Varieté-Reihe im Alten Kino:Wenn Santa Claus Sombrero trägt

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Schauspielerin Andrea Kilian, Geräuschemacher Max Bauer (Mitte) und Kabarettist Alex Liegl am Samstagabend im Alten Kino in Ebersberg. (Foto: Christian Endt)

In Ebersberg feiert ein weihnachtskritisches Stück Premiere. Ein moderner Mix aus Kabarett, Tanz, Musik und Gesang

Von Victor Sattler, Ebersberg

Der grünpelzige "Grinch" hat mit seiner Weihnachts-Verweigerung eine ganz eigene Tradition angestoßen, die heute in den USA festes Kultur- und Kommerzgut ist. So ähnlich funktionierte Tradition auch in der zweiten Ausgabe der Ebersberger Varieté-Reihe "Salon Altes Kino": Die Schauspielerin Andrea Kilian, als fieser Grinch inmitten dreier Herren, trieb der staden Zeit mit ihren hispanischen Tänzen und Balladen alles stade aus, spannte trotzig einen gelben Sonnenschirm und setzte dem Santa Claus einen Sombrero auf.

Musiker Jeremy Teigan und Kabarettist Alex Liegl waren schon in Strandhemden unterwegs, ihr Kollege, der Geräuschemacher Max Bauer, strafte derweil jede Erwähnung des "bösen W-Worts" Weihnachten mit einem ohrenbetäubenden Bass ab. Und trotz all dieser zynischen Grinchelei und Weihnachts-Verweigerei haben die vier Künstler den Ebersbergern bei der Premiere am Samstagabend doch nur einen weiteren guten Grund geliefert, sich alle Jahre wieder im warmen Kino besinnlich mit den Liebsten zu versammeln.

Denn während an Weihnachten kein gutes Lametta-Haar gelassen wurde, bemühten sich die Salonlöwen am Samstagabend darum, Wiedererkennungswert und Bräuche für ihre eigene Heilige Nacht zu schaffen. Literarische und musikalische Salons haben in Deutschland und Frankreich zwar eine lange Tradition, aber dieser eine steht noch ganz am Anfang und braucht eine Agenda. Deshalb galt es wieder, genau wie bei der ersten Show im April, dem Veranstaltungs-Monat als solchem Erzählungen, Kabarettstücke und Gedanken zu widmen, eine "Monatsschau": Der Dezember, ehemals zehnter nun zwölfter Kalendermonat, war in der Geschichte schon als "allerhöchster Monat", Heilmond und Schlachtmonat bekannt, ist zu erfahren.

Die Salonnière Andrea Kilian liest das alles aus ihrem Märchenbüchlein vor, das Publikum ist gebannt, weil sie so viel Körpergefühl besitzt und eine hypnotisierende Vorleserin ist. Auch in ihrer Rolle als Ebersberger Magd Genoveva, die im April noch Jagd auf eine weiße Wildsau machen ließ, kam wieder in Form einer skurrilen Tiergeschichte vor: Diesmal bat sie das blähend singende, dümmliche Dromedar (Max Bauer) der Heiligen drei Könige zu ihrer Tür herein, schlug dem dazugehörigen König aber dieselbe vor der Nase zu. Das fällt etwas aus der Reihe - aber wer das passende Stück dazu aus der April-Ausgabe noch im Gedächtnis hat, erkennt ein Muster, das hier nun vielleicht weitergesponnen wird.

Weihnachten ist hier, wenn Maria einen Engel erfindet, um ihre Liebesaffäre vor Josef zu vertuschen (der Witz hat einen Bart), das ist, wenn man der Religion einen auf den Deckel gibt, wenn Andrea Kilian von den kürzer werdenden Tagen ihre Winterdepression bekommt und wenn Jeremy Teigan wieder Englisch zu sprechen beginnt und sich nach Australien, wo der Musiker aufwuchs, zurückwünscht. Naja.

Weihnachten ist aber auch, wenn es die Ebersberger beim Lieder-Ratequiz förmlich von den Stühlen reißt. Oder wenn das Alte Kino anlässlich der letzten Veranstaltung im Jubiläumsjahr noch Gratis-Nachtisch austeilt und man an den Tischen vernehmen kann, wie familiär und behaglich es hier sei. "Wir haben das Tannengrün doch mit der Muttermilch aufgesogen!", echauffiert sich Alex Liegl herrlich, als einziger treuer Verfechter des Advents.

Die Diagnose, die von den Künstlern angestrebt wird, könnte lauten: Weihnachts-Blindheit. Die menschliche Unfähigkeit, ein Fest auszurotten, an dessen Kommerz so vieles der Vernunft widerstrebt. Vielleicht eben, weil es auch so schön kuschelig sein kann. Dass der Mensch ein duseliges Gefühlswesen ist, erkennen spätestens die Außerirdischen, die am Ende noch eine Filmrolle mit einer klassischen Weihnachtsszene aus einem Mickey-Maus-Film finden. Die Leinwand wird im Alten Kino heruntergefahren. Die Salon-Künstler stellen sich auf und leihen den Entenhausener Charakteren ihre Stimmen aus. In dieser goldenen Kindheits-Szene haben sie ihr Bethlehem gefunden.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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