SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 7:Die Kunst des Bewahrens

Der Vaterstettener Verein Notturno hat es sich zur Aufgabe gemacht, das beeindruckende und große Werk von Martin Ritter zu pflegen. Dabei kämpfen die Mitglieder mit einer bewegten Familiengeschichte, einem komplizierten Erbrecht und fehlenden finanziellen Mitteln

Von Rita Baedeker

Der unergründlichen Weite des Universums verlieh er Gestalt, ein Gesicht, uralt, heilig, fern erscheint die Gottheit auf dem Ölgemälde "Im All", bekränzt mit einem Diadem aus Sternen. Vor dem zerstörerischen Treiben der Menschheit, die im Begriff ist, eine Atombombe zu zünden, verschließt das höhere Wesen die Augen. Die Ewigkeit hüllt sich in Schweigen.

Die großen Menschheitsthemen - Martin Ritter hat ihnen in zahlreichen Gemälden Ausdruck gegeben, hat Elemente wie Sterne, Planeten, Nacht, Licht und Feuer in einer packenden, zuweilen apokalyptisch anmutenden, phantastisch-surrealen Bildsprache verarbeitet. Viele seiner Werke weisen ins Transzendentale.

Doch auch das Kleine, sogar das Kleingeistige, fesselte Ritter, dessen Wissensdurst und Bildung allzeit Anlass fand für Zeichnungen und Karikaturen. Besucher des ehemaligen Wohnhauses von Martin Ritter im Baldhamer Fuchsweg durften 2015 bei einer Ausstellung bislang unbekannter Arbeiten über Ritters bissigen Humor, seinen skurrilen Witz und seine scharfe Beobachtungsgabe staunen. Seine boshaften Kommentare zu Kirche, Gesellschaft, Obrigkeit, zu Männlichkeitskult und Kunstkritik erinnern an die Blätter eines Otto Dix. Vor allem seine Geschlechtsgenossen holte er gerne vom Sockel der Selbstgerechtigkeit, Frauen kamen in seinem künstlerischen Schaffen dagegen meist recht gut weg.

SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 7: "Die Muse schwebt über den Trümmern der Kunst" nannte Ritter diese Zeichnung

"Die Muse schwebt über den Trümmern der Kunst" nannte Ritter diese Zeichnung

(Foto: EBE)

So etwa Irene Dingler, Frau des Vaterstettener Alt-Bürgermeisters Peter Dingler, die Ritter gepflegt hat, als er schwer erkrankte. Irene Dingler vom gemeinnützigen Verein "Notturno", der seit 2008 das Werk von Martin Ritter und Sohn Ulrich bewahrt und verbreitet, kann sich einer Auszeichnung rühmen, die nicht vielen Menschen zuteil werden dürfte: Als "Engel mit dem Suppentopf" hat Martin Ritter sie in einer seiner zahlreichen Zeichnungen gewürdigt. "Als ich ihn 1980 kennenlernte, war ich entsetzt über die im Haus herrschende Unordnung", erzählt Dingler. "Beide Ritters, Martin und Sohn Ulrich, waren krank. Ich dachte mir, so geht das nicht, und brachte einen Topf Hühnersuppe vorbei." Mit der als Waffe gegen Viren bekannten Speise sicherte sie sich einen Platz im Werk - und vermutlich auch im Herzen von Vater und Sohn. "Er hatte ja viele weibliche Fans", fügt sie lachend hinzu.

Das Haus, in dem Ritter von 1963 bis zu seinem Tod 2001 lebte, ist umfassend renoviert, in den Zimmern herrscht die lässige Ordnung eines gut geführten Künstlerhaushalts. Bilder, viele nach Themen geordnet, hängen im gesamten Haus und die auf dem Dachboden gelagerten Werke sind zum großen Teil digital erfasst. Es existiere jedoch ein Konvolut von Mappen, berichtet Irene Dingler, deren Inhalt noch weitgehend unbekannt ist.

SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 7: Fast wie das Schloss von Dornröschen wirkt das ehemalige Haus von Martin Ritter, und tatsächlich schlummert im Inneren einiges vor sich hin.

