Vaterstetten:Im Reich des Khans

Vaterstetten: Bestsellerautorin Tanja Kinkel (li.) eröffnet den 1. Vaterstettener Lesemarathon mit ihrem Roman "Schlaf der Vernunft" in der Gemeindebibliothek.

Bestsellerautorin Tanja Kinkel (li.) eröffnet den 1. Vaterstettener Lesemarathon mit ihrem Roman "Schlaf der Vernunft" in der Gemeindebibliothek.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Tanja Kinkel präsentiert beim Vaterstettener Lesemarathon ihren Roman Manduchai. Bei schlechtem Wetter ist die Beteiligung an der Benefizveranstaltung geringer als erwartet

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Wer kennt sich schon aus im Mongolenreich? Wer kann aus heutiger Sicht ermessen, was es bedeutet hat, dieses Reich, das von säbelschwingenden Männern beherrscht wurde, die in Jurten lebten und auf kleinen Pferden in wilden Horden Angst und Schrecken über die Völker brachten. Viel mehr als Dschingis Khan und Marco Polo verbinden wir Europäer kaum mit jener Epoche, in der sich das Mongolenreich zur Zeit seiner größten Ausdehnung im 13. Jahrhundert von der chinesischen Küste bis an die Donau erstreckte.

Vom größten Reich der Weltgeschichte habe sie selbst auch nur wenig Ahnung gehabt, erzählt Tanja Kinkel, Autorin von Bestsellern wie "Die Puppenspieler", "Mondlaub" oder "Die Schatten von La Rochelle", zu Gast beim Lesemarathon in Vaterstetten. Bis sie bei Recherchen auf zwei weibliche Figuren stieß, eine mongolische und eine chinesische Herrscherin, die sie so sehr faszinierten, dass sie beschloss, ihnen einen Roman zu widmen - womit die Recherche erst richtig los ging, und für die Autorin zunächst eine wirkliche Reise in eine völlig fremde Welt.

Kinkel versteht es mit wenigen Worten ihre Zuhörer zu fesseln. Wer sie nicht schon einmal gesehen hat, vermutet in der schlanken, hoch gewachsenen Frau, die da zurückhaltend zwischen Buchreihen wartet und ganz beiläufig Buchrücken studiert, eine weitere Zuhörerin, die an diesem windzerklüfteten Novembersonntagnachmittag den Weg in den AP Buchladen gefunden hat. Doch dann setzt sie sich und beginnt unvermittelt zu erzählen, von ihren Recherchefahrten mit dem Landrover durch die heutige Mongolei. Von der Dolmetscherin, die einst, als die Mongolei noch ein Satellitenstaat der UdSSR war, in der DDR studiert hat. Sie erzählt von der Weite der Landschaft und dem hohen blauen Himmel jener fernen Weltgegend. Bauliche Spuren des vergangenen Riesenreichs fand die Autorin keine, weil die Mongolen als Nomadenvolk nicht gebaut haben. Und sie tun es heute noch nicht. "Außerhalb von Ulan Bator gibt es keine Straßen", erzählt sie, "auch keine Feldwege, oder Pfade, oder was man sich so vorstellt. Nichts". Und doch ist es wahrscheinlich gerade diese Ödnis, die Visionen von Staubwolken rasend galoppierender Pferdehufe und verwegener Reiter mit flatternden Bärten entstehen lässt. Und schon ist Tanja Kinkel mitten drin in ihrer Erzählung. Und die leider nur wenigen Zuhörer beginnen schnell zu begreifen, wie ihre Romane entstehen, wie sie es schafft, ihren meist historischen Figuren so unglaublich nahe zu kommen, dass man mit ihr hinein zu schlüpfen glaubt in die Zeiten, von denen sie erzählt.

In ihrer Vaterstettener Lesung nimmt sie ihr Publikum mit in die Jurte des mongolischen Herrschers Manduul Khan, mitten hinein in eine Szene, in der die 17-jährige Manduchai, die Zweitfrau des Khan und Titelheldin des im vergangenen Jahr erschienen Romans, erstmals beweist, dass sie das Zeug hat, die Führerin des Reitervolks zu werden. Sie verhindert die Folter einer Frau, die des Ehebruchs bezichtigt wird, indem sie, den mongolischen Gesetzen folgend, die Angeklagte und ihren wahrscheinlichen Liebhaber selbst tötet. Eine Szene von ungeheurer Kraft und Unmittelbarkeit, die von der Kompromisslosigkeit zeugt, mit der sich Kinkel auf ihre Geschichten und Figuren einlässt. Manduchai wird die Geschicke des Mongolenreichs in die Hand nehmen und auf ihre größte Rivalin treffen: Wan, die als kaiserliche Konkubine jahrzehntelang den Nachbarn China lenkte. Beide Frauen, erzählt Kinkel, starben übrigens am Ende ihres langen Lebens eines natürlichen Todes.

Tanja Kinkel hat am Vormittag schon einmal gelesen, Szenen aus ihrem neuesten Buch, "Schlaf der Vernunft" -, und vor 30 Zuhörern in der Gemeindebücherei - den 1. Vaterstettener Lesemarathon eröffnet. Das Novemberwetter hatte den Veranstaltern am ersten Adventssonntag nicht in die Karten gespielt, Initiator Lampros Kampouridis war denn auch ein wenig enttäuscht ob der geringen Resonanz. Schließlich war der Lesemarathon mit 25 Autoren eine Benefizveranstaltung für eine griechische Hilfsinitiative. Dabei bot ein Besuch bei der ein oder anderen Lesung im Trockenen deutlich mehr Spaß als der auf dem windgebeutelten Weihnachtsmarkt. Ausschließen will Kampouridis eine Wiederholung der Aktion aber nicht, denn: "Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst", sagt er. Etliche Bücher der Autoren wie Kilian Leypold, Inge Löhning, Andreas Götz, Ulf Schiewe oder Cally Stronk sind noch bis Weihnachten in der Kinderarztpraxis zu erwerben - weiterhin für den guten Zweck.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: