Vaterstetten:Der Flug des Eisvogels

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Der schillernde Oktopus mit Mosaik-Tentakeln von Karin Gerwien (3. von links) zieht die Blicke der Vernissagenbesucher auf sich. (Foto: Christian Endt)

Bis 19. November zeigt Karin Gerwien ihre großartigen Skulpturen im Rathaus Vaterstetten

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Eine ganz eigenartige Kunst ist es, die Karin Gerwien schafft. Aber eine ganz großartige, eine die der Schönheit huldigt, der Schönheit des Vergänglichen, und der Schönheit des Verfalls. Man betritt den Lichthof des Rathauses Vaterstetten, und im gleichen Augenblick schlagen einen ihre Skulpturen in einen geheimnisvollen Bann. Eine gewaltige Schildkröte ist es, die den ersten Blick auf sich zieht. Das Grün ihres Kopfes markieren Mosaiksteinchen, die den Schuppen ihres lebenden Vorbilds täuschend ähnlich sehen. Selbst aus der Nähe noch erliegt der Betrachter dem schönen Schein. Mit ihren schwarzen Augen aus Stein fesselt sie den auf ihr ruhenden Blick.

Klar, dass sie in aller Gelassenheit auf diese Welt schauen kann, ist ihr enormer Panzer doch aus Beton und bietet ihr einen mächtigen Schutz, und doch möchte man meinen, im nächsten Augenblick wendet sie sich ab, um sich trotz der schweren Last auf ihrem Rücken gemächlich in Bewegung zu setzen. Wie zart und schutzlos wirkt dagegen der Paradiesvogel, in schillerndem Blau, Türkis und Orange. Sein Sitzplatz auf einem alten Tonrohr bildet einen starken Kontrast zur lebendigen Farbigkeit seines Gefieders, alt und verwittert dem Anschein nach, markiert es ein Relikt von einem entschwundenen Ort. Gerade eben hat sich der Vogel am Wasser gelabt, so möchte man meinen, das sich im Innern des Pfahls gesammelt hat - blau leuchtendes Glas markiert die Oberfläche, in der sich das Tierchen spiegelt.

Die Münchnerin Karin Gerwien kam vom Grafikdesign zur bildenden Kunst, die Ausdrucksmöglichkeiten, die Mosaiksteine bieten, entdeckte sie während einer längeren Reise. Über eine Reihe von experimentellen Arbeiten fand sie schließlich im Dreidimensionalen ihren Ausdruck, in dem sie Beton und feines Glas, Mosaik, Halbedelsteine und Keramik zu lebendig anmutender Gestalt, zu einer beinahe pulsierenden Körperlichkeit verbindet. Manchmal, wie für ihren orange und rot leuchtenden Schmetterling, verwendet sie Muranoglas und Kupfer, ihrer großen Schleiereule hat sie jede einzelne Feder aus einem Muschelstückchen geformt. Dabei erinnern ihre Skulpturen an die Farbtechnik der Impressionisten, Hunderten, Tausenden winziger Pinselstriche gleich, ergeben Mosaiksteinchen, Glassplitter und Muschelstückchen ein Ganzes.

Dabei spielt Gerwien mit den Gegensätzen: Der Beton, gleichsam als Sinnbild menschengemachter Hinterlassenschaft in dieser Welt, steht in seiner ganzen Schwere in einem Spannungsverhältnis zur filigranen Leichtigkeit der farbigen Gestaltungskomponenten. Nichts in ihrer Darstellung überlässt sie also dem Zufall. Ein rosaroter Oktopus windet sich über eine schräg gestellte rote Blechtonne, als würde diese im tiefen Wasser hängen - Mahnmal der Industrie, abgeladen inmitten der Natur, aber von dieser absorbiert und zu einem Teil ihrer selbst gemacht. Ein grüner Papageienvogel, ein Kea - er wurde zum Publikumsliebling der Mitgliederausstellung des Kunstvereins Ebersberg gewählt -, hat seine Krallen in den Gummi eines Reifens geschlagen und ihn zu seinem Horst erwählt. Jedes Werk ist durchkomponiert. Die Skulptur eines Chamäleons auf einem Felsen, beschlagen mit Muscheln, Keramik und Seeigel-Skeletten, ebenso wie ihre Bilder von Sternzeichen. Auch sie sind aus unterschiedlichsten Materialien gestaltet, stilisierte Erfindungen ihrer Fantasie, wie die Zwillinge, die sie als Kinderdrachen darstellt, teilweise ausdrucksstark und realistisch, wie ihr Löwe. Vor rotem Sand und dem Himmel der Savanne erhebt sich majestätisch sein Kopf, eine Komposition aus Strukturmasse, Sand, Keramik und Papier.

Zwischen Zerbrechlichkeit und Ewigkeit, zwischen Leben und Erinnerung, zwischen Erstarrung und vibrierender Vitalität wechseln die Eindrücke dieser Ausstellung. Und wenn man sich umdreht, hast du nicht gesehen, ist der Eisvogel blitzschnell davon geflogen, nur das Tonrohr ist zurück geblieben, und die Erinnerung an die Spiegelung seines Antlitzes im gläsernen Wasser.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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