Fast wie das Schloss von Dornröschen wirkt das ehemalige Haus von Martin Ritter, und tatsächlich schlummert im Inneren einiges vor sich hin.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Von außen wirkt das Ritterhaus angejahrt, seine schlammbraune Farbe verrät nichts von dem Reichtum an Fantasie im Innern, nichts von der bewegenden Familiengeschichte. Der Garten ist Ort der Begegnung und wirkt zugleich wie eine schützende Hülle. Dass es sich um ein besonderes Haus handelt, erkennt man nur, wenn man die beiden Wandbilder auf der Nordseite entdeckt: links ein Triptychon mit einer Darstellung des Hirtengotts Pan und Vogelmotiven sowie rechts eine Madonna mit Kind. Mythologie und Glaube, beide waren wichtige Themen im Schaffen des Malers, der sogar auf dem Krankenbett in der Klinik jeden Fetzen Papier mit Kugelschreiber, Filzstift oder Kreide bearbeitete und so seinen Gedanken, Erlebnissen und Emotionen Ausdruck verlieh. Laut Irene Dingler war er ein großer Geschichtenerzähler. Was er in der Erinnerung seiner Freunde vom Verein "Notturno" auch war: ein Charmeur, eitel, geistreich, gebildet, sprachbegabt und -gewandt. Über die Menschen, die ihn besuchten, führte er Buch.

Ob es an der guten Pflege oder der Bewunderung lag, dass Martin Ritter das hohe Alter von 95 Jahren erreichte, weiß man nicht. Sein Sohn Ulrich, Autor und Schauspieler, ereilte im Alter von nur 62 Jahren der Tod. Als Sohn einer Tänzerin wurde er als kleiner Bub adoptiert, Ritter und seine Frau Helene hatten keine eigenen Kinder. Ulrich, der sich um den Nachlass des Vaters gekümmert hatte, schrieb Texte für Vernissagen, hat CDs mit Lesungen und Essays veröffentlicht und wollte noch einen Film über seinen Vater drehen. Doch dazu kam es nicht mehr. Ein Testament hinterließ er, der zuletzt in Berlin lebte, nicht.

SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 7: Zunächst kümmerte sich Martins Sohn Ulrich um den Ritter-Nachlass, doch auch er ist mittlerweile verstorben.

Zunächst kümmerte sich Martins Sohn Ulrich um den Ritter-Nachlass, doch auch er ist mittlerweile verstorben.

(Foto: EBE)

Anders Martin Ritter. Kümmert euch um meine Bilder, sie sollen nicht in alle vier Winde zerstreut werden, hatte er verfügt. Um seinen Willen zu erfüllen, begeben sich die Mitglieder des Vereins auf einen dornigen Weg durch die Niederungen von Familiengeschichte und Erbrecht.

Nach Ulrich Ritters Tod ist zunächst rätselhaft, was mit dem Nachlass von Vater und Sohn geschehen soll. Als Peter Dingler und seine Frau im Kulturausschuss des Vaterstettener Gemeinderats die Arbeit des gemeinnützigen Vereins Notturno vorstellen, ist von einem bürokratischen Hürdenlauf ohnegleichen die Rede, der nötig gewesen sei, um das Erbe zu sichern. Da Ulrich Ritter kein Testament hinterlassen hat, müssen zunächst die Angehörigen seiner Herkunftsfamilie ausfindig gemacht werden. Hätte man keine aufgespürt, wäre der gesamte Nachlass an das Land Berlin-Brandenburg gefallen.

