SZ-Serie Teil 7: Wohnen für alle:Kein Weg aus der Traglufthalle

Lesezeit: 3 min

Eingespieltes Team: Um Alsalah Yazan kümmert sich Ulrike Kirchhoff. (Foto: Christian Endt)

350 anerkannte Flüchtlinge leben im Landkreis in Sammelunterkünften. Sie müssten eigentlich raus, eine eigene Wohnung suchen. Alsalah Yazan macht gerade durch, wie schwierig dieses Unterfangen ist.

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Mit der linken Hand lehnt er am Bauzaun, in der rechten die Zigarette. Yazan nickt den anderen Asylbewerbern zu, die vorbeigehen. In und um die Plieninger Traglufthalle herrscht auch in der Mittagszeit reges Treiben. Das Leben in der Traglufthalle sei schon in Ordnung, "somehow" - irgendwie, sagt Yazan, der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung stehen haben will. Der junge Syrer lebt schon seit rund einem Jahr in Deutschland, spricht auch schon halbwegs deutsch, lieber aber englisch. "Waiting, waiting", sagt er, runzelt die Stirn, zieht an der Zigarette - warten, warten.

Eigentlich aber müsste Yazan gar nicht mehr warten, vor einigen Wochen hat er seinen Asylbescheid bekommen, als anerkannter Asylbewerber hätte er die Möglichkeit, sich eine eigene Wohnung zu suchen, gesetzlich ist er sogar dazu verpflichtet. Als anerkannter Asylbewerber muss er eigentlich raus aus der Traglufthalle. Wäre da ausreichend Wohnraum.

Helfen würde auch eine Sozialwohnungen, doch an die kommen anerkannte Flüchtlinge so gut wie nie heran. Ein Anruf beim Landratsamt: Nur zwei anerkannte Asylbewerber seien im Landkreis bislang in einer Sozialwohnung untergekommen, erklärt Stefanie Geisler, die im Amt an vorderster Front für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig ist.

Auch anerkannte Flüchtlinge leben in der Plieninger Traglufthalle - etwa Anas Alsalah. (Foto: Christian Endt)

Im Mai kam der Brief vom Bundesamt

Alleine in der Plieninger Traglufthalle lebten mindestens 80 Fehlbeleger, heißt es aus dem örtlichen Helferkreis. Dem gegenüber steht eine andere Zahl: Acht. So viele Sozialwohnungen gibt es in der Gemeinde Pliening. Aufgehen kann das freilich nicht. So wie Yazan warten viele Asylbewerber darauf, endlich in ihren eigenen vier Wänden leben zu können.

Anas Alsalah ist einer von ihnen. Die Freude war groß, als er im Mai einen Brief des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bekam: Er kann in Deutschland bleiben, vorerst zumindest. Einige Monate lang war Alsalah in einer Poinger Turnhalle untergebracht, er musste nach Pliening umziehen, als die Turnhalle dicht gemacht wurde.

Eingespieltes Team: Um Alsalah kümmert sich Ulrike Kirchhoff. (Foto: Christian Endt)

Ein Wohnzimmer in Poing: Dort sitzt Alsalah, an einem großen Holztisch, lächelt. Neben ihm Ulrike Kirchhoff, sie und ihr Mann unterstützen Alsalah ehrenamtlich. Alsalah ist regelmäßig bei Kirchhoffs zu Besuch, sichtlich erleichtert ist er, nicht durchgehend in der Traglufthalle sein zu müssen. Der Brief vom Bamf hätte der erste Schritt in die Selbstständigkeit in Alsalahs neuer Heimat sein können, eigentlich will der junge Mann sein Wirtschaftsstudium weiterführen, doch vorerst ist er vor allem eins: auf Wohnungssuche.

Allein 40 Fehlbeleger seien in Poing untergebracht, schätzt Ulrike Kirchhoff - 343 sind es im gesamten Landkreis. Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt? "Da sieht es schlecht aus", sagt Kirchhoff. Unzählige Makler haben die Kirchhoffs angerufen, Wohnungsanzeigen studiert, gesucht und gesucht. Geklappt hat es bislang nicht, eine Wohnung, oder zumindest ein Zimmer für Alsalah zu finden. Das Jobcenter würde dem jungen Syrer auch eine Sozialwohnung zahlen, doch Sozialwohnungen für Flüchtlinge zu finden, ist im Raum Ebersberg fast utopisch.

Bislang lägen nur 16 Berechtigungsscheine vor, erklärt Stefanie Geisler. Die Scheine braucht es, um in der Warteliste für die Vergabe der Wohnungen zu landen. Weitere 16 Flüchtlinge haben einen Berechtigungsschein beantragt, was aber nicht heißt, dass sie in naher Zukunft die Chance haben werden, in eine Sozialwohnung zu ziehen: "Es findet da auch kaum Wechsel statt, es werden selten Sozialwohnungen frei", so beschreibt Geisler die Situation.

Bei vielen anerkannten Asylbewerbern habe sich, was die Wohnungssuche betreffe, bereits einiger Frust angesammelt, erklärt Monika Kallus vom Helferkreis in Markt Schwaben. Viele Flüchtlinge trauten sich inzwischen auch gar nicht mehr, selbst bei Vermietern anzurufen, zu oft stießen sie bei Vermietern auf unfreundliche Abfuhren und taube Ohren. Und Sozialwohnungen?

"Ich denke, dass vielen diese Option schlichtweg gar nicht bekannt ist", erklärt Kallus, "sowohl den Schutzsuchenden als auch möglichen Helferinnen und Helfern." Im Landratsamt betont man, dass man seine Pflicht erledigt habe: Das Amt sei bereits an die Helferkreise herangetreten, um sie über die Möglichkeit zu informieren, dass sich anerkannte Geflüchtete auf eine Sozialwohnung bewerben können, erklärt Stefanie Geisler. Doch oft nähmen die Helferkreise das Angebot erst gar nicht an.

Kreative Lösungen sollen her, aber wie schauen die aus?

Verständlich findet das die Glonner Flüchtlingshelferin Renate Glaser, die für die für die SPD auch im Kreistag sitzt: "Warum soll man sich bewerben, wenn eh nichts frei ist?" Zwar wolle der Landkreis die Anzahl der Sozialwohnungen in den kommenden Jahren verdoppeln, doch auch das reiche bei weitem nicht aus, sagt Glaser, sie drängt in der Flüchtlingsfrage auf "kreativere Lösungen". Die Unterbringung von anerkannten Asylbewerbern in Wohngemeinschaften beispielsweise.

Die steigende Frustration führt dazu, dass sich einige geflüchtete Menschen oft auf eigene Faust in andere Regionen Deutschlands aufmachen, um dort Wohnraum zu finden. Ein Freund von ihm sei kürzlich nach Dortmund gereist, berichtet Anas Alsalah, doch die Behörden hätten ihn glatt wieder zurückgeschickt. Ein anderer seiner Freunde sei nach Chemnitz gegangen. "Klar ist es im Osten billiger", sagt Ulrike Kirchhoff. Eine Lösung sieht sie darin aber nicht, schließlich gebe es in den neuen Bundesländern zwar mehr Wohnungen, dafür aber weniger Jobs - und damit schlechtere Integrationschancen.

Auch Anas Alsalah hat sich schon überlegt, auf eigene Faust loszuziehen und woanders sein Glück zu suchen - er hat sich dagegen entschieden, vorerst wird er wohl weiter warten.

Wie wehrt sich Ebersberg gegen die Wohnungsnot in einem Landkreis, der schneller wächst als alle anderen? Die Ebersberger SZ sucht in einer achtteiligen Serie nach Antworten. Die achte Folge erscheint am Mittwoch.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: