Vaterstetten:Beschwerlicher Spaziergang

Auf Einladung des Sozialverbands VdK probieren Landrat Robert Niedergesäß und Vaterstettens Bürgermeister Georg Reitsberger aus, wie es sich für Blinde und Rollstuhlfahrer anfühlen mag, sich in der Vaterstettener Ortsmitte zurechtzufinden

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Vaterstetten: Endstation Aufzug: Als Rollstuhlfahrer käme Bürgermeister Georg Reitsberger nicht in sein Arbeitszimmer, der Lift ist zu klein.

Endstation Aufzug: Als Rollstuhlfahrer käme Bürgermeister Georg Reitsberger nicht in sein Arbeitszimmer, der Lift ist zu klein.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Rückwärts einparken gehört zu den anspruchsvolleren Manövern im Straßenverkehr - und im Vaterstettener Rathaus. Der Hausherr, Bürgermeister Georg Reitsberger, führt dies eindrucksvoll vor. Eingeparkt wird freilich kein Auto sondern ein Rollstuhl, der muss sich passgenau in die enge Fahrstuhlkabine einfügen. Reitsberger hat sich für einen Lokalaugenschein des Sozialverbands VdK als Versuchsperson zur Verfügung gestellt und erkundet seine Wirkungsstätte und das weitere Umfeld vom Rollstuhl aus. Mit dabei ist Landrat Robert Niedergesäß, er wird mit Augenbinde und Blindenstock ausgerüstet. Ziel der Aktion ist es, Barrieren im Alltag aufzuspüren.

Die erste ist schnell gefunden: Zwar schafft es der Bürgermeister mitsamt Rollstuhl in den kleinen Aufzug. Sein Arbeitszimmer im ersten Stock würde er so aber nicht erreichen: der Rollstuhl ist zu lang, die Tür lässt sich nicht schließen. Genau das umgekehrte Problem an der Eingangstür: Ohne Hilfe ist diese vom Rollstuhl aus nicht zu öffnen, und im geöffneten Zustand blockiert die Tür die Rampe an der Außenseite, mühsames Rangieren ist die Folge. "Da braucht man schon Übung", stellt Reitsberger fest, genau wie zum sicheren Benutzen der Rampe. Nicht ganz einfach hat es derweil auch der Landrat, einen Weg aus dem Rathaus zu finden. Er tastet sich mit dem Stock zur Tür und die Treppen hinunter - immer Arm in Arm mit Irma Straubinger vom VdK Vaterstetten.

Vaterstetten: Robert Niedergesäß versucht sich blind zurecht zu finden, Georg Reitsberger testet, wie gut man mit dem Rollstuhl vorankommt.

Robert Niedergesäß versucht sich blind zurecht zu finden, Georg Reitsberger testet, wie gut man mit dem Rollstuhl vorankommt.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Oft seien es eigentlich nur Kleinigkeiten, die Menschen mit Behinderungen das Leben schwer machen, sagt VdK-Bezirksgeschäftsführer Robert Otto, aber nicht nur diesen. Auch wer mit Kinderwagen oder sperrigem Gepäck unterwegs ist, hat mit Barrieren zu kämpfen: "Den Kinderwagen trägt man dann halt - ein Rollstuhlfahrer hat diese Möglichkeit nicht." Otto schätzt, dass jeder Dritte von einer barrierefreien Umgebung profitieren würde, "für jeden Zehnten ist es unerlässlich".

Davon können sich Landrat und Bürgermeister anschließend bei einem kleinen Rundgang überzeugen. Es geht die Wendelsteinstraße entlang - wieder sind es Kleinigkeiten, die die größten Hindernisse darstellen. Spalten im Boden, in denen sich der Blindenstock verhakt, Rinnen zwischen Bordstein und Straße, wo Rollstühle und Rollatoren stecken bleiben - und natürlich immer wieder Treppen und zu enge Türen.

Dass man nicht nur Straßen und Gebäude barrierefrei machen kann, zeigt Hermann Vodermair. Seit einem Flugzeugabsturz vor sechs Jahren ist er auf einen Rollstuhl angewiesen, was ihn aber nicht daran hindert, mobil zu sein. Auf Einladung des VdK präsentiert er seinen umgebauten Kleinbus. Ein vollautomatischer Lift ermöglicht das Ein- und Aussteigen, die Schiebetür ist ebenfalls per Fernbedienung zu öffnen und zu schließen. Auch das Fahren sei "eigentlich ganz einfach", statt Pedalen gibt es neben dem Lenkrad einen zusätzlichen Hebel für Gas und Bremse. Für die Gemeinde wäre ein solches Fahrzeug sicher auch ein Gewinn, merkt VdK-Ortsvorsitzende Brigitte Hankofer an.

Vaterstetten: Auch mit Rollstuhl mobil ist Hermann Vodermair, er fährt einen speziell umgebauten Kleinbus.

Auch mit Rollstuhl mobil ist Hermann Vodermair, er fährt einen speziell umgebauten Kleinbus.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Mittlerweile haben Bürgermeister und Landrat die Sparkasse erreicht. Hier gibt es viel Lob für die behindertengerechten Toiletten und die auch im Sitzen zu bedienenden Geldautomaten - und einen Wechsel. Nun nimmt Niedergesäß im Rollstuhl Platz und Reitsberger bekommt die Augenbinde verpasst. "Ohne Führung würde das nicht gehen", stellt er sofort fest, besonders an Bäumen und Laternenmasten ist der starke Arm von Irma Straubinger sehr nötig. Niedergesäß müht sich mittlerweile mit der steilen Rampe vor der Raiffeisenbank ab: "Das geht ganz schön in die Arme, meine Sporteinheit für heute habe ich schon absolviert." In der Bank selbst kommt man mit dem Rollstuhl zwar noch zurecht - wer aber den alten Rat beherzigen will, sich nach dem Anfassen von Geld die Hände zu waschen, hat Pech gehabt: Die Toiletten sind im Keller. Das sei ein häufiges Problem, sagt Hankofer, auch viele Gaststätten hätten ihre Toiletten im Untergeschoss, oftmals ohne Lift.

Vaterstetten: Türen sind für Rollstuhlfahrer schwierig zu bewältigen, stellt Robert Niedergesäß fest.

Türen sind für Rollstuhlfahrer schwierig zu bewältigen, stellt Robert Niedergesäß fest.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

"Ich denke, wir haben etwas dazugelernt", sagt Reitsberger, als er wieder wohlbehalten am Rathaus angekommen ist: "Man muss etwas machen bei der Barrierefreiheit." Ein Ergebnis, mit dem Günter Pritzl, zweiter Vorsitzender des VdK Vaterstetten, durchaus zufrieden ist: "Es ist sehr wichtig, dass man die Entscheidungsträger erreicht." Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft sei Barrierefreiheit immer notwendiger. Im Landkreis versuche man dies unter anderem mit der "Wheel-Map" zu erreichen, sagt Niedergesäß, diese soll aufzeigen, welche Orte barrierefrei sind.

Das Vaterstettener Rathaus wird sich darauf allerdings nicht so bald finden - zumindest nicht das aktuelle. Nach Beschlusslage des Gemeinderates soll nämlich ein neuer Verwaltungsbau her. Eine große Chance für die Barrierefreiheit, findet Pritzl. Schließlich sei eine Nachrüstung immer komplizierter und sehr viel teurer, als es gleich barrierefrei zu bauen. Vielleicht wird ja dann beim nächsten Vaterstettener Rathaus das Einparken in den Lift kein Problem mehr sein.

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