Als Dingler endlich drei Halbgeschwister Ulrichs gefunden hat, gibt es ein neues Problem: Die fremden Verwandten haben kein Interesse an dem Erbe, im Gegenteil, sie fühlen sich belästigt, erzählt Irene Dingler. "Das Berliner Nachlassgericht stand schon vor der Tür." Es bedarf geduldiger Überzeugungsarbeit, die Erben dazu zu bewegen, den Nachlass mittels einer Schenkung an den Verein abzutreten. Die Bedingung: Sie wollen weder Kosten noch Mühen auf sich nehmen. Peter Dingler bringt das Projekt schließlich zu einem guten Ende. Erst danach kann der Freundeskreis die im Bauhof der Gemeinde gelagerten Gemälde heimholen ins Haus des Künstlers, in dem seit vielen Jahren der frühere Atelier-Assistent Jürgen Behrendt wohnt.

SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 7: Das Erbe zu sichern und zu bewahren war und ist keine leichte Arbeit. Martin Ritter selbst kannte die Mühen der Ebene wohl auch ganz gut, hier hat er sich als Don Quichote portraitiert

Das Erbe zu sichern und zu bewahren war und ist keine leichte Arbeit. Martin Ritter selbst kannte die Mühen der Ebene wohl auch ganz gut, hier hat er sich als Don Quichote portraitiert

(Foto: EBE)

Nun, da der Traum feste Konturen annimmt, heißt es nicht nur, Erbschaftssteuern zu bezahlen - ein größerer fünfstelliger Betrag für das Grundstück in Baldham, weil Haus und künstlerischer Nachlass als praktisch wertlos eingestuft werden. Man kann endlich auch daran gehen, das Werk zu sichten, zu ordnen und zu archivieren, rund tausend Exponate umfasst Ritters Oeuvre, darunter unbekannte Schätze. Erst kürzlich hat Irene Dingler eine Mappe mit Blumenaquarellen aus der frühen Dresdner Zeit gefunden. Zudem wird kräftig renoviert: Malern, Schimmel entfernen, Aufräumen, alles in Eigenregie.

Im Jahr 2012 erklärt Robert Niedergesäß, damals noch Bürgermeister Vaterstettens, man werde dem großen Künstler einen festen Platz im geplanten Bürgerhaus einräumen. Wie man weiß, ist aus diesen Plänen bislang mangels Bürgerhaus nichts geworden. Arbeiten von Ritter, die in der Filiale der Kreissparkasse hingen, holte Niedergesäß nach deren Auflösung ins Rathaus.

SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 7: Das Interesse an Martin Ritter ist nach wie vor groß, wie hier bei einer Ausstellung 2012 im Vaterstettener Rathaus. Doch bis jetzt fehlt ein dauerhafter Ausstellungsort für die Werke.

Das Interesse an Martin Ritter ist nach wie vor groß, wie hier bei einer Ausstellung 2012 im Vaterstettener Rathaus. Doch bis jetzt fehlt ein dauerhafter Ausstellungsort für die Werke.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

In den vergangenen Jahren hat der Verein diverse Ausstellungen zu Themen aus dem riesigen Oeuvre auf die Beine gestellt, im Rathaus, im Wohnhaus, in der Pfarrkirche Maria Königin. Gartenfeste helfen, das großartige Werk bekannter zu machen. Im Advent soll es wieder eine Ausstellung geben, und im Frühjahr werden Tierbilder Martin Ritters im Franz-Xaver-Stahl-Museum in Erding gezeigt. Auch Gruppenbesichtigungen können organisiert werden. "Museum" darf der Verein das Haus allerdings nicht nennen, erklärt Irene Dingler. Dazu müssten Vorgaben erfüllt sein, Toiletten, Parkplätze und mehr. Als nicht zu fernes Ziel schwebt dem Verein eine Ausstellung im Buchheim Museum der Phantasie in Bernried vor. Dort wäre ein idealer Platz für die Kunst Ritters, der, so wie Museumsgründer Lothar Günther Buchheim, ein Herz für den Zirkus hatte.

Einnahmen erzielt der Verein, der etwa 40 Mitglieder zählt, derzeit allein durch den Verkauf von Postkarten und Kalendern. "Der Bilderverkauf muss warten, bis das Werkverzeichnis fertig ist", sagt Irene Dingler. Die Vereinsmitglieder Ulla Klein und Volker Heeger arbeiten daran. Im Moment sind sie bei Bild Nummer 600.

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

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