Theater:Ping-Pong mit Pulver

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Tischtennisbälle: Teil des neuen Stücks im Moosacher Meta-Theater. (Foto: Christian Endt)

In Moosach wird ein neues Stück über Geld aufgeführt

Von Friedhelm Buchenhorst, Moosach

Am Anfang bekommt jeder Besucher fünf Tischtennisbälle. Er sucht sich einen Platz, aber wo ist die Bühne? Es gibt keine Bühne, oder besser, alle sitzen mitten auf oder in der Bühne, eingeklemmt zwischen zwei Beamer-Leinwänden, auf denen in computeranimatorischer Wandlung der Ausdruck "Cash Burn Circus" zu lesen ist, frei übersetzt also etwa "Der Kreislauf der Geldverbrennung".

"Cash Burn Circus" heißt das neueste Stück der Berliner Theaterregisseurin Heike Scharpff. Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr im Schatten der Frankfurter Bankenhochhäuser und weiterer Aufführungen wurde das Stück am Samstag im Moosacher Meta-Theater vor Publikum gezeigt. Als Akteurinnen beeindruckten Nicole Horny und Nicole Kleine.

Die Schauspielerinnen setzen in energischer Wechselrede ein, mit einem euphorischen Schwall von Verheißungen. Traumhafte Effizienzsteigerungen und hohe Gewinne werden versprochen, um geradezu blindes Vertrauen wird geworben. Wir stehen am Anfang der 90er Jahre, das Internet wird zur öffentlichen Nutzung freigegeben, die neue Vernetzung wird gefeiert wie ein globalkultureller Lottogewinn, die Köpfe laufen heiß. Die Umwandlung der Welt in eine komplexe Datentopografie ermöglicht eine völlig neue Sicht auf das wirtschaftliche Geschehen. Das ist die "New Economy". Auf den Leinwänden links und rechts flattern in irritierender Abfolge allerlei Muster und Meldungen auf. Wie ein Gewitter schlagen die Ereignisse auf den Besucher ein. Aufbruch jetzt! Wohin? Ist doch egal, Hauptsache Aufbruch! Hauptsache Investieren! "Arbeit + Spaß = Geld" ist die Formel der New Economy.

Eine der Protagonistinnen hat Philosophie studiert und ihre Abschlussarbeit über "Haben und Sein" von Erich Fromm geschrieben. Braucht es aber nicht zwingend, jeder kann mitmachen bei dem verrückten Monopoly, keiner ist ausgeschlossen. Wir alle sind "Community". Man braucht keine Ahnung zu haben, nur netzaffin flinke Finger vor dem Bildschirm.

Jetzt kommen die Tischtennisbälle ins Spiel. Jeder ist 10 000 Euro wert. Jetzt dürfen, ja müssen die Gäste investieren, denn die Gelegenheit ist einmalig. Die Bälle landen in einer hohen zylindrischen Glasvase auf dem Tisch. "Das ist die verspiegelte Hochhausfassade einer Frankfurter Großbank", sagt einer der Gäste. Später werden die Vasen in eine noch größere Vase in der Ecke jenseits des Geschehens gefüllt, das Geld ist weg, wahrscheinlich ist es längst in Panama oder sogar im Paradies.

Aber weiter geht es mit dem höchst innovativen Hoffnungs- und Versprechungsgewitter. Die Börsenkurse von Start-up-Unternehmen steigen in Schwindel erregende Höhen... aber plötzlich, um die Jahrtausendwende herum, ist der Hype vorbei. Das luftige Kartenhaus bricht zusammen, der Kater ist groß. Die "Dot.com-Blase" ist geplatzt, nur wenige überleben das große Massensterben.

Aber wo geht die Reise jetzt hin? Führt uns die Internet-Kultur in eine gerechtere Welt? Oder vielleicht eher in eine vom Taktstock des "Sillycom-Valley" geführte monopolistische Global-Player-Diktatur? Die Frage bleibt offen. Und wer soll es richten? Die souveränen demokratischen Staaten, konstituiert von Menschen, die mit der Muttermilch der New Economy großgezogen worden sind? Auch diese Frage bleibt offen.

In der ansprechenden Veranstaltung wird moderne Theaterpädagogik geboten. Kein Frontalunterricht, sondern Interaktion, Kommunikation. Es gibt Gruppenarbeitsphasen mit kleinen Vorträgen an der Flipchart wie in einer Fortbildungsveranstaltung. Der Besucher bringt sich ein, sitzt er doch ohnehin auch in der sogenannten Realität mitten im Geschehen.

Die Veranstaltung klingt aus mit einem Tischtennis-Rundlauf, also quasi mit einem Investitions-Ping-Pong. Mit viel Freude und Gelächter fliegen die sündhaft teuren Bälle auf möglichen und unmöglichen Bahnen durch die Luft, viele fliegen daneben und landen zwischen den Stühlen im Nirgendwo.

© SZ vom 04.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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