

Beim Mentorenprogramm der Frauen-Union kümmern sich erfahrene Politikerinnen um den Parteinachwuchs. So wie Ilse Aigner um Miriam Krinner aus Baldham - wenn sie zwischendurch kurz Zeit hat

Von Christian Endt

Zehn Meter können sehr weit sein. Zehn Meter ist Miriam Krinner von ihrem Ziel entfernt. In rotbrauner Lederjacke und schwarzem Rock steht sie auf einem Gang in Halle C1 der Münchner Messe. Der Gang trennt die fünf ersten, mit Parteiprominenz besetzen Reihen des CSU-Parteitags vom Rest des Saals ab. Fünf Reihen mit hellen Kunststofftischen und Stühlen, das gibt etwa zehn Meter. Sie trennen die wartende Krinner von Ilse Aigner. Die stellvertretende Ministerpräsidentin hat auf dem Parteitag einen Platz ganz vorne, Reihe eins in der Mitte. Jetzt ist sie auf dem Weg nach hinten. Gleich ist sie bei Krinner - wären dazwischen nicht so viele Leute, die mit Aigner reden wollen. Händeschütteln, umarmen, lächeln, Smalltalk, zwei Schritte nach vorne, der nächste bitte. Jeder der tausend Delegierten hat eine Stimme, und am nächsten Tag sind Vorstandswahlen. Da muss Aigner sich kümmern. Und Miriam Krinner muss warten.

Krinner ist keine Delegierte auf dem Parteitag, sie trägt einen grünen Gästepass. Erst seit einem knappen Jahr ist die 31-Jährige überhaupt Mitglied der CSU. Auf das Münchner Messegelände ist sie an diesem Tag extra gekommen, um Ilse Aigner zu treffen. Aigner ist Krinners Mentorin, sie soll ihr helfen bei einer politischen Karriere. Die Vaterstettener Europaabgeordnete Angelika Niebler hat vor zehn Jahren ein Mentorenprogramm erfunden, um mehr Frauen für die Politik und die CSU zu gewinnen. Junge Frauen bekommen dabei je eine erfahrene Mentorin an die Seite gestellt, zusätzlich organisiert die Frauen-Union für die Teilnehmer Seminare und Gespräche mit weiteren Spitzenpolitikern.

Miriam Krinner sagt, sie hatte eine Parteimitgliedschaft gar nicht geplant. Die CSU sei zwar schon immer ihre politische Heimat. Sie sei gläubige Christin und aktive Kirchgängerin, soziales Engagement sei ihr wichtig, aber auch "den Fortschritt im Blick zu haben". Krinner spricht langsam, wägt ihre Worte genau ab. Wenn sie weiß, was sie sagen will, spricht sie druckreif, ohne ein Äh oder ein Halt. Angeworben wurde Krinner dann von Stefanie Ederer, Geschäftsführerin des CSU-Ortsverbands Vaterstetten. Die Familien kennen sich. Ederer sagt, Krinner sei ihr aufgefallen, weil sie politisch interessiert sei und Visionen gehabt habe. Sie war es auch, die die junge Frau für das Mentorenprogramm empfohlen hat.

In der Parteitagshalle sind sich Krinner und Aigner inzwischen ein gutes Stück näher gekommen. Endlich ist die Ministerin auch ihren letzten Gesprächspartner losgeworden und geht auf Krinner zu. Es fehlen ein paar Meter. Krinner geht ihr entgegen, nimmt die Brille ab, setzt ein Lächeln auf. Jetzt stehen sie fast voreinander, beinahe berühren sich ihre Schultern. Ihre Blicke haben sich noch nicht getroffen, Aigner schaut leicht nach rechts. Im allerletzten Moment dreht sich Aigner zur Seite, begrüßt einen Parteifreund, beginnt ein Gespräch. Das Lächeln verschwindet aus Miriam Krinners Gesicht.

Nach dem Abitur ging Krinner nach England und Italien, machte Sprachkurse, arbeitete in München in Krankenhäusern. Studiert hat sie in Wien und Siena, Kommunikationswissenschaft. Nach dem Bachelor ging sie zurück nach München, arbeitete im bayerischen Umweltministerium. Dann doch nochmal nach Wien, wo sie ihr Interesse für Umwelt und Politik in einem Studiengang vereinen konnte: "Umwelttechnologie und internationale Beziehungen" an der Diplomatischen Akademie. Anschließend machte Krinner Praktika bei der Deutschen Botschaft in Wien, bei der Unicredit-Bank und in der Pharmabranche. Den Umgang mit Spitzenpolitikern lernte die Baldhamerin bei der Münchner Sicherheitskonferenz, wo sie 2015 fürs Protokoll zuständig war. "Da kann es passieren, dass man plötzlich neben Kofi Annan steht", sagt sie und meint damit natürlich, dass es sie war, die plötzlich neben Kofi Annan stand, dem ehemaligen UN-Generalsekretär.

