Mode:"Ich muss gut aufpassen, mit wem ich zusammenarbeite"

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"Ich merke mittlerweile meistens schon am Telefon, ob es jemand ernst meint", sagt Ricarda Steinhäußer alias Ricci Tauscher. (Foto: Christian Endt)

Ricarda Steinhäußer trägt bei Foto-Shootings Dirndl, Bikini und Sport-Outfit aus Latex - und muss immer wieder pikante Momente überstehen.

Porträt von Korbinian Eisenberger

Der Latexanzug ist eng und hat nur eine Öffnung. Beim Hineinschlüpfen muss sie mit den Beinen durch den Kragen steigen. Damit das funktioniert, reibt sie sich vorher immer mit einem Silikonöl ein, sonst kommt man nicht rein. Alles andere als einfach, dieser Einstieg, in den Latexanzug, und in die Branche. "Wenn man mal drin ist fühlt es sich gut an", sagt sie. "Meistens zumindest." Manchmal wird es auch schmierig, dann muss man sich irgendwie herauswinden. Und dabei möglichst nicht verbiegen lassen.

Ihren echten Namen kennen die wenigsten. Und doch ist Ricarda Steinhäußer in der Mode- und Werbebranche ein bekanntes Gesicht. Im Internet findet man sie unter dem Pseudonym "Ricci Tauscher", dort spaziert sie in Latexkluft durch den Ebersberger Forst. Steinhäußer hat Clips auf Youtube gestellt, von denen einige drei Millionen mal geklickt wurden, so oft wie manches Helene-Fischer-Video. Anfang Januar hat sie einen Kalender herausgebracht, wo sie im Latex-Businessdress oder im Latex-Wiesndirndl zu sehen ist. Die Outfits haben ihrer Model-Karriere einen Schub gegeben. Das hat aber auch seinen Preis.

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Von Serafina Ferizaj

Ein Winternachmittag am Egglburger See in Ebersberg, Fotoshooting im Schilf. Steinhäußer, offene Haare, Lidschatten, trägt einen schwarzen Einteiler, Latex, was auch sonst. Ein Spaziergänger bleibt stehen, die Frau in Schwarz darf seinen Hund streicheln, ein Foto beim Knuddeln, dann gehts ins Schilf. Fotos im Gehen, hoch und quer, da fährt ein Polizeiauto vorbei, bremst runter, wahrscheinlich weil sich hier Leute im Naturschutzgebiet abseits der Wege rumtreiben. Die Männer im Auto könnten die Fotocrew wegjagen. Als Steinhäußer hinter einem Baum hervorkommt, winken die Polizisten und fahren weiter.

Latexgewand ist ein Hingucker, allein schon, weil es ungewöhnlich ist. Wer trägt schon eine 300 Euro teure Hose aus vulkanisiertem Kautschukbaum (daraus wird Latex hergestellt)? Im Internet ist der kostspielige Markt auf Kunden im Erotik-Bereich ausgerichtet, Dominas, Hostessen, Privatfetisch - Menschen, die im Sex-Gewerbe tätig sind oder dort Geld ausgeben.

Steinhäußer sagt, dass sie Latex außerhalb der Erotik-Szene salonfähig machen will. Im Kalender trägt sie Latex-Dirndl, -Bikini oder -Sportoutfit. In ihren Youtube-Clips ist sie beim Skifahren im Sudelfeld zu sehen, oder im Bikini am Strand von Hawaii. Mitunter trägt sie dann aber auch Kleidung, die im Alltag bei einigen sicher schwierig ankommen würde, als zu erotisch zum Beispiel: So läuft sie im pinken Latex-Kostüm durch Berlin, oder posiert in beigem Anzug und Stöckelschuhen im Schnee - immer hauteng und maßgeschneidert, sodass wenig Raum für Fantasie bleibt. Sie sagt, dass ihr die Blicke gefallen, auch die der Männer - im Job und in ihrer Freizeit. "Für mich fühlt sich das an wie eine zweite Haut", sagt sie.

Die Gefahr der sexuellen Belästigung ist da

Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben, hier liegt die besonderere Herausforderung der Szene, die Ricarda Steinhäußer sich ausgesucht hat. "Ich muss gut aufpassen, mit wem ich zusammenarbeite", sagt sie. Eben, weil es hier auch um eines der Themen dieser Zeit geht, um sexuelle Belästigung. Eine Debatte, die spätestens mit den Vorwürfen an Star-Regisseur Dieter Wedel auch in Deutschland ins Rollen kam. Eine Debatte, die viele für überfällig halten, und manche für übertrieben. #MeToo? Sicher hätte Steinhäußer die Voraussetzungen in den Augen vieler Menschen erfüllt.

Zum Aufwärmen nach dem Fototermin geht es ins Café Zimtblüte in Ebersberg, Steinhäußer hat sich jetzt einen Pulli übergestreift, im Sitzen sieht man nichts vom Latexgewand. Sie erzählt von der Branche, dass sie sich jetzt auch als Sängerin versucht, mit einer Mischung aus Deep Dance und Schlager. Ihre erste Single "Komm wir halten heut' die Welt an" kommt am Freitag, 16. Februar, in die Läden. Der Video-Dreh zum Song lief gut, wie so oft. Aber sie hatte eben auch haarsträubenden Begegnungen. Steinhäußer verzichtet auf Details, lässt aber durchklingen, wie manche in der Szene drauf sind. "Bei dir könnte man schon mal schwach werden", sei einer der harmlosen Sprüche, die dann so fallen, als wäre es das Normalste auf der Welt.

Am Anfang war das schwierig, sagt Steinhäußer. Überhaupt war das alles nicht so einfach. Nach ihrem Abitur am Vaterstettener Humboldt-Gymnasium ging sie für drei Jahre auf die Ballettschule in München. Dort machte sie eine Tanzausbildung, ehe sie merkte, dass ihr dieses Pflaster zu hart ist, "bei teilweise mehreren Hundert Bewerbern für einen Job". Also stellte sie sich breiter auf. "Moderatorin, Redakteurin, Tänzerin, Model", steht nun auf ihrer Ricci-Tauscher-Postkarte. Es läuft gut, die Aufträge werden nicht weniger, sagt sie. Aber auch hier gibt es Risiken.

Ein gutes Gefühl für andere Menschen

Will jemand ein seriöses Shooting? Oder geht es um etwas ganz anderes? Wie so oft hilft hier die Erfahrung. "Ich merke mittlerweile meistens schon am Telefon, ob es jemand ernst meint", sagt sie. Wer einen im zweiten Satz auf ein Glas Wein einlädt, dem sind die Fotos meist gar nicht so wichtig. Dennoch: In den Netzwerken hat sie keine #MeToo-Postings gemacht, nicht auf Facebook, nicht auf Instagram, nicht auf Youtube. "Man muss aufpassen, dass nicht übertrieben wird", sagt sie. Dass nicht in jeden Satz etwas Sexistisches reininterpretiert wird. Weil man damit auch unschuldigen Menschen schaden könnte.

Der Kaffee ist leer, das nächste Foto-Shooting steht an. Steinhäußer erhebt sich, ein Händedruck, dann geht sie durch die Stuhlreihen zum Ausgang. Der Latexanzug ist jetzt wieder deutlich zu sehen, die Blicke der Gäste folgen ihr bis zur Tür. Wahrscheinlich ahnt Steinhäußer, dass sich die Leute gerade fragen, ob das jetzt fesch ist oder geschmacklos. Ist das jetzt mutig oder unanständig? Die Tür geht zu, Steinhäußer hat sich nicht umgedreht. Vielleicht ist es nicht so wichtig, wer was von einem denkt. Wenn man sich wohlfühlt, in seiner eigenen oder in seiner zweiten Haut.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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