Theater:Meister Oida und der Sinn des Lebens

Yoshi Oida im Meta Theater

Zwischen Meditation und philosophischem Gespräch: Yoshi Oida und Dieter Trüstedt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Körperbeherrschung und Darstellungskunst auf höchstem Niveau: "Interrogations" im Meta-Theater

Von Julian Carlos Betz, Moosach

Die Ränge sind gut gefüllt, auf den ersten Blick ist kein Platz mehr frei in der kleinen Halle des Moosacher Meta-Theaters. Unten, am Fuße der ansteigenden Sitzreihen, liegen ein riesiger Teppich sowie mehrere asiatische Instrumente parat. Mit Beginn der Vorstellung begeben sich Yoshi Oida und Dieter Trüstedt leise und konzentriert auf den Teppich, um die zwischen Meditation und philosophischem Gespräch pendelnde Vorstellung zu beginnen.

Oida ist barfuß, trägt offen ein leichtes Baumwolljackett und eine Leinenhose in hellen Tönen, strahlt von Beginn an die Ruhe der Selbstbeherrschung aus. Dieter Trüstedt ist ebenfalls sehr beherrscht und bedient seine Rolle als Musiker, stellenweise auch als Assistent der Szenerie mit zurückhaltendem Ernst. Die Handlung des Stücks lässt sich nur mit den Worten Körper, Klang und Stille beschreiben, denn immer wieder sind es Oidas sichtlich angespannte Schultern, seine Brust und das auf dem Gesicht sich abzeichnende Bemühen um Ausdruck dessen, was Trüstedt mal bewusst konfus, mal zart und verschwindend, aus seinen Instrumenten hervorlockt. Schon früh beginnt Oida dem Publikum Fragen zu stellen. Wer kommt zu wem, der Klang zum Ohr oder das Ohr zum Klang? Hierauf eine Antwort zu geben erscheint im Rahmen des Stücks tatsächlich erst einmal schwierig, ja geradezu unsinnig. Denn die Verbindung von Raum und darin agierenden Körpern lässt dem Zuschauer diese Frage offen und nicht beantwortbar erscheinen. Somit vergeht eine Weile, mehrere Fragen verstreichen ohne Reaktion, bis schließlich Oida direkt auf Einzelne zugeht und sie in ein Meister-Schüler-Gespräch verwickelt: "Was ist der Sinn des Lebens?", fragt Oida, alias "master" den "student". Die Antwort: ein gehobener Zeigefinger. Später dann, bei einem anderen Zuschauer: zwei Zeigefinger. Es gibt durchaus einiges zu lachen in diesem Stück, das sich gekonnt zwischen Unterhaltung und für den japanischen Kulturkreis typischen, schlicht-tiefsinnigen Dialogen bewegt.

Oida, der selbst im traditionellen Masken-Theater Japans, dem Nō-Theater ausgebildet wurde, improvisiert dabei gelassen und humorvoll auf die teils überraschenden Antworten aus dem Publikum, das sich im Laufe des Stücks immer offener und aktiver den eindringlichen Fragen des Meisters stellt. Doch das Prinzip der Antwort, wie man es aus dem Alltag kennt, wird hier dekonstruiert; Gleichnisse, Anekdoten von Schüler und Meister ersetzen das einseitige Verhältnis von Frage und Antwort, verlagern die Übertragung von Erfahrung und Wissen vielmehr auf die Ebene der sinnlichen Wahrnehmung.

Umso wichtiger wirken auch die musikalischen, klanglichen Elemente. Der Körper Oidas in seinen Krümmungen, Zuckungen, Anspannungen, wie er sich durch den Raum bewegt, unbeirrt und doch aufgehalten von unsichtbaren Widerständen, als würde ihm die Freiheit fehlen, sich zu bewegen. Auch in der Einführung von Axel Tangerding, der das seit 30 Jahren bestehende Theater leitet, ist die Rede von "Freiheit" und was damit anzufangen ist. Oida lässt einen vielmehr daran zweifeln, ob man überhaupt frei ist.

Zuletzt stirbt der Meister, jedenfalls die Rolle, in der sich Oida mehrmals im Zwiegespräch mit seinem fiktiven Schüler befindet. Doch ob er tatsächlich tot ist, kann niemand sagen. Das letzte Wort der Vorstellung ist schließlich kein Wort, sondern der surrende Klang einer Messingschale, die an einem durchsichtigen Faden wie ein Pendel durch den Raum schwebt und den Zuschauer in seiner Unwissenheit zurücklässt.

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