Nach weiteren drei Minuten steht Krinner endlich auch vor Ilse Aigner, offiziell die zweitmächtigste Politikerin Bayerns, auch wenn sie den Machtkampf mit Markus Söder gerade zu verlieren scheint. "Liebe Miriam!", sagt Aigner, redet dann aber gar nicht mit ihr, sondern mit dem dabeistehenden Reporter, sagt ihm, wie intelligent und charmant "die Miriam" sei: "Solche Leute brauchen wir." Das Mentorenprogramm sei eine gute Sache, weil: "Männer tun sich leichter mit dem Netzwerken. Frauen haben einen anderen Lebenslauf, gehen nicht mit dreizehn oder vierzehn in die Junge Union." An dieser Stelle noch ein kurzes Lob an Angelika Niebler. Schon ist Ilse Aigner wieder weg. Ihre Mitarbeiterin wirft Miriam Krinner einen entschuldigenden Blick zu, es würden eben Wahlen anstehen auf dem Parteitag: "Die Oberpfälzer machen uns noch Sorgen."

Miriam Krinner beklagt sich nicht, doch sie wirkt in diesem Moment schon sehr enttäuscht, dass das Gespräch mit ihrer Mentorin gar so kurz war. Ohnehin ist es erst die dritte Begegnung, seit die beiden im Mai ein Tandem wurden. Länger als eine Viertelstunde hatte Aigner bisher keine Zeit. Ob es Krinner nicht lieber wäre, eine nicht ganz so prominente Mentorin zu haben, die dafür aber ein bisschen mehr Zeit hat? Eine einfache Landtagsabgeordnete zum Beispiel? Nein, sagt sie, mit Aigner passe es einfach gut. Ihre Masterarbeit schrieb Krinner über die Energiewende, Aigner ist als Wirtschaftsministerin für deren Umsetzung zuständig. Mit dem Ebersberger Landtagsabgeordneten Thomas Huber habe sie auch so Kontakt, und Landrat Robert Niedergesäß kenne sie schon ganz lange, über die Familie. Das Mentorenprogramm ist für Krinner nur interessant, wenn es sie eine Ebene höher bringt. Dabei sagt sie, und das klingt glaubwürdig, dass sie sich noch gar nicht für oder gegen eine Karriere in der Politik entschieden hat. Gerade verdient sie ganz gutes Geld als Vorstandsassistentin in einer Kommunikationsberatungsfirma. Was danach kommt, weiß oder verrät sie nicht. "Man muss schon Ziele haben", sagt Krinner, "aber man muss auch sehen, was sich ergibt."

So ähnlich hat das auch Julia Obermeier immer gesehen. Wie Miriam Krinner ist sie 31 Jahre alt. Vor zehn Jahren, noch als Politikstudentin, war sie die erste Mentee von Angelika Niebler. Drei Jahre später wurde Obermeier Gemeinderätin von Maitenbeth im Landkreis Mühldorf. Seit 2013 sitzt sie im Bundestag. Auf dem Parteitag gehört sie jetzt zu denen, die alle paar Meter angesprochen werden. Sie sieht müde aus, die Augenringe sind nicht zu übersehen. Wie anstrengend der Politikberuf ist, habe sie schon vor zehn Jahren bei Niebler gesehen. Das Programm habe ihr viel gebracht: "Stoiber und Strauß fand ich immer toll, aber ich brauche eine Frau als Vorbild, mit der ich mich wirklich identifizieren kann." Von Niebler habe sie sich das Auftreten abgeschaut, ihre sachliche, nüchterne Art auch in kritischen Situationen. Nach der Partnerschaft folgte ein Karriereschritt auf den anderen.

Nach dem offiziellen Parteitagsprogramm treffen sich die Teilnehmer zu einer Party; 70 Jahre CSU sind zu feiern. Bei Häppchen, Freibier und Stimmungsmusik wabern Politiker, Journalisten und Wirtschaftsvertreter durcheinander. Bei ihrer kurzen Begegnung im Saal hat sich Ilse Aigner von Miriam Krinner mit einem "bis später" verabschiedet. Das klang zwar ziemlich unverbindlich, Krinner hofft trotzdem auf eine zweite Gelegenheit. Wieder rumstehen, warten, während sich die Ministerin von Parteifreund zu Parteifreund smalltalkt. Dann ist sie da. Zeit hat Aigner aber wieder keine. Zwei Sätze, ein Foto, dann ist sie wieder weg. "Schönen Abend", sagt sie diesmal, das ist unmissverständlich. Miriam Krinner macht sich auf die Suche nach Robert Niedergesäß. Den kennt sie ja schon lange.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: