Umwelt:Das Elend am Wegesrand

Ruth Braunmüller, Gesundheitspädagogin und Bildungswissenschaftlerin aus Pliening, warnt vor der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen: Monokulturen, Überdüngung und Unkrautgifte schadeten Flora und Fauna

Von Alexandra Leuthner

Jetzt fliegen sie wieder. Kaum verlocken die ersten Sonnenstrahlen dazu, die Türen zu öffnen und den Schritt ins Freie zu wagen, sind auch die Insekten unterwegs. Fast ist es, als hätten sie gar keine Winterpause gehabt. Manchen stört es ja, das Gebrumm - ihm mag es ein Trost sein, dass immer weniger davon zu hören ist. Mit dem Verschwinden der Wiesenpflanzen von Feld- und Wegrändern, verschwinden auch die Insekten. In der Folge wird es dann wohl still in den Gärten, weil auch die Singvögel keine Nahrung mehr finden. So sind, wie die Grünen im Bundestag unlängst im Rahmen einer Anfrage erfahren haben, in den vergangenen 23 Jahren 35 Prozent aller Feldlerchen in Deutschland verschwunden.

Biodiversität, Blumenwiese in Poing

Was gut ist für die Biodiversität - und was weniger - lässt sich leicht erkennen wie auf dieser Poinger Blumenwiese.

(Foto: privat)

Ruth Braunmüller, Gesundheitspädagogin und Bildungswissenschaftlerin aus Pliening, beschäftigt sich bereits seit geraumer Zeit mit dem Thema Biodiversität und gehört zu denen, die Alarm schlagen. "44 Prozent aller auf Grünland vorkommenden Arten sind gefährdet oder bereits verschollen." Das habe das Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz 2014 mitgeteilt.

Für eine Präsentation, die Braunmüller für den Bund Naturschutz erarbeitet hat, machte sie sich auf die Suche nach den Resten jener Wiesenpflanzen, die mit ihrem Nektar Bienen aber auch Hummeln, Wespen oder Hornissen als Nahrung dienen, und die bis vor wenigen Jahrzehnten zum natürlichen Erscheinungsbild selbst großer Wiesen gehörten. "Da konnte man einfach durchgehen und hatte im Nu einen Blumenstrauß beisammen. Wo sieht man das heute noch?" - Hin und wieder an einem Wegesrand, hat Braunmüller festgestellt, als sie sich im vergangenen Herbst mit ihrer Kamera auf die Suche machte. Viel häufiger jedoch hat sie bei ihren Expeditionen jene Feldränder entdeckt, auf denen nichts als grüne Wiese wuchs, wenn überhaupt. Entlang mancher Ackerränder im Landkreisnorden gab es schon im Sommer nicht einmal mehr Gras, da konnte man nur noch über braune Erdklumpen laufen. Ein eindrucksvoll erschreckendes Foto konnte Braunmüller an der Gewerbestraße zwischen Landsham und Grub schießen: Auf einem knappen Kilometer Länge sieht man nichts als Gras, sowohl entlang einer Wiese als auch am Rand eines umgegrabenen Ackers, dessen nackte braune Erde über die folgenden Monate hinweg keinerlei Nahrung für Insekten bieten würde.

Umwelt: Die Fläche vor dem Anzinger Gewerbegebiet hat nur wenig Biodiversität.

Die Fläche vor dem Anzinger Gewerbegebiet hat nur wenig Biodiversität.

(Foto: Christian Endt)

Doch gerade zu dieser Zeit, im Herbst, sei es für Bienen wichtig, Propolis herzustellen, erklärt Braunmüller, das spezielle Bienenwachs, das die Insekten benutzen, um Spalten und Ritzen in ihrem Bau abzudichten. Wegen seiner antibiotischen und antimykotischen Wirkung sorgt das Dichtungsmittel auch dafür, dass in den Stock eingeschleppte Krankheitserreger vernichtet werden. Die notwendigen Stoffe dafür finden die Insekten als Harz an Knospen und Bäumen. Wenn man nun wisse, dass sich eine Biene maximal 2,65 Kilometer weit von ihrem Stock entfernt, dann könne man sich vorstellen, wie wichtig es ist, dass sie ihre Nahrungsquellen in nächster Nähe finden kann. Wenn sie erst kilometerweit über restlos abgeerntete Felder fliegen müsse, so könne sie weder Honig, noch das notwendige Bienenharz herstellen, Krankheiten hätten im Bienenstock dann freie Bahn, erklärt Braunmüller.

Umwelt: Für den Naturschutz unterwegs: Ruth Braunmüller.

Für den Naturschutz unterwegs: Ruth Braunmüller.

(Foto: Christian Endt)

Dass Wegränder aber auch Mitte Oktober ganz anders aussehen können, hat sie bei ihrer Suche ebenfalls dokumentiert. So hat sie an einem Straßenrand im Parsdorfer Gewerbegebiet zu gleicher Zeit wild wachsenden "Weichen Pippau" entdeckt, eine besonders gefährdete Feldblumenart, die auf den ersten Blick mit Löwenzahn zu verwechseln ist. In Grub hat sie gelb blühende Nachtkerzen fotografiert, an anderer Stelle, in Neufarn und auch in Landsham blühenden Wiesensalbei, Leberblümchen und wilde Malve. Interessanterweise böten innerdörfliche Flächen inzwischen oftmals mehr und vielfältigere Flora als die Felder außen herum. Viele Wildblüher vertragen keinen überdüngten Boden. "Da sieht man dann nur noch Löwenzahn, der mag das." Aber selbst Nährpflanzen nähmen auf Dauer Schaden, erklärt Braunmüller. Untersuchungen hätten gezeigt, dass Weizen in stark gedüngten Böden nach zehn Jahren kaum mehr Wurzeln entwickeln könne. Und was die Düngung nicht schaffe, das erledigten die Unkrautvernichtungsmittel. "Es fehlen die Mikrolebewesen, die den Boden fruchtbar machen. Normalerweise leben in 40 Kubikzentimetern Erde so viele Kleinstlebewesen wie Menschen auf der ganzen Welt." Wo sie durch Monokulturen immer mehr ausgedünnt und durch Unkrautvernichtungsmittel geschädigt werden, verschwinden die Mikroorganismen. "Wir zerstören die Fruchtbarkeit des Bodens auf Jahrzehnte."

Die Folgen, warnen Biologen und Umweltschützer wie Ruth Braunmüller immer wieder, sind vielfältig. "Mal abgesehen davon, dass es schön aussieht, wenn es blüht bis in den Herbst hinein, sind das unsere Lebensgrundlagen." Ganz unmittelbar zu sehen sei das am Einfluss der Bienen. Wenn die Bienen nicht mehr fliegen, dann bestäuben sie auch keine Obstbäume. Dann wachsen keine Äpfel." Der Appell geht also zum einen an die Landwirte, die durch eine abwechslungsreiche Fruchtfolge dafür sorgen können, die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten, wie es in der ökologischen Landwirtschaft längst gehandhabt wird. Durch Unterpflanzen bestimmter Kräuter oder Gräser könne zum Beispiel das Auswaschen des Bodens unter Maispflanzen verhindert werden. Wiesen- und Feldränder, an denen Wiesenblumen, etwa Margeriten oder Schafgarbe wachsen, könnten bis weit in den Herbst hinein als Nahrungsgrund dienen, wenn sie über den ersten Frost hinaus nicht gemäht werden.

Aber auch Gartenbesitzer können durch den Verzicht auf Unkrautvernichtungsmittel dazu beitragen, die Artenvielfalt zu erhalten. 13 Millionen Privatgärten gebe es in der Bundesrepublik, erklärt Braunmüller, das entspreche der Fläche sämtlicher Naturschutzgebiete in Deutschland. "Das ist zwar kein Vergleich zu den landwirtschaftlichen Flächen, aber sie können das Netz bilden, das die Tiere brauchen, um sich weiterbewegen zu können."

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