SZ-Serie Teil 6: Wohnen für alle:Miteinander leben

Illustration alte Menschen

Die Hände zweier Bewohnerinnen einer Wohngemeinschaft.

(Foto: dpa)

Die Genossenschaft Maro plant in Landsham ein Mehrgenerationenhaus, das geförderte Wohnungen und Wohngemeinschaften für Demenzkranke und Pflegebedürftige unter ein Dach bringt. Das Vorbild dafür steht in Weilheim.

Von Alexandra Leuthner, Pliening/Weilheim

Mitten in der Küche steht er. Die Haare dicht und grau meliert. Eine imposante Erscheinung, die Haltung aufrecht; vielleicht 60, 65 Jahre ist er alt. Er beißt mit versonnenem Blick in einen Apfel und guckt. Guckt zur Wohnungstür, die sich gerade öffnet, bleibt unbeteiligt, kaut, während eine ältere Dame ihren Rollator durch die halb offene Terrassentür nach draußen bugsiert.

Sekunden später schiebt sie das Gefährt schon wieder herein. Eine Hauswirtschafterin hantiert unterdessen zwischen dem Herd und der lang gezogenen Mittelkonsole im Zentrum des großen Raums, wuselt um den Mann und seinen Apfel herum. Er lässt sich nicht stören; kaut, guckt, beißt. Voller Hingabe. Vielleicht auch in tiefster Verlorenheit. Wer weiß das schon?

Alle zehn Mitglieder der Wohngemeinschaft Josef im Weilheimer Mehrgenerationenhaus der Genossenschaft Maro sind dement. Keinen von ihnen nennen wir mit Namen, das wäre nicht fair, denn wir wissen nicht, ob sie noch verstehen könnten, was es bedeutet, wenn ihr Name in der Zeitung steht. Doch an der Art, wie sie sich verhalten, ob sie lernen, hier klar zu kommen, können die Betreuer - zwei in der Früh-, zwei in der Spätschicht, einer nachts - zumindest ablesen, ob sie sich wohl fühlen.

SZ-Serie Teil 6: Wohnen für alle: Das Vorbild für das soziale Wohnprojekt der Maro-Genossenschaft in Pliening steht in Weilheim. Hier finden Demenzkranke ein Zuhause.

Das Vorbild für das soziale Wohnprojekt der Maro-Genossenschaft in Pliening steht in Weilheim. Hier finden Demenzkranke ein Zuhause.

(Foto: privat)

Warnanlagen an den Türen

Wenn nicht, würden sie unruhig oder aggressiv, blieben nachts nicht in ihren Betten - wobei der Nachtdienst in einer Demenz-WG ohnehin nicht mit Schlaf rechnet. Dennoch sind die Türen mit Warnanlagen versehen, damit keiner ungesehen auf Wanderschaft gehen kann - und vielleicht nicht mehr zurückfindet. Um die Weilheimer Wohngemeinschaften - die im zweiten Stock wird erst im Oktober bezogen - kümmert sich ein festes Team aus Betreuern. Auch die beiden Hauswirtschafterinnen, die im Zentrum des Geschehens kochen, so dass die Bewohner zuschauen und mitmachen können, sind jeden Tag die selben.

"Vielleicht wissen die Demenzkranken ja nicht mehr, ob die Betreuerin Ursula oder Susanne heißt, aber sie bauen doch ein Vertrauensverhältnis auf", erklärt Inge Schmidt-Winkler. Sie ist eins von zwei Vorstandsmitgliedern der Maro-Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen. Für die Anlage in Weilheim ist die Genossenschaft mit einem bundesweiten Innovationspreis ausgezeichnet worden, sie ist das Referenzprojekt des Unternehmens, das sich auf den Bau sozialer Wohnprojekte im ländlichen Raum spezialisiert hat. So eines plant sie auch in Landsham.

SZ-Serie Teil 6: Wohnen für alle: Der Bauzaun für das ehrgeizige Projekt "An der Chaussee" in Landsham steht schon, allein die Baugenehmigung ist noch nicht ganz durch.

Der Bauzaun für das ehrgeizige Projekt "An der Chaussee" in Landsham steht schon, allein die Baugenehmigung ist noch nicht ganz durch.

(Foto: Christian Endt)

Nachbarschaftliches Wohnen heißt das Modell, in dem geförderte und frei vermietete Wohnungen nebeneinander existieren. Sozialer Wohnraum, der vom Miteinander lebt. Jeder Mieter erwirbt auch ein Teil vom Gemeinschaftseigentum. Maro baut ökologisch, möglichst aus Holz, im Niedrigenergiestandard. Die geförderten Wohnungen sollen ja auch wenig Miete kosten.

In Landsham sollen zwei Wohngemeinschaften entstehen

Im Mehrgenerationenhaus an der Landshamer Chaussee sollen zwei Wohngemeinschaften entstehen, eine für Pflegebedürftige im zweiten Obergeschoss, eine für Demenzkranke im ersten Stock. Für das Nachbarhaus sind 17 Wohnungen geplant, zwischen 30 und 105 Quadratmeter groß. Hier sollen Familien einziehen und auch ältere Menschen, die sich eine Wohnung auf dem freien Markt nicht mehr leisten können, oder ihren Partner in einer der Wohngemeinschaften untergebracht haben. Dazu kommen fünf geförderte Büros im Erdgeschoss, barrierefrei wie die ganze Anlage, gedacht für Menschen mit geringem Einkommen, oder solche, die einer Behinderung wegen ihr altes Büro aufgeben mussten.

Die Bauzäune in Landsham stehen schon, auch wenn es noch an der Baugenehmigung vom Landratsamt fehlt. Es hakt nicht am politischen Willen, sondern an der Bürokratie, weil die Anlage in einem Mischgebiet entstehen wird, wo Wohnen und Gewerbe eigentlich halb-halb vertreten sein soll. Im Mehrgenerationenhaus liege man etwa beim Verhältnis 68 zu 32, erklärt Schmidt-Winkler und zitiert ein Urteil des Bundesgerichtshofes, nach dem dieses Verhältnis genehmigungsfähig sein sollte.

Der Plieninger Gemeinderat hat das Vorhaben einstimmig begrüßt und der Landrat, mit dem die Maro-Verantwortlichen und Plienings Bürgermeister vor wenigen Wochen zusammen saßen, habe seine unbedingte Zustimmung signalisiert. Schließlich kämpft Robert Niedergesäß (CSU) selbst mit Vehemenz für die Schaffung bezahlbarer Wohnungen im Landkreis. Nicht mal die Nachbarn haben etwas gegen das Vorhaben, das mit Gemeinschaftsräumen und einer großen Gartenanlage auch Begegnungsstätte für die Bevölkerung sein will. In anderen Kommunen war das auch schon mal anders, in Dietramszell etwa, wo ein ähnliches Haus verhindert wurde. Offenbar aus dem Vorurteil heraus, dass Demente ständig in die Nachbargärten einsteigen würden.

Warnung vor dem Odel

Keinerlei Widerstand dagegen in Landsham, im Gegenteil. Ein Bauer hat angeboten, Bescheid zu geben, wenn er Odel ausfährt, damit rechtzeitig die Fenster zugemacht werden. Beim Autohaus nebenan sei man froh, dass nun nicht die Fast-Food-Kette der neue Nachbar wird, die Interesse an dem Grundstück bekundet hatte. Für die südlich gelegene Siedlung sei das Mehrgenerationenhaus, dessen Balkone alle von der Straße abgewandt sind, eine willkommene Abschottung von der Hauptstraße.

Und die Bewohner der Demenz-WG, die von ihren Fenstern aus zur Tankstelle und zum Lidl sehen können, hätten tagsüber etwas zu Schauen und nachts Ruhe zum Schlafen. "Die Aussicht auf einen See, das ist eher etwas, was die Angehörigen haben wollen", sagt Schmidt-Winkler. Für die Dementen sei es wichtig, eine Tagesstruktur mitzuerleben. Nichtsdestotrotz soll die Landshamer Anlage mit einem großen Garten und viel Grün gestaltet werden, Obstbäume vor allem, der ländlichen Umgebung entsprechend, sollen es werden. Für die Fassade ist eine Holzoberfläche vorgesehen, die aufgrund ihrer speziellen Struktur wie lebendig schimmert, um den ökologischen Charakter zu betonen.

Aus der Bauabteilung des Landratsamts jedenfalls ist zu hören, das Vorhaben werde "mit dem Ziel eines positiven Bescheids geprüft", wie der Büroleiter des Landrats, Norbert Neugebauer, Ende August erklärte. Für Maro wird es dann auch Zeit. Sieben Wohnungen sind jetzt schon vergeben", berichtet Schmidt-Winkler "Wir brauchen bis Ende September die Genehmigung", sagt sie. Dann könne bereits im Winter mit dem Kelleraushub begonnen werden. Im ersten Quartal 2018 könnten die Mieter einziehen. Und sie fügt noch hinzu: "Wir können uns vor Anfragen vor allem nach den geförderten Wohnungen kaum retten."

Das Ende der Sackgasse

Sobald die Genehmigung da ist, soll eine Infoveranstaltung stattfinden. "Dann wissen wir auch, wie viele Wohnungen wir wirklich bauen können." Über die Vergabe für die WG-Plätze wird erst ein halbes Jahr vor dem Einzug entschieden. "Das können Sie ja nicht so lange voraus planen." Interessenten würden aber bereits jetzt in eine Liste aufgenommen. Wenn die Entscheidung steht, beginnt die so genannte Moderation, in der es nicht nur um die Dementen selbst, sondern auch um ihre Angehörigen geht.

So wie in der Mitgliederversammlung der Genossenschaft jedes Mitglied eine Stimme hat, bestimmen auch die Angehörigen in einem sogenannten Gremium selbst, was ihre Ehepartner oder Eltern zu essen bekommen, welches Geschirr gekauft und welcher Sozialdienst beauftragt wird, um die Betreuungskräfte zu stellen. Geschenk und Verpflichtung zugleich, wie Moderatorin Vlasta Beck nicht verhehlen will. Wer so viel Eigeninitiative nicht möchte oder leisten kann, bringt seinen Angehörigen besser woanders unter.

Wenn man in Weilheim das Ende der Sackgasse erreicht, wo die beiden Maro-Häuser stehen, fallen einem als erstes die vielen Kinder auf, die hier draußen spielen. Balkontüren stehen offen, die helle Holzfassade wirkt freundlich und einladend. Auch oben, in der noch leeren Wohnküche der zweiten Wohngemeinschaft ist es hell und großzügig.

So ähnlich soll es in Landsham aussehen, mit einer Sofaecke, einem großen Esstisch, viel Licht und großen Fenstern. Jedes WG-Zimmer hat ein eigenes Bad, die Türstöcke sind in verschiedenen Farben bemalt - das hat das Gremium entschieden. Die Zimmer sind nicht sehr groß, aber die meisten Dementen strebten eher zu den anderen als im Zimmer zu sitzen. Wichtiger sei, dass sie den Weg vom Zimmer dorthin finden.

Wie wehrt sich Ebersberg gegen die Wohnungsnot in einem Landkreis, der schneller wächst als alle anderen? Die Ebersberger SZ sucht in einer achtteiligen Serie nach Antworten. Die siebte Folge erscheint am Dienstag.

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